Vor dem Bund-Länder-Gipfel am kommenden Montag werden viele Vorschläge für eine Reform der Migrationspolitik diskutiert. Doch was können solche Maßnahmen wirklich bringen?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Die Mehrheit der Flüchtlinge, die aktuell Asyl in Deutschland beantragen, kommen aus Syrien oder Afghanistan und haben eine fast hundertprozentige Schutzperspektive", sagt Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung. Mit Blick auf einen Rückgang der Zahlen aus dieser Personengruppe könne Deutschland nur die Länder vor Ort sowie das Flüchtlingshilfswerk der UN unterstützen oder dazu beitragen, dass die Fluchtursachen bekämpft werden.

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Bei ausreisepflichtigen Geflüchteten in Deutschland hingegen hat die Bundesregierung zuletzt einen härteren Umgang angekündigt. Nun sollen jährlich 600 Menschen zusätzlich abgeschoben werden können. Dies entspräche einer Steigerung um fünf Prozent, wie es in dem Gesetzentwurf der Regierung heißt.

Diese neue Regelung betrifft aber auch nur einen Teil der Ausreisepflichtigen. Denn Ende September lebten in Deutschland etwa 255.000 Menschen, die ausreisepflichtig waren. 205.000 Personen von ihnen hatten eine Duldung, wie tagesschau.de berichtet. Dies bedeutet, dass sie gar nicht abgeschoben werden können, weil etwa Ausweisdokumente fehlen.

Herkunftsländer sollen erst Rücknahmeabkommen abschließen

Ein weiteres wesentliches Problem bei Rückführungen ist, dass manche Herkunftsländer ihre Bürger nicht zurückzunehmen. Deswegen verbrachten Bundeskanzler Scholz und Innenministerin Faeser zuletzt viel Zeit damit, in einzelne afrikanische Länder zu reisen, und dort Verhandlungen über Rücknahmeabkommen zu beginnen.

Doch so sehr dies auf den ersten Blick als Lösung erscheint, die Fluchtzahlen zu reduzieren, bergen auch solche Abkommen Schwierigkeiten. Grundsätzlich können faire Migrationsabkommen sinnvoll sein, sagen die Migrationsforscher Lukas Fuchs und Friederike Römer vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Doch die aktuell verhandelten Abkommen richteten sich an politisch autoritäre und häufig instabile Staaten.

Das mache es sehr unsicher, wie beständig solche Abkommen sein könnten. Zudem müssten die Europäer die Frage beantworten, warum afrikanische Länder Geflüchtete aufnehmen und versorgen sollten, während Europa selbst nur begrenzt bereit ist, dies zu tun.

Immer wieder wird auch darüber diskutiert, Anträge von Menschen mit geringer Schutzperspektive zukünftig in Zentren an den EU-Außengrenzen zu bearbeiten. Es sei jedoch insgesamt "schwer vorstellbar", warnen Römer und Fuchs, "unter haftähnlichen Bedingungen faire Verfahren durchzuführen".

Denn einerseits solle es EU-weite Schutzquoten als Maßstab geben. Andererseits gäbe es unterschiedliche Chancen auf Anerkennung je nach Mitgliedstaat. Zudem sei eine Berufung wie in einem ordentlichen Gerichtsverfahren bei einem Verfahren an der EU-Außengrenze nicht gewährleistet.

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Geflüchtete Menschen sollen schneller in den Arbeitsmarkt

Neben den Plänen zu den Rückführungsabkommen will die Bundesregierung auch geflüchteten Menschen, die sich in Deutschland befinden, einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren. Nun will die Bundesregierung Unternehmen dazu anhalten, auch Geflüchtete einzustellen, selbst wenn deren Deutschkenntnisse bisher noch nicht so ausgeprägt seien, wie Capital berichtete.

Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung kritisiert hierbei jedoch, dass eine solche Maßnahme vor allem Tätigkeiten in Hilfsbereichen betreffe. Ukrainische Geflüchtete seien im Durchschnitt jedoch gut ausgebildet, sodass letztlich angemessene Jobs ein hohes Sprachniveau notwendig machen würden. Zudem, sagt Kober, dürfe nicht vergessen werden, dass viele Menschen aus der Ukraine mit kleinen Kindern geflüchtet seien. Daher bedürfe es auch eines entsprechenden Angebots für diese.

Für die große Zahl an geflüchteten Menschen, die nicht aus der Ukraine kommen, gilt zunächst ein Arbeitsverbot. Erst diese Woche beschloss das Bundeskabinett, auch hier etwas zu ändern, wie die FAZ berichtete. So soll es nun nach sechs und nicht mehr nach neun Monaten möglich sein, dass diese Menschen eine Arbeit aufnehmen können.

Doch auch nach der neuen Regelung könnten Geflüchtete noch immer ein halbes Jahr nicht arbeiten, bemängelt Kober. "Die aktuelle Debatte scheint von der Annahme auszugehen, Asylsuchende wollten nicht arbeiten. Das Gegenteil dürfte der Fall sein." Dabei verweist er auf Umfragen der Bertelsmann Stiftung in der Gesamtbevölkerung. Danach würden sich 80 Prozent der Befragten dafür aussprechen, dass die geflüchteten Menschen möglichst schnell eine Arbeit aufnehmen können. So könnte die Akzeptanz für Geflüchtete in der Gesamtbevölkerung weiter erhöht werden, meint der Experte.

Arbeitspflicht und Leistungskürzungen sind laut Experten keine tragfähigen Lösungen

Derweil mehren sich auch Forderungen nach mehr Härte. So sprachen sich die Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann für Kürzungen bei den Leistungen für Asylbewerber aus. "Unter ganz besonders engen Voraussetzungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf 'null' denkbar", sagten beide FDP-Politiker in der Welt am Sonntag. Ähnlich restriktive Forderungen kommen vom Vize-Präsidenten des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager. Dieser forderte laut ZDF Mitte Oktober eine "Arbeitspflicht für Flüchtlinge".

Friederike Römer und Lukas Fuchs sehen die Höhe der Sozialleistungen in Deutschland nicht als entscheidenden Pull-Faktor. Dafür gäbe es auch keine belastbaren wissenschaftlichen Belege. "Speziell für Fluchtmigration sind Kriege und Krisen in Herkunftsländern der entscheidende Faktor", erklärten die beiden Forschenden. Eine Leistungskürzung sei demnach kein wirkungsvolles Instrument, Fluchtgründe abzubauen, und würde auch die Kommunen nicht entlasten.

Mögliche Kürzungen seien auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, das ein menschenwürdiges Existenzminium vorsehe, sagen Römer und Fuchs. Die Forschung zeige, "dass Teilhabe Voraussetzung für gelungene Integration ist. Das Recht, Sozialleistungen zu beziehen – und dazu gehören auch die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz –, ist ein Menschenrecht."

Das sieht Ulrich Kober von der Bertelsmann Stiftung ähnlich: "Leistungen für Asylbewerber sind bereits jetzt deutlich niedriger als Sozialhilfe", sagt der Forscher und lehnt auch eine Arbeitspflicht ab. Eine solche "im Sinne einer Zwangsarbeit" verstoße nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen internationales humanitäres Recht, sagt Kober. "Statt also eine rechtlich problematische Arbeitspflicht für Personen zu fordern, die gar nicht arbeiten dürfen, sollte Flüchtlingen der Zugang zum Arbeitsmarkt zügig ermöglicht werden."

Über die Gesprächspartner:

  • Ulrich Kober ist Director im Programm "Demokratie und Zusammenhalt" der Bertelsmann Stiftung und arbeitet unter anderem in den Forschungsprojekten "Einwanderung und Vielfalt" sowie "Migration fair gestalten".
  • Dr. Friedrike Römer und Dr. Lukas Fuchs forschen am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung.

Verwendete Quellen:

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