Sein Schicksal bewegt die Öffentlichkeit: Seit sieben Jahren sitzt Gustl Mollath gegen seinen Willen in der Psychiatrie. Zu Unrecht? Welche Fehler haben Justiz und Politik in diesem Fall begangen? Über Monate fegte Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) jeden Zweifel am Vorgehen der Behörden beiseite und charakterisierte Mollath als kranken und gefährlichen Mann. Wenige Wochen vor der Landtagswahl im Freistaat zeigt sie plötzlich Mitgefühl mit Mollath und stellt seine weitere Unterbringung in Frage. Was steckt hinter der neuen Strategie?

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Zu kaum einem anderen Thema hat sich Beate Merk seit dem Herbst so oft geäußert wie zum Fall Mollath – doch solche Töne waren von ihr bisher nicht zu hören: "Ich bin keine eiserne Lady, an der nur alles abprallt", sagte die CSU-Politikerin in dieser Woche der "Augsburger Allgemeinen". "Natürlich bewegt mich das Schicksal von Herrn Mollath." Und falls in diesem Fall tatsächlich etwas "elementar falsch gelaufen" sein sollte, "dann wäre das für mich persönlich ganz schrecklich". Das bedeutet: Die Ministerin schließt nun nicht mehr aus, dass die Justiz Fehler begangen haben könnte. Mehr noch: Sie stellte indirekt sogar in Aussicht, sich für Mollaths Freilassung auszusprechen. In der Stellungnahme, die das Bundesverfassungsgericht von ihr zu dem Fall angefordert hat, werde sie deutlich machen, "dass nach meiner Auffassung die Unterbringung des Mannes mit zunehmender Dauer unverhältnismäßig ist".

Im vergangenen Dreivierteljahr hatte Merk dagegen immer und immer wieder Mollaths psychische Erkrankung betont und das Vorgehen von Gerichten und Staatsanwaltschaft entschieden verteidigt. Sie attestierte Mollath ein "verzerrtes Wahrnehmungsbild" und verwies stets darauf, die Unterbringung sei erfolgt, "weil der Mann schwere Straftaten begangen hat, weil er krank ist, weil er für die Allgemeinheit gefährlich war und gefährlich ist". Die scharfen Angriffe und Rücktrittsforderungen der Opposition konterte die CSU-Politikerin mit dem Vorwurf, Freie Wähler, Grüne und SPD benutzten "den Fall dieses kranken Menschen als Trittbrett für eine politische Hetzkampagne".

Nun vermutet wiederum die Opposition hinter Merks neuer Linie ein Wahlkampfmanöver. "Jetzt stellt sich ausgerechnet die Frau öffentlich an die Spitze der 'Free-Mollath-Bewegung', die immer behauptete, in dem Fall sei alles mit rechten Dingen zugegangen und der Mann säße wegen seiner immensen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit in der Anstalt", sagte der bayerische Grünen-Fraktionschef Martin Runge. "Dieses Manöver ist durchsichtig und dem immer stärker werdenden öffentlichen Druck sowie dem nahenden Wahltermin geschuldet."

Lästig für Seehofer

Wie Mollath selbst, so zweifelt auch sein Anwalt Gerhard Strate an einem echten Sinneswandel der Ministerin. "Ich glaube kaum, dass das jetzt Ausdruck einer speziellen inneren Einkehr wäre. Ich nehme an, dass es ihr einfach politisch opportun erscheint, sich so zu äußern", sagte Strate dem Bayerischen Rundfunk. Der Hamburger Staranwalt ist sich sicher, dass "das wirklich skandalöse Verhalten der bayerischen Justiz" sich auch auf die Ergebnisse der Landtagswahl auswirken wird.

In der Tat: Je näher die Wahl rückt, desto lästiger wird der Fall Mollath für Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), der im Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) einen ernstzunehmenden Herausforderer hat. Erst am vergangenen Wochenende hatte Seehofer zu verstehen gegeben, dass ihm die Klärung des Falls zu lange dauert – und die Justiz zu größerem Tempo aufgefordert. Nur der CSU-Chef selbst wird wissen, wie sehr es ihm dabei in erster Linie um das Wohl von Herrn Mollath geht und welchen Anteil wahltaktische Überlegungen spielen. Fest steht: Der Fall Mollath ist für die Oppositionsparteien ein gefundenes Fressen. Es ist in Seehofers Interesse, zu verhindern, dass der Fall sich durch den gesamten Wahlkampf zieht. Man kann davon ausgehen, dass er nichts unversucht lässt, das Thema so schnell wie möglich zu einem positiven Ende zu bringen – so wie er in den vergangenen Monaten immer wieder mögliche heikle Wahlkampfthemen aus dem Weg räumte, auch wenn er dafür kurzfristig seine Meinung radikal ändern musste.

Merk muss aufpassen, dass sie ihrem Chef dabei nicht im Weg steht. Der Ministerpräsident schätzt es ganz und gar nicht, wenn seine Minister für Wirbel sorgen und damit auch ihn selbst in Erklärungsnot bringen. Merk ist durch den Fall Mollath schon ein Dreivierteljahr lang unter heftigem Beschuss, musste sich in einem Untersuchungsausschuss des Landtags bohrenden Fragen stellen.

Seit Monaten in der Schusslinie

Mollath sitzt seit 2006 zwangsweise in der Psychiatrie. Er soll seine damalige Frau angegriffen haben und wurde als gemeingefährlich eingestuft. Mollath selbst sieht sich als Opfer eines Komplotts, weil er Schwarzgeldgeschäfte bei der HypoVereinsbank angeprangert hatte, in die seine Frau verwickelt gewesen sein soll. Das Gericht tat dies als Hirngespinste ab, später stellte sich aber ein Teil der Vorwürfe als wahr heraus. Ende November wies Merk die Generalstaatsanwaltschaft an, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen. Die Opposition warf der Ministerin schon im Herbst vor, zu spät aktiv geworden zu sein und die Öffentlichkeit unzureichend über den Fall informiert zu haben. Merks Ministersessel wackelte. Obwohl ihr Krisenmanagement alles anderes als glücklich war, gelang es ihr aber, sich im Amt zu halten.

Doch damit nicht genug: Zusätzlich zum Fall Mollath geriet Merk im Frühjahr auch noch wegen der Affäre um die Beschäftigung von Familienmitgliedern im bayerischen Landtag in die Schusslinie. Von 2010 bis 2013 hatte sie ihrer Schwester zeitweise Büroaufträge erteilt.

Merk muss also nicht nur im Sinne ihrer Partei, deren Vizechefin sie ist, alles dafür tun, dass sich die Wogen glätten. Sie darf sich auch aus Eigeninteresse keinen groben Fehler mehr erlauben, wenn sie für den Fall eines CSU-Wahlsiegs die Chance auf eine erneute Berufung ins Kabinett wahren möchte. Die vergangenen Monate waren die turbulentesten ihrer bisherigen Amtszeit, die immerhin schon zehn Jahre dauert. Damit ist Merk klar das dienstälteste Kabinettsmitglied in Bayern. Es war noch Edmund Stoiber, der 2003 die damalige Neu-Ulmer Oberbürgermeisterin in sein Kabinett holte. Sowohl Günther Beckstein als auch Seehofer hielten an Merk fest – auch weil sie eine Frau ist und zudem im Kabinett den Regierungsbezirk Schwaben repräsentiert. Ein allzu großes Gewicht hat sie dem Vernehmen nach in Partei und Regierung nicht.

Jetzt gilt es für sie, den Fall Mollath zu überstehen. Sie muss es schaffen, aus der Ecke der unnachgiebigen Hardlinerin und unbarmherzigen Paragrafenreiterin herauszukommen, in der sie sich eingerichtet hatte. Die weitere Entwicklung des Falls hat sie allerdings nicht selbst in der Hand. Es werden letztlich die Gerichte sein, die über Mollaths Zukunft entscheiden.

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