US-Präsident Donald Trump hat Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt und damit den Zorn vieler Palästinenser heraufbeschworen. Die radikal-islamische Hamas hat infolge zur dritten Intifada aufgerufen. Wie groß die Gefahr eines Palästinenser-Aufstandes wirklich ist, erklärt Nahost-Expertin Bettina Marx im Interview.

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

US-Präsident Donald Trump hat mit seiner Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, einen historischen Schritt gemacht. Einer, der gegen Völkerrecht verstößt und den ins Stocken geratenen Friedensprozess letztendlich den Todesstoß versetzen könnte.

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Die radikal-islamische Hamas sprach von einer "Kriegserklärung gegen die Palästinenser" und rief infolge zur dritten Intifada auf. Was das für die Palästinenser bedeutet und ob eine neue Spirale der Gewalt zu befürchten ist, erklärt die Nahost-Expertin Bettina Marx von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Frau Marx, Donald Trump hat Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Wie ist das einzuordnen?

Bettina Marx: Donald Trump hat sich aus dem internationalen Diskurs verabschiedet. Er hat das internationale Recht mit Füßen getreten. Demnach ist Jerusalem von Israel besetzt und widerrechtlich annektiert. Trump kann das internationale Recht nicht aushebeln, er steht nicht über ihm.

Der Schock bei den Palästinensern ist groß, viele sind wütend. Es gab bereits Demonstrationen, US-Flaggen wurden verbrannt. Die radikal-islamische Hamas spricht von einer Kriegserklärung und hat zur dritten Intifada aufgerufen. Werden sich die Palästinenser dem anschließen?

Es lässt sich schwer voraussagen, was noch passieren wird. Die Mehrheit der Palästinenser hat eigentlich kein Interesse an einer dritten Intifada. Fraglich ist auch, ob die palästinensische Gesellschaft überhaupt dazu in der Lage ist. Zudem ist unklar, was damit gemeint sein soll.

In der Vergangenheit haben wir zwei palästinensische Aufstände erlebt, die sehr unterschiedlich geprägt waren. Der erste war von Gewaltlosigkeit und zivilem Ungehorsam gekennzeichnet. Israel reagierte auf die Demonstrationen mit Gewalt.

Die zweite Intifada war von palästinensischer Seite und von israelischer Seite sehr brutal. Wie also würde eine dritte Intifada aussehen? Würde es zivilen Ungehorsam, Demonstrationen oder Gewalt geben? Und wie lange soll der Aufstand dauern? Das Wort an sich bedeutet nämlich, "etwas abzuschütteln". Die Palästinenser wollen die israelische Besatzung loswerden. Vermutlich wird es bei Unruhen an den Checkpoints und in den Flüchtlingslagern bleiben. In Ost-Jerusalem könnte es zu Zusammenstößen kommen. Eine neue große Gewaltwelle aber scheint erst einmal nicht in Sicht.

Wie bereitet sich Israel auf die Ankündigung der Intifada vor?

Israel hat die Sicherheitskräfte an den Checkpoints verstärkt. Generell aber sind die Israelis immer präsent. Die palästinensischen Städte sind eingekreist vom israelischen Militär. Die Palästinenser können sich zwischen den Städten nicht bewegen, ohne an ein, zwei oder drei Checkpoints kontrolliert zu werden. Diese Kontrollen hat man jetzt natürlich noch mal verstärkt.

Die aktuelle Entwicklung trägt nicht unbedingt zur Entspannung zwischen Israelis und Palästinensern bei. Wollen die Israelis überhaupt Frieden mit den Palästinensern?

Die Israelis wollen schon Frieden. Aber was bedeutet er für Israel? Heißt Frieden, dass die Palästinenser die israelische Nationalhymne singen, den israelischen Staat anerkennen und sich ihrem Schicksal zu fügen haben? Ein wirklicher Frieden muss die Palästinenser mit einbeziehen. Sie müssen Rechte erhalten – entweder in einem gemeinsamen Staat oder in einem eigenen an der Seite Israels. Ein anderer Frieden ist nicht vorstellbar.

Wie wirkt sich das Vorgehen der US-Regierung generell auf den Friedensprozess aus? Haben sie mit dieser Symbolik jede Friedensinitiative quasi zunichte gemacht?

Der Friedensprozess ist ja bereits seit Jahren zum Stillstand gekommen. Aber die Bemühungen, ihn wieder anzustoßen, sind damit erst einmal zunichte gemacht worden. Der "Deal", den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner vorbereiten soll und mit dem der Nahost-Konflikt beendet werden soll, ist damit zu einer reinen Groteske geworden.

Welche Einflussmöglichkeiten hat die EU?

Die Meinungsunterschiede in der EU sind zu groß, um derzeit eine gemeinsame Haltung in Bezug auf Israel und Palästina durchzusetzen.

Wie ist die Rolle Saudi-Arabiens zu bewerten?

Das Misstrauen der Palästinenser gegenüber Saudi-Arabien ist sehr groß. Die Saudis haben ein starkes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Israel bekundet. Dies richtet sich vor allem auch gegen den Erzfeind Iran. Deshalb haben die Palästinenser den Verdacht, dass Saudi-Arabien hinter Trumps Aussage steht. Saudi-Arabien weist dies jedoch zurück und hat die Entscheidung des US-Präsidenten verurteilt.

Was bedeutet die Anerkennung Jerusalems für die arabische Welt?

In der arabischen Welt wird das sehr kritisch gesehen. Denn für sie ist Jerusalem eine bedeutende Stadt. Sie ist das drittwichtigste Heiligtum im sunnitischen Islam. Jerusalem soll der Ort gewesen sein, an dem Mohammed zu seiner Fahrt in den Himmel aufgestiegen ist. Und an der Klagemauer soll er sein Pferd angebunden haben. Weshalb die Klagemauer auch für Muslime, natürlich vor allem für Juden, eine große Rolle spielt. Jerusalem mit der Grabeskirche ist auch für die Christen der arabischen Welt von großer Bedeutung.

Die jüdische Bevölkerung wiederum knüpft an die beiden jüdischen Tempel an. An der Stelle, wo sie einst standen, befinden sich jetzt der Felsendom und die al-Aqsa-Moschee. Es gibt radikalisierte jüdische Kreise, die fordern, dass diese Gebäude verschwinden müssen, damit der Tempel wieder aufgebaut werden kann. Das ist mitnichten die Mehrheit, die das so sieht. Aber die kleinen radikalisierten Gruppen dringen immer mehr in den Mainstream vor.

Wird Israel den Druck auf die Palästinenser nun noch mehr erhöhen?

Ich glaube nicht, dass sich die Israelis dazu genötigt fühlen. Sie sind mit der Anerkennung momentan sehr zufrieden – durch alle politischen Lager hindurch. Und ein paar Länder, darunter die Tschechische Republik, haben sich den Amerikanern angeschlossen. Außerdem kann der Druck auf die Palästinenser im Grunde gar nicht größer werden. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie können sich nicht frei bewegen, können keine freie Wirtschaft betreiben, haben keine Rechte. Die Palästinenser wissen nicht, wie sie sich noch helfen sollen und wer ihnen jetzt überhaupt noch beistehen soll. Sie stehen vor dem Nichts und sind ratlos.

Läuft am Ende alles auf eine Einstaatenlösung hinaus?

Zumindest die israelische Politik läuft auf einen Einstaatenlösung hinaus. Die israelische Regierung macht immer wieder deutlich, dass sie keinen Staat Palästina an ihrer Seite haben will. Aber wie soll diese Lösung aussehen? Wollen sie den Palästinensern auf immer und ewig ihre Rechte vorenthalten? Das wäre dann ein Apartheitsstaat. Das wiederum weist Israel von sich.

Ist mit der Ankündigung Trump der Worst Case für die Palästinenser eingetreten?

Der Worst Case ist schon lange da. 80 Prozent der palästinensischen Bevölkerung in Ost-Jerusalem lebt unterhalb der Armutsgrenze. In den Schulen fehlen mindestens 1.000 Klassenzimmer. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Palästinensische Viertel sind von Gewalt geprägt. Die Palästinenser sind rechtlos und haben gerade einmal den Status von geduldeten Einwohnern. Diesen Status können sie jeder Zeit verlieren. Sie dürfen nicht wählen und haben keine Pässe.

Bettina Marx ist Nahost-Expertin und Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Davor arbeitete sie als Journalistin die die Deutsche Welle und als Korrespondentin im ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv.
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