Im Gaza-Streifen geht der Krieg trotz Feuerpausen weiter. Die israelische Armee verfolgt nach wie vor das Ziel, die Hamas zu vernichten. Unklar ist, was danach kommen soll.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Trotz der vereinbarten Feuerpausen geht der Angriff weiter. Nach neuesten Meldungen ist die israelische Armee nun tief in Gaza-Stadt eingedrungen. Auch um das Al-Shifa-Krankenhaus soll gekämpft werden. Die Klinik ist das größte Krankenhaus in Gaza. Für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ist das Ziel klar: Die Hamas muss vernichtet werden, koste es, was es wolle.

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Wie es danach weiter gehen soll im Gaza-Streifen, ist allerdings unklar. Außenministerin Annalena Baerbock plädierte bei ihrem Besuch in Israel vergangene Woche erneut dafür, eine Zwei-Staaten-Lösung nicht aus dem Blick zu verlieren. "Die historische Chance eines Friedens Israels mit seinen arabischen Nachbarn darf nicht kaputtgehen. Denn genau das ist das Ziel der Terroristen."

Auch die USA pochen laut Informationen des Nachrichtenportals "Politico" auf einen Plan für die Stunde null nach dem Ende der Herrschaft der Hamas. Hinter den Kulissen wird daher bereits überlegt, welche Möglichkeiten es geben könnte und versucht, auf diplomatischem Weg auszuloten, was gangbar ist.

Wie könnte also eine Zeit nach dem Krieg im Gaza-Streifen aussehen? Das sind die möglichen Optionen:

1. Annexion durch Israel

Der rechte Flügel inklusive der religiösen Zionisten um Finanzminister Bezalel Smotrich befürworten eine Kontrolle des Gaza-Streifens durch Israel. Manche Hardliner fordern sogar eine Annexion nach dem Vorbild der Golan-Höhen. Israels Premier Netanjahu hat im Interview mit dem US-Nachrichtensender ABC News den Eindruck hinterlassen, dass er ebenfalls dieses Ziel verfolge, dann aber davon Abstand genommen und erklärt, keine dauerhafte Kontrolle des Gaza-Streifens anzustreben und lediglich eine Demilitarisierung durchzuführen.

Peter Lintl ist Israel-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Gegenüber unserer Redaktion erklärt er: "Das wird aktuell in Israel diskutiert, allerdings nur von Leuten, die wenig zu sagen haben." Lintl hält diese Möglichkeit für äußerst unwahrscheinlich. Realistischer hält er eine Kontrolle durch das israelische Militär, jedoch keine Annexion. Das stützten auch die Aussagen von Premier Netanjahu. "Das kommt aber zu dem Preis, dass die israelische Armee täglich mit Konfrontationen rechnen muss", sagt Lintl.

2. Verwaltung durch die Palästinensische Autonomiebehörde

Die Palästinensische Autonomiebehörde unter Präsident Mahmud Abbas hatte bereits vor 18 Jahren den Gaza-Streifen regiert, bis 2006 die Hamas dort an die Macht kam und anschließend die verfeindete Fatah im Bruderkrieg von 2007 aus dem Gebiet vertrieb. Nun wäre eine erneute Verwaltung durch die Palästinensische Autonomiebehörde möglich, die aktuell das Westjordanland kontrolliert.

Peter Lintl hierzu: "Die Autonomiebehörde gilt ohnehin schon bei vielen Palästinenserinnen und Palästinensern als unbeliebt." Eine Verwaltung des Gaza-Streifens ohne einen politischen Horizont wie die Zwei-Staaten-Lösung könnte die Autonomiebehörde aufgrund der Differenzen unter den Palästinensern zum Zusammenbruch bringen.

3. Verwaltung durch die Staatengemeinschaft / Multinationale Friedenstruppe

Laut US-Magazin "Politico" überlegt die US-Regierung, eine multinationale Friedenstruppe im Gaza-Streifen zu stationieren, um die Gegend zu stabilisieren. Der ehemalige israelische Armeechef und Ex-Premier Ehud Barak hatte dagegen vorgeschlagen, den Gaza-Streifen unter die Kontrolle von arabischen Staaten wie Ägypten und Jordanien zu stellen, wie er im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" erklärte. Anschließend könne die Palästinensische Autonomiebehörde das Gebiet verwalten und mit finanzieller Hilfe von Katar und Saudi-Arabien wieder aufbauen. Dies wäre laut Nahost-Experte Lintl der einzig gangbare Weg für eine Fremdverwaltung des Gaza-Streifens.

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Politikwissenschaftler Lintl gibt aber zu verstehen, dass für alle möglichen Szenarien außer der Besetzung durch die Israelis eine politische Vision vonnöten ist. "Ohne sie wird es nicht gehen." Diese ist aber aktuell nicht absehbar: "Bereits vor dem 7. Oktober war eine Zweistaatenlösung, wie sie Außenministerin Annalena Baerbock angesprochen hatte, unwahrscheinlich, aber nach dem Terroranschlag und dem Krieg ist sie in noch weitere Ferne gerückt", sagt Lintl. Daher gebe es eklatante Hürden für alle drei Szenarien.

Zur Person

  • Peter Lintl ist Leiter des Projektes "Israel in einem konfliktreichen regionalen und globalen Umfeld: Innere Entwicklungen, Sicherheitspolitik und Außenbeziehungen" der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Verwendete Quellen

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