Der Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof, Karim Khan, hat Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef und dessen Verteidigungsminister beantragt. Sollte dieser erlassen werden, könnte die Bundesregierung in eine Bredouille geraten.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Lukas Weyell sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sei eine folgerichtige Entscheidung, den Anführer der Hamas, Jahia Sinwar, für seine Verantwortung am Massaker am 7. Oktober 2023 als internationalen Kriegsverbrecher zu verfolgen. "Angesichts der Gräueltaten des 7. Oktober, der andauernden Geiselhaft vieler Menschen und der ja weiterhin stattfindenden Angriffe der Hamas auf Israel ist dies nur folgerichtig", teilte eine Sprecherin der Bundesregierung gegenüber ZDFheute mit.

Mehr News zum Krieg in Nahost

Soweit war man sich bei der Bundesregierung einig. Deutlich kritischer reagierte man auf den Antrag auf Haftbefehl gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu, der gleichzeitig eingereicht wurde. "Die Bundesregierung weist jeden Anschein von Vergleichbarkeit auf das Entschiedenste zurück", so die Reaktion. Ansonsten wolle man abwarten, bis eine Entscheidung durch den Internationalen Strafgerichtshof getroffen sei.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Der Chefankläger Karim Khan hatte die ganz große Bühne gewählt, um seine Entscheidung, Anklage erheben zu wollen, zu begründen. Bei CNN saß er in einem exklusiven Interview der preisgekrönten internationalen Chefkorrespondentin Christiane Amanpour gegenüber. Im Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof wählte er seine Worte langsam und bedächtig, als er erklärte, neben den Hamas-Verantwortlichen für das Massaker am 7. Oktober auch den israelischen Regierungschef und Verteidigungsminister Yaov Galant mit Haftbefehl verfolgen zu wollen.

Pedro Sanchez

Spaniens Sanchez: Netanjahu gefährdet Zwei-Staaten-Lösung

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez geht hart mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ins Gericht: Dieser handle "nicht im Geiste des Friedens für Palästina" und gefährde mit seinem Vorgehen im Gazastreifen auch die Sicherheit für die eigenen Landsleute, sagte Sanchez im Parlament in Madrid.

Er warf ihnen vor, an einem "Vernichtungskrieg" als "Verbrechen gegen die Menschheit" beteiligt zu sein. Der Chefankläger nannte als Beispiele das Aushungern von Zivilisten, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Ausrottung und Mord, Verfolgung und andere unmenschliche Handlungen. Die israelische Regierung führe diese Handlungen absichtlich und systematisch durch, indem sie der Bevölkerung im Gaza-Streifen die Lebensgrundlage entziehe. Dazu gehöre die Unterbrechung von Wasser- und Stromleitungen, die Schließung der Grenzübergänge und die Behinderung humanitärer Hilfe.

Welche Gründe stecken hinter dem Antrag?

Christoph J. M. Safferling ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Unserer Redaktion erklärt er, der Internationale Strafgerichtshof sei oft dafür kritisiert worden, dass er zu einseitig ermittle. Dies sei zum Beispiel in Uganda der Fall gewesen, wo dieser nicht gegen die Regierung, sondern nur gegen die Rebellen ermittelte.

"Jetzt ermittelt er in beide Richtungen – und wird wieder kritisiert", so Safferling. Er begrüßt hingegen die Entscheidung, aufgrund des Verdachts gegen beide Seiten zu ermitteln. "Besteht der Verdacht, dass Straftaten begangen worden sind, muss das geklärt werden. Ein Antrag auf Haftbefehl ist da eine deutliche Ansage und Ausdruck eines rechtsstaatlichen Verfahrens."

Lesen Sie auch

Safferling sieht in dem Verfahren auch eine Maßnahme, um für mehr Humanität in dem Konflikt zu sorgen: "Es geht auch darum, ein Signal zu senden, dass beide Seiten den kriegerischen Konflikt beenden und alles dafür tun müssen, um die humanitäre Situation für die vielen unschuldigen Zivilisten schnell zu verbessern." Chefankläger Khan erklärte explizit in seinem Antrag, dass das Verfahren beendet wird, wenn die Kriegsparteien für ein Ende der Kriegsverbrechen sorgen – oder ein israelisches Gericht die Strafverfolgung übernimmt.

Wie wahrscheinlich ist ein Haftbefehl?

"Der politische Druck auf Karim Khan und nun die Vorverfahrenskammer ist sehr hoch. Die Vorverfahrenskammer muss über den Antrag, einen Haftbefehl gegen Führungspersonen Israels und der Hamas zu erlassen, entscheiden. Allerdings wird der Ankläger diesen Schritt nicht gegangen sein, wenn er nicht glauben würde, dass er juristisch überzeugende Argumente dafür hat", so Rechtsexperte Henning de Vries, Geschäftsführer am Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse (ICWC).

Das kann einen bis mehrere Monate dauern. Für den beantragten Haftbefehl reicht ein begründeter Verdacht aus, dass ein Verbrechen nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs begangen wurde. Rechtsexperte Safferling geht daher davon aus, dass genügend Beweise vorgelegt werden, um den Haftbefehl gegen Netanjahu und Galant zu erlassen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Wie verhält sich Deutschland?

Im Gegensatz zu den USA, China, Russland und Israel gehört Deutschland zu den Unterstützern des Internationalen Strafgerichtshofs und ist hinter Japan größter Geldgeber. Zuletzt bekräftigte die Bundesregierung die Unterstützung für die internationale Strafverfolgung und forderte, im Rahmen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine die Judikative zu stärken, um entschieden gegen Aggressor Wladimir Putin vorzugehen.

Nun könnte Deutschland in die Bredouille geraten, sollte es einen Haftbefehl geben und die israelische Regierung wie gewohnt das Partnerland für einen Staatsbesuch besichtigen wollen: "Wenn der Haftbefehl zugelassen wird, wäre Deutschland wie auch alle 124 Mitgliedsstaaten des Strafgerichtshofs verpflichtet, Netanjahu festzunehmen und an das Den Haager Gericht zu überstellen, sollte er das jeweilige Staatsgebiet betreten", so Völkerrechtler Safferling.

Zwingen kann der Internationale Strafgerichtshof die Bundesregierung nicht dazu, den Haftbefehl zu vollstrecken. Allerdings würde die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und die in die internationalen Organisationen erodieren, sollte Netanjahu auf deutschem Staatsgebiet unbescholten ein und aus gehen. Außenpolitisch wird es ein Balance-Akt für die Bundesregierung. Als Nachfolgestaat des Dritten Reiches ist die Verhaftung des israelischen Staatschefs mehr als heikel für die deutschen Behörden.

Rechtsexperte Henning de Vries ist sich daher nicht sicher, wie die Bundesregierung letztlich reagieren wird: "Erst, wenn der Haftbefehl Realität ist, werden wir sehen können, ob sich die Staaten an ihre Verpflichtung halten oder sich anders orientieren."

Über den Gesprächspartner

  • Christoph J. M. Safferling ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
  • Henning de Vries ist Geschäftsführer am Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse (ICWC).

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.