• Ina Scharrenbach ist Heimat- und Bauministerin in Nordrhein-Westfalen.
  • Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über die geplante Wohngeldreform, ihre Vorstellung von Heimat – und die Frage, ob Einfamilienhäuser noch zeitgemäß sind.
  • Zu den Wohnungsbauzielen der Bundesregierung sagt die CDU-Politikerin: "Ein bisschen mehr Realismus in der Baupolitik würde guttun."
Ein Interview

Frau Scharrenbach, die Bundesregierung verfolgt weiter das Ziel, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen. Was halten Sie davon?

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Ina Scharrenbach: Dieses Ziel passt nicht zu den Bedarfen in den einzelnen Bundesländern. Für Nordrhein-Westfalen würde das bedeuten, dass hier 80.000 neue Wohnungen entstehen müssten. Wir haben als Landesregierung schon 2021 ein eigenes Bedarfsgutachten in Auftrag gegeben. Danach brauchen wir bis 2025 im Durchschnitt 51.000 und bis 2040 im Schnitt um die 46.000 neue Wohneinheiten pro Jahr, also deutlich weniger.

Wäre das Ziel denn erreichbar?

Nein. In der Bundesrepublik werden im Schnitt pro Jahr mindestens 200.000 neue Wohnungen fertiggestellt. Für deutlich mehr würden die Grundstücke, die man dafür braucht, gar nicht zur Verfügung stehen.

Hinzu kommt die Frage: Gibt es genügend Fachkräfte, die Wohngebäude bauen? Bürgerinnen und Bürger haben derzeit schon Probleme, Handwerker zu finden.

Wir haben zurzeit Engpässe bei vielen Gewerken: bei den Dachdeckern etwa oder im Sanitär-, Heizungs- und Klimabereich. Diese Engpässe werden sich nur auflösen lassen, wenn man mehr Leute für diese Berufe gewinnt. Zimmermann, Dachdecker, Sanitär und Heizung – das sind absolute Zukunftsgewerke im Handwerk. Dafür brauchen wir die Auszubildenden und später auch Personen, die die Betriebe übernehmen. Kurzfristig ist das alles aber nicht leistbar. Ein bisschen mehr Realismus in der Baupolitik würde guttun.

Bundesbauministerin Clara Geywitz sagt auch: Es ist ökonomisch und ökologisch unsinnig, wenn jede Generation ihre eigenen Einfamilienhäuser baut. Das klingt in der Tat realistisch.

Das finde ich nicht. Die Menschen sollen selbst entscheiden, wie und wo sie wohnen wollen. Dazu gehören alle Arten von Wohngebäuden, die wir in Deutschland haben. In den 16 Bundesländern ist der Wohnungsmarkt sehr unterschiedlich, und wir haben wesentlich mehr Kleinstädte als Großstädte. Es wird nicht funktionieren, – überspitzt formuliert – in Kleinstädten nur noch sechsgeschossige Häuser zu bauen. Der Bund muss die Gegebenheiten in den Ländern und Regionen respektieren. Neugebaute Ein- und Zweifamilienhäuser haben heutzutage eine gute Energieeffizienz. Auch die Grundstücke und die Gebäude sind wesentlich kleiner als in den 50er oder 60er Jahren.

Aber der Flächenfraß ist doch ein Problem. Wenn ständig Neubaugebiete entstehen, gehen Naturraum und landwirtschaftliche Fläche verloren.

Es gibt aber auch eine Nachfrage nach Baugrundstücken. Wenn Kommunen Neubaugebiete ausweisen, spricht das für ihre Attraktivität. Auf der anderen Seite fördern wir in Nordrhein-Westfalen über das Programm „Jung kauft alt“ auch den Kauf von alten Gebäuden. Das ist auch eine Form von nachhaltiger Baupolitik. Wohnungsbaupolitik muss von der Situation vor Ort abhängen. Wir haben in Nordrhein-Westfalen eine deutliche Abnahme im Flächenverbrauch gegenüber früheren Jahrzehnten. Das spricht dafür, dass Städte und Gemeinden verantwortlich mit ihren Freiflächen umgehen.

"Für die Länder sind die Vorstellungen des Bundes schlicht ein Griff in die Länderkassen"

Die Bundesregierung will das Wohngeld reformieren. Also den Wohnkostenzuschuss, den Menschen erhalten, die knapp über der Grundsicherung liegen. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger soll von rund 700.000 auf zwei Millionen steigen. Ist das eine gute Idee?

Wir sind offen für eine Wohngeldreform. Das Wohngeld ist kompliziert. Es ist kein einfaches System für die Bürgerinnen und Bürger. Aber wenn die Bundesregierung die Anzahl der Empfänger deutlich ausweitet, muss sie die Leistungsfähigkeit der Kommunen im Blick behalten, die das am Ende umsetzen müssen. Der Bund fasst gerade Beschlüsse, ohne die anderen Ebenen einzubeziehen – und alle erfahren es hinterher aus der Zeitung. Das ist nicht im Sinne der Betroffenen. Wir haben auch in der Bauministerkonferenz sehr klargemacht, dass der Bund die Kosten tragen muss. Die Umsetzung liegt bei den Kommunen. Wenn man den Empfängerkreis deutlich ausweitet, brauchen sie mehr Personal.

Die Länder können beim geplanten Entlastungspaket aber auch nicht immer sagen: Wir wollen das nicht bezahlen. Schließlich bekommen die Länder fast die Hälfte der Steuereinnahmen.

Die Ministerpräsidentenkonferenz wird sich Ende des Monats mit diesem Thema befassen. Für die Länder sind die Vorstellungen des Bundes schlicht ein Griff in die Länderkassen: Deswegen gibt es zurzeit in vielen Ländern Widerstand gegen diese Art des Entlastungspaketes, die eben nicht mit den Ländern und vor allen Dingen nicht mit den Kommunen abgesprochen ist.

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"Nordrhein-Westfalen war immer ein Einwanderungsland und ist ein Einwanderungsland"

Sie sind nicht nur Bau-, sondern auch Heimatministerin. Nordrhein-Westfalen war vor fünf Jahren das zweite Bundesland mit einem solchen Ministerium. Was ist Heimat für Sie?

Für mich persönlich ist Heimat meine Stadt Kamen. Da bin ich groß geworden. Familie, Freunde, die ganze Mentalität im östlichen Ruhrgebiet – das ist meine Heimat. Wir legen als Landesregierung großen Wert darauf, Heimat nicht politisch zu definieren. Wir respektieren die regionalen Eigenheiten, die regionale Identität, und wir laden Bürgerinnen und Bürger ein, die gemeinsame Heimat zu gestalten. Heimat sind unsichtbare Wurzeln, die ein Mensch mitbekommt in seinem Leben. Die nimmt er immer mit, egal wo er hingeht, egal wo er herkommt.

Sie wollen Heimat nicht politisch definieren – aber Sie haben sie zu einem politischen Thema gemacht. Wie passt das zusammen?

Es ist wichtig, die lokalen Identitäten zu respektieren. Heimat gibt Struktur und Orientierung. Das hilft einer Gesellschaft, auch in unsicheren Zeiten beieinander zu bleiben. Deswegen unterstützen wir als Ministerium für Heimat insbesondere die zig Tausend Menschen in Nordrhein-Westfalen, die tagtäglich im Kleinen wie im Großen unsere Heimat durch ganz vielfältige Ideen gestalten und darüber Menschen verbinden.

Gehören zur Heimat auch Menschen, die aus anderen Ländern dorthin gekommen sind?

Ja, absolut. Nordrhein-Westfalen war immer ein Einwanderungsland und ist ein Einwanderungsland. Wir fördern als Landesregierung das Verbindende, nicht das Trennende. Was uns verbindet, das macht uns gemeinsam stark.

Heimat ist also immer auch ein Gefühl. Lässt sich ein Gefühl politisch vermitteln und stärken?

Ja, wir merken das an den vielen Projekten, die bei uns eingereicht werden. Wir haben seit 2017 rund 5.800 Projekte mit insgesamt 92 Millionen Euro gefördert. Es gibt in der Bevölkerung einen großen Willen, Heimat zu gestalten und mitzumachen. Es sind vor allem die Menschen vor Ort, die jeden Tag dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft zusammenbleibt und dass Jung und Alt und verschiedene gesellschaftliche Schichten zusammenkommen.

Ihre Partei – die CDUregiert in Nordrhein-Westfalen seit Kurzem zusammen mit den Grünen. Das ist eine Koalition, die bestimmte weltanschauliche Gräben überbrücken muss. Wie klappt das?

Wir haben einen gemeinsamen Geist gefunden. Durch den ganzen Koalitionsvertrag zieht sich das Ziel, ein klimaneutrales Industrieland zu werden. Die Zusammenarbeit lässt sich wirklich gut an. Natürlich gehören dazu intensive Diskussion, aber das macht gute Politik auch aus.

Die Transformation zu einem klimaneutralen Industrieland wird auch die Heimat der Menschen verändern – ob es um das Ende des Braunkohle-Tagebaus oder den Bau von Windrädern geht. Wie wollen Sie die Menschen da mitnehmen, die Angst haben vor zu viel Veränderung?

Im Rheinischen Revier begleiten wir zum Beispiel Projekte, die von Bürgerinnen und Bürgern vor Ort angestoßen wurden. Wir wollen dort die Heimat so dokumentieren, wie sie heute ist – weil wir wissen, dass sie morgen in der Form nicht mehr da ist. Auch das gehört dazu. Man muss eine Brücke zwischen der Jetzt-Gesellschaft und der Morgen-Gesellschaft bauen, also zwischen den aktuellen und den künftigen Generationen. Natürlich lassen sich nicht immer alle Kritikpunkte aus dem Weg räumen. Aber ein klimaneutrales Industrieland zu werden, das ist eben auch ein Zukunftsversprechen. Das wird Wohlstand und Beschäftigung nicht nur heute, sondern auch morgen sichern.

Zur Person: Ina Scharrenbach wurde 1976 in Unna geboren. Sie machte eine Ausbildung zur Bankkauffrau, studierte Betriebswirtschaft und arbeitete bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young. 2017 wurde die CDU-Politikerin Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen; seit diesem Jahr ist sie zusätzlich für die Digitalisierung zuständig. Zudem ist sie Mitglied im Präsidium der Bundes-CDU.
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