Es gibt Stimmen, die sagen: Die Deutschen müssen länger arbeiten. Der Ökonom Sebastian Dullien lehnt das ab. Auch mehr Beitragszahler stabilisieren das System, argumentiert er. Die Ampel geht derweil einen anderen Weg – über den Aktienmarkt.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wie lange sollen, ja müssen die Deutschen arbeiten? Noch bekennt sich die Politik zur Rente mit 67. Doch in der Debatte um die Zukunft der Alterssicherung heißt es immer wieder: Wenn die Lebenserwartung steigt, die Menschen also älter werden, muss auch der Rentenbeginn später sein. Aus dem Arbeitgeberlager hieß es zuletzt sogar: arbeiten bis 70.

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Sebastian Dullien hält von solchen Ideen nichts. "Nicht jeder hält bis 67 oder gar 70 durch", sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) unserer Redaktion. Der gewerkschaftsnahe Ökonom warnt davor, in der Rentenpolitik "etwas übers Knie zu brechen" – vor allem mit Blick auf die politischen Folgen.

Warum Rentenpolitik wieder dringend wird

"Es kann nicht sein, einfach das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre anzuheben. Und wer halt nicht so lange arbeiten kann, hat Pech gehabt und fällt in die Grundsicherung", sagt Dullien. "Das würde nur gesellschaftlichen Unmut schaffen – bis hin zu einer Stärkung der extremen Rechten."

Die Zukunft der Rente ist zuletzt wieder stärker in den Blickpunkt der politischen Debatte gerückt – auch vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden wirtschaftlichen Einbruchs und der demografischen Entwicklung. Die geburtenstarken Jahrgänge ("Babyboomer") sind kurz davor oder bereits dabei, in Rente zu gehen. Das setzt die Umlage – also ein System, in dem die Beschäftigten mit ihren Beiträgen die Auszahlungen der Rentner finanzieren – unter Druck.

Die Ampel-Koalition hat sich darauf verständigt, beim Renteneintrittsalter alles zu lassen, wie es ist. Auch der Beitragssatz soll bis zum Jahr 2026 stabil bei 18,6 Prozent bleiben. Allerdings muss der Bund schon heute über 100 Milliarden Euro aus dem Haushalt in die Rente zuschießen. Tendenz: steigend. Eine Entwicklung, die viele Experten beunruhigt. Zumal das Geld dann an anderer Stelle, etwas für Zukunftsinvestitionen, fehlt.

Wirtschaftsweise: Rentenalter automatisch an Lebenserwartung koppeln

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer findet, dass es nicht bei der Rente mit 67 bleiben könne. Sie hat in den Funke-Zeitungen vorgeschlagen, das gesetzliche Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln. Ihre Idee: Wenn die Menschen im Schnitt ein Jahr älter werden, sollte zwei Drittel dieser Zeit in Erwerbsarbeit gehen und ein Drittel in den Ruhestand – und zwar automatisch, ohne dass die Politik jedes Mal darüber entscheidet. Auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) hat bereits laut darüber nachgedacht, das Renteneintrittsalter wieder anzuheben.

Dabei ließe sich die Rente auch anders stabilisieren, sagt Sebastian Dullien, der gewerkschaftsnahe Forscher – nämlich über die Einnahmenseite, also mehr Beitragszahler. "Viel Potential gibt es bei Frauen, die häufig Teilzeit arbeiten", so Dullien im Gespräch mit unserer Redaktion. Das Problem sei: Viele Frauen würden gerne länger arbeiten, doch es fehlten schlicht Betreuungsplätze für Kinder. Hier könne Politik ansetzen.

"Auch Zuwanderung kann helfen. Wir haben in den letzten Jahren mehr Menschen aufgenommen als wir eigentlich – demografisch gesprochen – für die Stabilität des Rentensystems bräuchten", sagt Dullien. Allein aus der Ukraine seien zuletzt eine Million Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Diese Menschen müssten als Arbeitnehmer und Beitragszahler aktiviert werden. "Wenn wir dieses ganze Potential heben, wären wir schon ein paar Schritte weiter", sagt Dullien.

So will die Ampel die Rente zukunftsfest machen

Die Ampel geht derweil einen anderen Weg. Hinter den Kulissen arbeiten Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an einem Rentenpaket. Zum einen soll das Rentenniveau bei 48 Prozent fixiert werden, was für die SPD wichtig ist. Zum anderen soll es aber auch ein Kernanliegen der Liberalen enthalten – den Kapitaleinstieg in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Dabei legt der Staat über einen Fonds Geld am Kapitalmarkt an. Zehn Milliarden Euro jährlich plant die Regierung dafür ein. Ziel ist es, den Anstieg des Rentenbeitragssatzes zu dämpfen. Startschuss: schon bald. "Wir reden wahrscheinlich über das letzte Quartal dieses Jahres", hat FDP-Chef Lindner bereits im Juni unserer Redaktion gesagt.

Experten halten das Projekt allerdings für zu unambitioniert, um die Rente zu stabilisieren. Dafür bräuchte es einen dreistelligen Milliardenbetrag. So bleibt es wohl eher ein Reförmchen.

Zur Person: Sebastian Dullien ist seit 2019 Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Dullien studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten in Bochum und Berlin (FU). Vor seiner Professur für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der HTW Berlin war er Journalist bei der Financial Times Deutschland.
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