In der Serie "Zukunft Deutschland" beleuchtet unsere Redaktion Herausforderungen, vor denen das Land steht – und die Chancen, die sich daraus ergeben. Dieses Mal geht es um die Rente. Die demografische Entwicklung setzt ihr zu. Für Panik aber besteht kein Grund.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Dieser Text soll mit einem Blick in die Presse beginnen. Eine lose Auswahl der Schlagzeilen zum Thema Rente: "System vor dem Kollaps", "Zeitbombe in der Rentenversicherung" oder "Deutschland steuert auf Katastrophe zu".

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Es sind Leitmedien, gedruckt und online, von linksliberal bis konservativ, die so berichten. Und die – nicht zum ersten Mal – den Eindruck erwecken: Es steht schlecht um die Rente, sehr schlecht sogar.

Dabei hat doch Norbert Blüm, der frühere CDU-Arbeitsminister, einst versprochen: Die Rente ist sicher. Ein Satz, der sich ins Gedächtnis der Deutschen einbrennen sollte. Das war 1986.

Und heute? Das Land wird älter, grauer. Und viele Menschen, nicht nur die Jungen, fragen sich: Was wird im Alter, gibt es dann überhaupt noch eine Rente?

Die wirtschaftliche Lage befeuert die Diskussion um die Rente

Jahrelang war Rentenpolitik in Deutschland nebensächlich. Die Wirtschaft prosperierte. Die Politik sprach vor allem übers Verteilen – und nicht über die Probleme bei der Rente. Das ist inzwischen anders. Die Rentendiskussion hat wieder an Bedeutung gewonnen. Sie fällt in eine Zeit, in der die ökonomische Lage von Unsicherheit geprägt ist.

Das Land schlittert in eine Rezession, die Wachstumsaussichten sind mau und die Inflation ist dabei, sich zu verfestigen. All das belastet die sozialen Sicherungssysteme. Zudem werden die Deutschen nicht nur immer älter – sie gehen auch wieder früher in Rente. Aus dem Arbeitgeberlager hieß es zuletzt, dass Arbeit bis 70 kein Tabu mehr sein dürfe.

Und ist es nicht so: Ein höheres Renteneintrittsalter könnte, gerade in dieser Gemengelage, durchaus helfen, etwas Druck vom Kessel zu nehmen und das System finanzierbar zu halten; ja zu retten, was zu retten ist – oder?

"Die Rente steht nicht vor dem Kollaps"

Johannes Geyer, DIW-Ökonom

Johannes Geyer wundert sich manchmal, wie über das Thema diskutiert wird. Er beschäftigt sich am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Sozialversicherungen. Als Ökonom hat Geyer einen nüchternen Blick auf die Dinge. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagt er: "Die Rente steht nicht vor dem Kollaps". Die Angst, am Ende eines langen Arbeitslebens keine Leistungen mehr zu bekommen, hält Geyer für übertrieben.

Warum der Arbeitsmarkt entscheidend für die Rente ist

Dafür muss man verstehen, wie das Rentensystem funktioniert. In der Umlage finanzieren die Beschäftigten mit ihren Beiträgen die Auszahlungen der Alten. Permanent wird Geld umverteilt. "Solange es einen funktionierenden Arbeitsmarkt gibt, wird es auch eine umlagefinanzierte Rente geben können und sie wird für die Allermeisten auch der wichtigste Einkommensbaustein im Alter bleiben", sagt Geyer.

Ein System, das auf den Abgrund zurast? Mit solchen Zuschreibungen kann der Ökonom wenig anfangen, er hält sie für übertrieben. Auch die Zahlen geben es nicht her.

Trotz Krise: Die Rentenkasse meldet Milliarden-Plus

Die Deutsche Rentenversicherung konnte das Krisenjahr 2022 mit einem Plus von 2,1 Milliarden Euro abschließen. Zum 1. Juli erst sind die Renten um 4,39 Prozent im Westen gestiegen, im Osten sogar um 5,86 Prozent. Blickt man auf die letzten Jahre, hat sich die finanzielle Lage in der Rentenversicherung deutlich besser entwickelt als gedacht.

Lesen Sie auch die bisherigen Teile unserer Serie "Zukunft Deutschland":

Das ist vor allem ein Verdienst des robusten Arbeitsmarktes, der bislang allen Widrigkeiten getrotzt hat. Ob nun Corona oder Ukraine-Krieg: Seit über drei Jahren befindet sich das Land im Krisenmodus. Doch die Beschäftigung stieg auf ein Rekordniveau. Im letzten Jahr lag sie bei rund 45,6 Millionen Menschen. Das ist die eine Seite.

Die andere ist: Deutschland wird immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren. Und natürlich setzt das ein System unter Druck, das darauf angewiesen ist, dass immer neue Beitragszahler nachkommen. Zumal die Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1957 und 1969, schon dabei oder kurz davor sind, in Rente zu gehen.

Rente unter Druck: Diese Alternativen gibt es

Es besteht also Handlungsbedarf. Nur wie? Prinzipiell lässt sich das System über verschiedene Stellschrauben stabilisieren. Jede hat Vor- und Nachteile. Zur Auswahl stehen: die Beitragshöhe, das Renteneintrittsalter, das Rentenniveau und die Zahl der Beitragszahler – oder eine Kombination aus allem. "Es gibt nicht die eine Maßnahme, um die Rente zukunftsfest zu machen", sagt Ökonom Geyer.

Zumindest beim Renteneintrittsalter soll alles so bleiben, wie es ist. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits klargemacht, dass er an der Rente mit 67 festhalten möchte. Dieser Hebel fällt also weg. Dabei würde eine höhere Altersgrenze in der Rente relativ schnell wirken. Der Nachteil: Ein solcher Schritt ist extrem unpopulär. Und damit politisch heikel.

Das bedeutet die "doppelte Haltelinie" bei der Rente

Bei Rentenniveau und Beitragssatz hat sich der Gesetzgeber auf die sogenannte doppelte Haltelinie verständigt: Das Rentenniveau – eine statistische Größe, die Renten und Löhne ins Verhältnis setzt – liegt aktuell bei 48,1 Prozent. Es soll, geht es nach der Ampel, auch nicht viel tiefer fallen. Dabei heißt ein sinkendes Rentenniveau nicht, dass die ausgezahlte Rente sinkt. Es heißt lediglich, dass die Löhne schneller steigen als die Renten.

Die zweite Haltelinie ist der Beitragssatz in der Rentenversicherung, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen. Aktuell liegt er bei 18,6 Prozent – und soll bis zum Jahr 2026 stabil bleiben. Projektionen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, dass der Beitragssatz bis 2060 – vorausgesetzt, es bleibt bei der Rente mit 67 – auf 23,6 Prozent steigen könnte. Was zunächst nach nicht viel klingt, ist aber ein Problem: Die Lohnnebenkosten sind schon heute hoch und auch die anderen Sozialversicherungen geraten durch die Alterung der Gesellschaft unter Druck. Die Frage also ist: Was ist Wirtschaft und Beschäftigten finanziell zuzumuten?

Der Linken-Rentenexperte Matthias W. Birkwald hat eine Idee. Er würde die Rente so umwandeln, dass "auch Beamtinnen und Beamte, Selbstständige, Freiberufliche und allen voran Bundestagsabgeordnete einzahlen", wie er unserer Redaktion sagte. Mehr Beitragszahler im System heißt schließlich mehr Geld.

Ein Vorschlag, der auch unter Ökonomen immer wieder diskutiert wird. Das Nebeneinader verschiedener Rentensysteme mit unterschiedlichen Privilegien ist nicht nur aus Gründen der Effizienz fraglich. Es entsteht auch ein Gerechtigkeitsproblem. SPD und Grünen würden es gerne ändern, doch die FDP sperrt sich.

Kapitaldeckung: Von der Aktienrente der FDP ist nicht viel übrig geblieben

Also geht die Ampel einen anderen Weg. Sie will die Rente durch mehr Kapitaldeckung stabilisieren. Was die Regierung plant, hat allerdings nicht mehr viel mit der von den Liberalen im Bundestagswahlkampf versprochenen Aktienrente zu tun.

Vereinfacht gesagt lautet der neue Fahrplan: Der Staat baut einen Kapitalstock auf, legt das Geld am Aktienmarkt an und mit den Erträgen soll der Anstieg der Beitragssätze in der Rentenversicherung gebremst werden. Es geht also nicht (mehr) darum, die individuelle Rentenauszahlung zu erhöhen.

Wer mit Ökonomen über das Konzept spricht, hört vor allem eines: Es kommt zu spät, ist zu zaghaft, Chance vertan. DIW-Forscher Johannes Geyer sagt: "Die Rentenversicherung gibt pro Tag umgerechnet etwa eine Milliarde Euro aus. Die Regierung plant mit einer Kapitaldeckung von zehn Milliarden Euro im Jahr. Das zeigt bereits: Es sind Peanuts".

Rentendebatte: Es ist eine politische Frage, wie das System ausgestaltet sein soll

Auch Linken-Rentenexperte Birkwald kann der Idee nichts abgewinnen – wenn auch aus anderen Gründen. "Die Probleme des demografischen Wandels werden dadurch nicht gelöst. Die Renditen am Kapitalmarkt müssen ebenfalls von der jüngeren Generation erwirtschaftet werden", sagt er unserer Redaktion.

Was dann? Die Diskussion mit all ihren Möglichkeiten, den jeweiligen Für und Wider samt unterschiedlicher Auswirkungen zeigt: Es ist weniger eine wirtschaftliche, als vielmehr eine politische Frage, wie das Rentensystem ausgestaltet sein soll. Und wie üppig die Bezüge ausfallen.

Ökonom Geyer sieht die Lösung des Problems vor allem im Arbeitsmarkt. Deutschland braucht mehr Zuwanderung, vor allem von Hochqualifizierten, eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen, mehr Vollzeitstellen und weniger Minijobs. Das Lohnniveau ist entscheidend für die Stabilität des Rentensystems.

Denn die Krisen der letzten Jahre haben gezeigt: Wenn der Arbeitsmarkt rund läuft, geht es auch der Rente gut. Und die eingangs erwähnten Horrorszenarien für die Rente bleiben weiter aus.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Johannes Geyer, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
  • Schriftliche Stellungnahme von Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Linken
  • Deutsche Rentenversicherung: Rentenanpassung 2023: Renten steigen wieder deutlich
  • Deutsche Rentenversicherung: Solide Rentenfinanzen auch im Krisenjahr
  • Institut der deutschen Wirtschaft: Höhere Regalaltersgrenze: 68 reicht nicht
  • FAZ.net: Was bei der Rente schiefläuft
  • t-online.de: Das können wir uns nicht mehr leisten
  • taz.de: System vor dem Kollaps
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