Deutschland müsse jetzt neue Schulden machen und in die Zukunft investieren, sonst drohe der wirtschaftliche Abstieg, sagt die Ökonomin Isabella Weber.
Die in den USA lehrende deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin Isabella Weber hat den derzeitigen Sparkurs der Bundesregierung in Folge des Verfassungsgerichtsurteils als "wirtschaftspolitischen Wahnsinn" kritisiert. "Wenn die Bundesregierung jetzt nicht investiert, wird Deutschland als Wirtschaftsstandort Wettbewerbsfähigkeit verlieren", sagte die Ökonomin dem Berliner "Tagesspiegel". In der gegenwärtigen Lage zu sparen sei makroökonomisch nicht zu rechtfertigen und führe unter internationalen Expertinnen und Experten zu Kopfschütteln.
Deutschlands Sparsamkeit hat auch Auswirkungen auf die Demokratie
Deutschland riskiere dadurch, die wirtschaftliche Substanz des Landes weiter verfallen zu lassen und Wachstum abzuwürgen, sagte Weber. Hintergrund der kürzlich vereinbarten Sparbeschlüsse der Bundesregierung für eine ganze Reihe von Bereichen ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November, durch das im Bundeshaushalt 2024 etwa 17 Milliarden Euro fehlen.
Die Ökonomin warnte auch vor negativen Folgen der Sparsamkeit für die Demokratie. "Die demokratischen Parteien Deutschlands müssten jetzt zusammenarbeiten, um den fiskalischen Spielraum zu sichern, der notwendig ist, um den Abstiegsängsten etwas entgegenzusetzen und dem Aufstieg der AfD Einhalt zu gebieten", sagte sie dem "Tagesspiegel".
Weber forderte vor diesem Hintergrund eine Reform der Schuldenbremse und eine Verlängerung der Energiepreisbremsen. "Die Schuldenbremse ist seit 14 Jahren eine Zukunftsbremse gewesen", sagte Weber, es sei allerhöchste Zeit, das Ruder herumzureißen.
Weiter führte sie aus: "Die Schuldenbremse allen notwendigen Investitionen überzuordnen und eine Rezession hinzunehmen, destabilisiert Wirtschaft und Gesellschaft." Ganz besonders nimmt Weber hier die FDP in die Pflicht. Ihr "gebetsmühlenartiges" Predigen des Spargebots würde verhindern, dass die wirtschaftspolitischen Herausforderungen angegangen würden. "Gleichzeitig gelingt es den Grünen und der SPD nicht, gemeinsam eine standhafte Alternative aufzustellen."
Schuldenbremse als "deutscher Fetisch"
In dem Interview mit dem "Tagesspiegel" teilte sie noch weiter aus. "In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage ist dieser Kurs (Festhalten an der Schuldenbremse, Anm. d. Red.) aber makroökonomisch kaum zu rechtfertigen und erntet unter internationalen Ökonom:innen verschiedener Couleur Kopfschütteln. Der 'Economist' bezeichnet die Schuldenbremse gar als deutschen Fetisch."
Jüngste Umfrageergebnisse zeigen, dass 65 Prozent der Deutschen an der Schuldenbremse festhalten wollen. Dazu hat Weber ebenfalls eine klare Meinung. "Würde man die Leute anstatt abstrakt zur Schuldenbremse dazu befragen, ob sie pünktliche Züge, saubere Luft, bessere Kinderbetreuung und Schulen, attraktive öffentliche Naherholung, ein verlässliches Mobilfunknetz und schnelles Internet wollen, findet das sicherlich viel Zustimmung."
Zu den zum Jahresende ausgelaufenen Preisbremsen sagte sie, das vorzeitige Abschaffen schaffe "neue Unsicherheit, die Investitionen und privaten Konsum bremsen dürfte". Eine Abschaffung pünktlich zu den kältesten Monaten des Jahres sei zudem für das Vertrauen in den Staat inmitten einer Vertrauenskrise nicht förderlich. (afp/the)
Weitere News gibt's in unserem WhatsApp-Kanal. Klicken Sie auf "Abonnieren", um keine Updates zu verpassen.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.