Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen. Doch das genügt nicht – auch nicht Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte das 100. Jubiläum zum Frauenwahlrecht mit einem deutlichen Appell eingeläutet: "Das Ziel muss Parität sein, Parität überall." Eine Frauenquote im Bundestag könnte Experten zufolge in der Tat zu mehr Gleichberechtigung im Bundestag beitragen - und damit auch die Politik an sich verändern.

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Der Berliner Politikwissenschaftler und ehemalige SPD-Abgeordnete Prof. Nils Diederich kritisiert im Gespräch mit unserer Redaktion, Angela Merkel habe einen Begriff benutzt, ohne ihn genau zu erklären oder mit praktischen Vorgaben zu verbinden.

Das Schlagwort Parität meine mehr als "nur" Gleichberechtigung oder Chancengleichheit, es bedürfe einer Definition: "Parität bedeutet, dass beide Seiten das gleiche Gewicht haben, auch wenn sie zahlenmäßig unterschiedlich sind", beispielsweise in Schiedskommissionen oder bei Tarifverhandlungen.

In der Praxis wird Parität zum Beispiel von den Parteien durch das "Reißverschlussprinzip" gewährt: Grüne und die Linke etwa vergeben Listenplätze für alle Ämter und Mandate streng nach Quote: Jeder zweite Platz gehört einer Frau – und zwar auch dann, wenn Frauen unter den Parteimitgliedern in der Unterzahl sind.

Die CSU dagegen quotiert nur die Parteiämter, nicht die Mandate. Und die AfD lehnt jede Art von Quote ab, verbietet in § 17 (2) ihrer Satzung sogar jede parteiinterne Frauenorganisation. Fortschrittlicher ist man in Tunesien: Dort ist die geschlechterparitätische Besetzung von Wahllisten gesetzlich vorgeschrieben.

Reißverschluss reicht nicht – die Quote hilft

Parität im Parlament lässt sich allerdings auch per Reißverschluss nicht erreichen. Denn das letzte Wort hat der Wähler, der etwa durch die Wahl von Direktkandidaten die Listen der Parteien deutlich durcheinanderwirbeln kann.

"Zwingende Vorgaben zur Geschlechtszugehörigkeit der Abgeordneten wären nicht möglich", betont Nils Diederich, "das würde gegen das Grundgesetz verstoßen."

Der Wissenschaftler, der schon in den 70ern der ersten "Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft" des Bundestages angehörte, ist skeptisch, ob gesetzliche Vorgaben nützlich wären: Es gehe bei der Beteiligung von Frauen "um eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung und ein verändertes Bewusstsein der Menschen über Gleichheit", das sich nur allmählich wandle.

Trotzdem findet Diederich, Quotierung könne "zu mehr Beteiligung von Frauen ermuntern und dadurch Veränderungen bewirken".

Jana Belschner ist ganz sicher, dass die Quote hilft. Die Politikwissenschaftlerin ist Mitautorin des "Paritäts-Wegweisers" der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF) und arbeitet an der Universität Bergen in Norwegen zum Thema Geschlechts- und Altersquoten in politischen Parteien.

Die Quote, so Belschner im Gespräch mit unserer Redaktion, sei "nicht das einzige, aber ein sehr wichtiges Werkzeug", um den Frauenanteil in Institutionen "auf ein bestimmtes Level zu heben."

Man könne Frauen fördern, wie das die skandinavischen Länder über Jahrzehnte getan haben: Mit vielen Gleichstellungsmaßnamen auf vielen Ebenen über lange Zeiträume. Doch um die Ergebnisse solcher Maßnahmen abzuwarten, müsse man auch "viel Geduld aufbringen".

Denn in den westeuropäischen Demokratien "tut sich ab einem Anteil von etwa 30 Prozent nicht mehr viel" bei der Beteiligung von Frauen am politischen Prozess.

Quotenvorgaben seien das richtige Instrument, um schneller ans Ziel zu gelangen: "Wenn die Quote verpflichtend ist, wird sie auch umgesetzt. Und dann kann man in überschaubaren Zeiträumen von 30 auf 40 Prozent kommen oder von 40 auf 48."

"Würde sogar bei Freien Wählern funktionieren"

Aus ihren Forschungen über die Anwendung von Frauenquoten in anderen Ländern weiß Belschner: "Mithilfe der Quote kann man relativ große Schritte machen." Auch in schwierigeren Fällen.

Belschner ist sich sicher: "Das würde auch bei den Freien Wählern in Bayern funktionieren."

Die neu im bayerischen Landesparlament vertretene Partei ist, was den Frauenanteil anbelangt "noch schlimmer als die CSU", wie die "Süddeutsche Zeitung" spottet, und hat trotz ihrer Regierungsbeteiligung kaum Frauen in Spitzenpositionen gehievt. Die Partei könnte sich Anregungen in anderen Ländern holen.

In Europa schreiben beispielsweise Spanien (40 Prozent) und Portugal (33 Prozent) den Parteien Frauenquoten vor, Frankreich hat sogar eine Paritätsquote, fordert also 50 Prozent.

Für die politischen Parteien müsse das letztlich kein Problem sein, meint Belschner: "Auch bei den kleinen Parteien gibt es eine große Nachfrage nach Listenplätzen und Direktmandaten und auch genügen weibliche Kandidaten – sie müssen also lediglich Verfahren entwickeln, wie sie diese Plätze paritätisch verteilen."

Kritikern, die in solchen Verfahren eine Einschränkung der Wahlfreiheit und damit der Demokratie sehen, hält die Forscherin entgegen, die Parteien berücksichtigten bei Ämtervergabe und Listenaufstellung schon immer eine Reihe von Vorgaben.

Beispielsweise würden Kandidaten oft nach einem bestimmten Regionalproporz aufgestellt, der sicherstellen solle, dass alle Landesteile auf der Liste repräsentiert seien.

Schnellere Veränderungen durch mehr Frauen

Doch auch Belschner schränkt die Erwartung an Quotierungen ein: Parität könne "natürlich kein Garant sein" für eine wirkliche und durchgreifende Gleichberechtigung von Frauen.

Trotzdem sei gerade die paritätische Beteiligung von Frauen am politischen Prozess und an der Gesetzgebung von einschneidender Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung. Darauf etwa, wie die Verteilung von Erziehungs- und Hausarbeit geregelt werde, hätten Politik und Gesetzgebung erheblichen Einfluss.

Viele Veränderungen würden von oben nach unten durchgesetzt – vieles werde sich deshalb schneller ändern, "wenn mehr Frauen in den Parlamenten mitreden können".

Dass bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau weiterhin viel Luft nach oben ist, hatte die Kanzlerin in ihrer Rede zum Frauenwahlrecht bereits deutlich gemacht.

Während in den USA in 90 Prozent der großen Unternehmen Frauen in Spitzenpositionen tätig seien, so Angela Merkel, liege der Wert in Deutschland bei gerade mal 16,7 Prozent.

Bis zur Parität ist es also nicht nur bei den Freien Wähler noch ein weiter Weg.

Verwendete Quellen:

  • Spiegel online: Merkel zur Gleichberechtigung "Das Ziel muss Parität sein, Parität überall"
  • Gespräch mit Jana Belschner
  • Gespräch mit Prof. Nils Diederich
  • Helga Lukoschat / Jana Belschner: Parität in der Politik: Ein Wegweiser. Berlin, 1. Auflage 2016.
  • Bundessatzung der AfD vom 29.11. 2015, Stand 1.7. 2018
  • Süddeutsche Zeitung: "Die Freien Wähler sind noch schlimmer als die CSU"
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