Steigt die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen rapide an? Nach dem Mord an der zwölfjährigen Luise sprachen Gäste wie der Kriminalbeamte Sebastian Fiedler bei "Markus Lanz" am Donnerstagabend über die Strafverfolgung von Minderjährigen und die möglichen Spätfolgen der Corona-Pandemie.
Der Tod der zwölfjährigen Luise bewegt das ganze Land - und hat eine alte Debatte neu entfacht: Sollten auch Kinder schon für Straftaten zur Verantwortung gezogen werden? Das Mädchen wurde am 11. März mutmaßlich von zwei gleichaltrigen Mädchen mit einem Messer ermordet. Zu dem Tatmotiv oder weiteren Hintergründen ist bislang nichts bekannt. Bei "
Das ist das Thema bei "Markus Lanz"
Am vergangenen Sonntag wurde der leblose Körper der erst zwölfjährigen Luise gefunden. Das Mädchen wurde im nordrhein-westfälischen Freudenberg mit mehreren Messerstichen getötet. Dies ging aus einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Koblenz hervor. Demnach sollen zwei verdächtige Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren, die Medienberichten zufolge Mitschülerinnen von Luise waren, die Tat bei Vernehmungen gestanden haben.
Auch bei "Markus Lanz" löste der Mord an Luise eine Debatte aus, in der es unter anderem um die Strafmündigkeit von Minderjährigen und den Einfluss von Social Media auf die Psyche Jugendlicher ging. Dabei machte vor allem Pädagogin Birgit Kimmel deutlich, dass die Anzahl der weltweiten Mobbing-Opfer stetig ansteigt.
Das sind die Gäste
- Sebastian Fiedler, Kriminalbeamter und SPD-Politiker: "Ein Gefängnis-Aufenthalt verfestigt eher die Kriminalkarriere."
- Sibylle Winter, Kinderpsychiaterin und leitende Oberärztin der Klinik für Psychiatrie im Kindes- und Jugendalter der Berliner Charité: "Fälle wie in Freudenberg gibt es nur ganz, ganz selten - aber es gibt sie."
- Birgit Kimmel, Pädagogin und Leiterin der EU-Initiative "klicksafe": "Mobbing-Opfer müssen sich das Grauen mittlerweile 24 Stunden am Tag gefallen lassen."
- Marcus Engert, Journalist und Investigativreporter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und SZ, über ein anderes Thema: "Mit illegalem Holzhandel wird mittlerweile annähernd so viel Geld verdient wie mit Drogen."
Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"
"Nimmt die Gewalt unter Kindern und Jugendlichen zu und wie entsteht sie?", stellte Markus Lanz als Kernfrage in den Raum. Kinderpsychiaterin Sibylle Winter gab zunächst Entwarnung und stellte klar: "Fälle wie in Freudenberg gibt es nur ganz, ganz selten - aber es gibt sie."
Der Mord an Luise löste dennoch bei den Gästen am Donnerstagabend Betroffenheit und Fassungslosigkeit aus. "So geht es wahrscheinlich allen, die Kinder haben", räumte der SPD-Politiker und Kriminalbeamte Sebastian Fiedler ein. "Es gibt ja nicht so viele Antworten und die Tat eignet sich nicht für eine politische Überschrift." Auch Kinderpsychiaterin Sibylle Winter warnte vor Spekulationen und betonte immer, dass angesichts der Seltenheit von Gewalttaten junger Menschen zu wenig Wissen vorliege, um belastbare Aussagen zu tätigen.
Das brachte Markus Lanz dazu, über mögliche Motive zu sprechen, denn: "Was für Kinder ein Motiv ist, muss für Erwachsene nicht unbedingt zu verstehen sein." Kinderpsychiaterin Sibylle Winter bestätigte: "Da gibt es manchmal ganz nichtige Gründe. Manche Jugendliche versuchen sich beispielsweise wegen einer zu hohen Handy-Rechnung im Affekt das Leben zu nehmen."
Für die mutmaßlichen Täterinnen im Fall der zwölfjährigen Luise scheint es vorerst keine strafrechtlichen Folgen zu geben, da in Deutschland die Strafmündigkeit erst ab dem 14. Lebensjahr beginnt. Sebastian Fiedler sprach sich bei "Markus Lanz" dennoch gegen eine Senkung der Strafmündigkeit aus, da "so ein Jugendstrafverfahren nach völlig anderen Maßstäben" stattfinde: Dort stünde "nicht der Sühnegedanke im Vordergrund". Die Forderung zur Alterssenkung im Bereich der Strafmündigkeit stelle für den Beamten zudem "eine gesellschaftliche Hilflosigkeit" dar. Beim Blick in andere Länder mit einer früher angesetzten Strafmündigkeit zeige sich zudem: Eine Inhaftierung "verfestigt eher kriminelle Karrieren, als dass es zu einer Lösung beiträgt.“
Markus Lanz fragte jedoch kritisch: "Sollten Menschen, die schlimme Dinge getan haben, nicht bestraft werden?" Pädagogin Birgit Kimmel antwortete prompt: "Eine retrospektive Sanktion wird das Verhalten in seltenen Fällen verbessern. Was wir brauchen für unsere Jugendlichen, sind Möglichkeiten einer Wiedergutmachung ihrer Tat."
Vor allem Social Media soll in der heutigen Zeit einen großen Einfluss auf die psychische Gesundheit vieler Kinder haben. Birgit Kimmel erklärte dazu: "Zwischen zwölf und 15 Jahren geht es um die Identitätsentwicklung. Auf Social Media können sie sich ausprobieren." Doch das Internet biete nicht nur positive Aspekte. Markus Lanz stellte in der Sendung fest: "Es ist erschreckend, wie viele Kinder berichten, Opfer von Mobbing und sexueller Gewalt zu werden."
Die Pädagogin ergänzte: "International sind es eins von drei Kindern. Vor allem in der Pubertät haben wir da die Spitzen. Die Opfer von Cybermobbing werden mittlerweile 24/7 gemobbt. Das, was in der Klasse analog läuft, geht digital weiter." Kimmel warnte abschließend jedoch: "Wir sprechen über die Eskalationsspitzen der Gewalt, müssen aber bei den Auslösern anfangen."
Das ist das Rede-Duell des Abends
Markus Lanz ließ dennoch nicht locker, als es um die steigenden Zahlen der Kinder-Kriminalität ging. Er zählte mehrere Fälle auf und fragte in die Runde: "Wir haben da ein Problem mit steigender Jugend- und Kinder-Kriminalität. Woher kommt das?"
Kinderpsychologin Sibylle Winter versuchte daraufhin, eine Antwort zu finden: "Es sind ja vermehrt die Zwölf- und 13-Jährigen. Wir haben Corona gehabt und hatten drei Jahre lang ein eingeschränktes Leben. Diese Jugendlichen sind am Anfang ihrer Pubertät damit konfrontiert gewesen - auch durch die Schulschließungen. Ich glaube schon, dass das Folgen hatte. Wir haben in den Kinder-Psychatrien mittlerweile keinen Platz mehr. Viele Dinge wie soziale Kompetenzen kann man so schnell nicht nachholen und erlernen." Der Kriminalbeamte Sebastian Fiedler sah dies nüchterner und gab zu bedenken: "Kriminalität im Jugendalter ist eigentlich an der Tagesordnung. In der überwiegenden Zahl hören aber alle auf damit, weil sie einen gewissen Reifegrad erreichen."
Markus Lanz hakte erneut nach: "Das erklärt für mich nicht die Fälle. Ich bin ja nur ein Küchen-Psychologe." Sibylle Winter legte nach: "Aggressives Verhalten zeigt sich sehr früh - schon im Grundschulalter", werde aber oft "bagatellisiert". "Ich erlebe, dass da wenig passiert und nicht psychiatrisch und psychotherapeutisch behandelt wird. Dann kann sich ein Teufelskreis entwickeln. Da sollte, wie bei jeder Krankheit auch, frühzeitig interveniert werden. Psychische Erkrankungen brauchen lange Zeit, bis sie sich entwickeln und genauso lange, bis sie behandelt werden können."
Der Moderator ergänzte fassungslos: "Kinder sind ja zutiefst emphatische Wesen. Was hat sich da verändert?" Sibylle Winter gab daraufhin zu: "Es hat sich sicherlich etwas verändert. Es hat eine Auswirkung, wenn die Eltern nur am Handy hängen oder über Jahre nur mit Maske herumgelaufen sind. Das Kind kommt ja nicht fertig auf die Welt, sondern lernt bestenfalls von dem emphatischen Umgang der Eltern."
Das von Lanz eingeworfene Zitat des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft in NRW, Erich Rettinghaus, Zwölfährige seien heute wie 16-Jährige, konterte Winter: "Das erlebe ich nicht so." Körperlich seien manche früher reifer, aber kognitiv könne sie das nicht bestätigen.
So hat sich Markus Lanz geschlagen
Lanz moderierte ein anregendes, aber respektvolles Gespräch zum Thema "Gewalttätigkeit bei Kindern". Mit kritischen und direkten Fragen schaffte er es, den Bogen zwischen der Suche nach einem Tatmotiv und den Folgen von Social Media und dem Corona-Lockdown zu spannen. Dem ZDF-Moderator war anzumerken, dass das Thema auch an ihm nicht spurlos vorbeiging. Er ließ mehrmals durchblicken, wie wichtig es ihm ist, innerhalb der Sendung klare Informationen und Eckpfeiler für seine Zuschauer zu bieten und berief sich immer wieder auf die "Gefühle" in der Bevölkerung.
Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"
Während bei "Markus Lanz" häufiger herzhaft diskutiert und leidenschaftlich gestritten wird, ging es am Donnerstagabend eher ruhiger zu. Nach dem Mord der zwölfjährigen Luise zeigte sich nicht nur der ZDF-Moderator, sondern auch die anwesenden Gäste durchaus betroffen. Dennoch schaffte es die Runde, mit klaren Aussagen und hilfreichen Wegweisern aufzuzeigen, wie ähnliche Fälle in Zukunft vermieden werden können.
Mit Blick auf den Fall von Luise äußerte Kinderpsychiaterin Sibylle Winter beispielsweise in der Sendung: "Ich bin mir sicher, dass jetzt mit einem Gutachten geklärt wird, ob bei den Tätern ein Motiv und eine psychische Vorbelastung vorliegt. Dann wird entschieden, was der beste Weg ist, damit sich so etwas nicht nochmal wiederholt." Dabei stünde eine ganze Reihe an Maßnahmen zur Verfügung, die - abhängig vom Ergebnis des Gutachtens - von Psychotherapie und zur medikamentösen Behandlung bis zur Unterbringung in einer geschlossenen oder heilpädagogischen Anstalt reichen. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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