• Integrations- und Asylpolitik war am Mittwoch das Thema bei "Markus Lanz".
  • Der Autor und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad fiel in der Diskussion mit meinungsstarken Beiträgen auf.
  • "Stern"-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz forderte eine differenzierte Debatte über das Thema.
Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Natascha Wittmann dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Seit Jahren stellen Studien ein abnehmendes Vertrauen in die Justiz und den deutschen Rechtsstaat fest, auch die Debatte über die innere Sicherheit in Deutschland reißt nicht ab. Auch bei "Markus Lanz" wurde am Mittwochabend der Zustand des Justizwesens unter die Lupe genommen und über die deutsche Integrations- und Einwanderungspolitik der letzten Jahre diskutiert.

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Dem ägyptisch-deutschen Autor und Politologen Hamed Abdel-Samad platzte dabei im Gespräch mit dem ZDF-Moderator der Kragen. Er forderte von der Justiz mehr Durchsetzungsvermögen und bat um eine ehrliche Debatte ohne "falsche Toleranz".

Das ist das Thema bei "Markus Lanz"

Vor rund einer Woche kam es in einem Regionalzug in Norddeutschland zu einem schrecklichen Vorfall. Auf der Strecke von Kiel nach Hamburg hatte ein 33-jähriger Mann mit einem Messer auf mehrere Reisende eingestochen. Zwei Menschen kamen dabei ums Leben, mehrere wurden verletzt. Bei dem Angreifer soll es sich um einen staatenlosen Palästinenser handeln, der schon zuvor vermehrt auffällig geworden sein soll und sogar hinter Gittern saß.

Es war ein Vorfall, der einmal mehr Fragen über den Zustand des Justizwesens und die deutsche Integrationspolitik aufwarf. Auch im Gespräch mit ZDF-Moderator Markus Lanz debattierten Gäste wie Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Autor Hamed Abdel-Samad über vermeintliche Fehler in der Einwanderungspolitik.

Das sind die Gäste

  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ex-Bundesjustizministerin (FDP): "Wie kann jemand mit so einem Register entlassen werden, ohne dass ihm jemand an die Seite gestellt wird?"
  • Andrea Titz, Richterin und Vorsitzende des Deutschen Richterbundes: "Wir haben in manchen Bundesländern schon jetzt ehrlichen Nachwuchsmangel."
  • Gregor Peter Schmitz, Journalist und "Stern"-Chefredakteur: "Herkunft allein macht noch keinen Täter."
  • Hamed Abdel-Samad, Politologe und Autor: "Ich erlebe die Gewalt tagtäglich."

Das ist der Moment des Abends bei "Markus Lanz"

Zu Beginn der Sendung fragte Markus Lanz Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, wie sie über die jüngste Messerattacke im Regionalzug denkt. Die FDP-Politikerin antwortete nachdenklich, aber gleichzeitig bestimmt: "Natürlich erschüttert das. Aber wir wissen nicht alles über den Täter, der jetzt wieder hinter Gittern sitzt. Er hat natürlich einige Vorstrafen und hat gerade eine Freiheitsstrafe abgesessen."

Sie stellte daher die berechtigte Frage: "Wie kann jemand mit so einem Register entlassen werden, ohne dass ihm jemand an die Seite gestellt wird? Wie kann so etwas passieren? Es gibt psychiatrische Dienste, die nachher mit betreuen. Das alles geht ja. Man hätte ihn auch in Haft behalten können." Markus Lanz stimmte zwar zu, hakte jedoch nach: "Es sind Fragen, die viele gerade stellen. Viele im Land wundern sich, ob nicht die Politik dafür zuständig ist." Der ZDF-Moderator weiter: "Warum wirkt der deutsche Rechtsstaat so seltsam hilflos?"

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Journalist Gregor Peter Schmitz schaltete sich daraufhin in die Diskussion mit ein und erklärte, dass viele Politiker sich vor einer Protest-Welle fürchten würden: "Die Politik drückt sich und das Thema ist einfach unangenehm." Zu den umstrittenen "Pascha"-Äußerungen von Friedrich Merz im Zusammenhang mit den Berliner Silvester-Krawallen sagte Gregor Peter Schmitz: "Es ist erstaunlich, wie ungeschickt Friedrich Merz sich manchmal in Debatten anstellt." Markus Lanz verteidigte daraufhin den Politiker und ergänzte: "Man tut Friedrich Merz wiederum auch Unrecht, wenn man ihn nur auf die Paschas beschränkt." Schmitz fügte hinzu: "Die Debatten müssten auch aus den Gruppen selbst entstehen."

Richterin Andrea Titz wollte sich derweil nicht auf Mutmaßungen und voreilige Schlussfolgerungen einlassen und erklärte nüchtern: "Ich finde es richtig, die Sache zu analysieren, aber wir können jetzt noch nicht mit dem Finger auf bestimmte Abteilungen zeigen. Das ist zu früh und nicht seriös."

Autor und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad wollte dies nicht so stehen lassen und überraschte mit der ersten spitzen These des Abends: "Bevor wir anfangen, über dieses Phänomen offen zu reden, kommen Medien und Politiker und sagen uns, worüber wir nicht reden dürfen. Wir dürfen nicht über die Kultur, Religion und die Herkunft sprechen. Da sehe ich das Problem bei der Politik, die so eine Debatte überhaupt nicht haben will." ZDF-Moderator Markus Lanz intervenierte und stellte klar: "Ich verstehe, was Sie meinen, aber es wäre fatal, wenn der Eindruck entstünde, dass die Regierung uns sagt, über was wir berichten oder sprechen sollen."

Das ist das Rede-Duell des Abends

Ähnlich hitzig ging es in der Sendung am Mittwochabend weiter. Journalist Gregor Peter Schmitz erklärte im Gespräch mit Markus Lanz, dass man beim Thema Integration nicht alles Schwarz und Weiß sehen könne: "Herkunft allein macht noch keinen Täter. Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik. Man muss auch auf die Ursachen und Umstände schauen, in denen sich diese Menschen befinden. Das müsste behandelt werden." Daraufhin platzte Hamed Abdel-Samad der Kragen und er sagte energisch: "Es kommt immer wieder vor, dass wir nicht über die Herkunft sprechen sollen. Über solche Sachen muss man mal ehrlich sprechen. Hier schiebt man sich den schwarzen Peter nur hin und her. Wir reden über die gleichen Themen seit 40 Jahren!"

Schmitz versuchte sich zu erklären und ergänzte: "Ich meine ja nicht, dass die Herkunft völlig unwichtig ist, aber ich finde, man muss das mehr differenzieren." Auch Richterin Andrea Titz stellte sich gegen die Aussage von Hamed Abdel-Samad, der behauptete, ausländische Straftäter würden nicht die Härte der Gerichte zu spüren bekommen: "Ich muss mich dagegen wehren, dass die Justiz nicht bereit dazu wäre, aus einem ideologischen Grund nicht hart durchzugreifen. Wir haben die entsprechenden Gesetze und wir brauchen keine politische Vorgabe, welche Straftaten wir wie hart verfolgen."

Wenige Verurteilte nach Kölner Silvesternacht

Der Autor stichelte jedoch weiter und fragte mit kritischem Blick: "Wie viele Täter aus der ersten Silvesternacht in Köln wurden bestraft? Wissen Sie das?" Die Richterin antwortete kleinlaut: "Ich weiß nicht, wie viele Täter bestraft wurden." Als Markus Lanz den "ernüchternden Befund" vorlas und klarmachte, dass es nur wenige Verurteilungen gab, stellte Titz klar: "Es ist ernüchternd, aber man muss Taten auch nachweisen können." Hamed Abdel-Samad ließ diese Antwort nicht gelten und sagte selbstbewusst: "Sie schulden den Opfern eine Antwort."

Markus Lanz brach daraufhin die Diskussion ab und lenkte um: "Wir reden heute über Kriminelle und es ist egal, woher sie kommen." Doch Gregor Peter Schmitz stellte gleichzeitig klar: "Wir haben keine Gewaltexplosion in den vergangenen Jahren." Eine Aussage, die Hamed Abdel-Samad wieder zur Weißglut brachte. "Woher wissen Sie das so genau?", fragte der Autor in Richtung Schmitz. Der Journalist antwortete nüchtern: "Die Gewaltstatistik." Ein Argument, das für Abdel-Samad offenbar ungültig war. Er reagierte sichtlich emotional: "Aber ich erlebe die Gewalt tagtäglich!"

So hat sich Markus Lanz geschlagen

Markus Lanz moderierte solide und ließ seinen Gästen, allen voran Gregor Peter Schmitz und Hamed Abdel-Samad, viel Freiraum. Weniger zu Wort kam hingegen Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die mit eher allgemeinen Äußerungen wie "Wir sprechen über Asyl und Integration und auf der Kehrseite über Abschiebung und Rückführung" nicht unbedingt viel zur Diskussion beitragen konnte.

Auch Richterin Andrea Titz wurde vom ZDF-Moderator nur bedingt aus der Reserve gelockt und zeigte sich primär neutral mit Sätzen wie "Es ist immer leicht, mit dem Finger auf ein anderes Ressort zu zeigen. Das wird doch dem eigentlichen Problem nicht gerecht".

Das ist das Fazit bei "Markus Lanz"

Die Debatte um die Integrations- und Einwanderungspolitik wird ganz Deutschland noch lange beschäftigen. Wie viel Diskussionspotenzial das Thema besitzt, wurde am Mittwochabend bei "Markus Lanz" schnell deutlich. Der ZDF-Moderator fragte in Bezug auf die jüngste Messerattacke im Regionalzug in Norddeutschland zwar in die Runde "Jetzt sind zwei Menschen tot, weil er noch im Land ist. Müssen wir nicht über das Thema Abschiebung reden?", doch zu einer wirklichen Schlussfolgerung oder konkreten Lösungsansätzen kam es in der Debatte nicht.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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