Renten-Talk bei Maybrit Illner: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erklärt und verteidigt sein Grundrenten-Konzept. Die größte Kritik hagelt es ausgerechnet vom eigenen Koalitionspartner.

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Die SPD hat lange nach einem Thema gesucht, um das durch die Hartz-IV-Reformen stark beschädigte Image als Kümmerer-Partei dauerhaft zu stärken. Nun hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil mit seinen Plänen einer Grundrente womöglich so ein Thema gefunden.

Das Modell sieht für maximal vier Millionen einkommensschwache Bürger einen steuerfinanzierten Zuschlag von bis zu 447 Euro monatlich zur Rente vor.

Was ist das Thema bei Maybrit Illner?

"Mehr Rente aus der Steuerkasse – was sind uns die Alten wert?" Die Titel-Frage von Maybrit Illners Sendung kam ein wenig flapsig daher, berührt aber doch eine Grundfrage unserer Gesellschaft.

Warum bekommt es eines der reichsten Länder der Erde nicht organisiert, dass Millionen seiner Bürger nach mindestens 35 Jahren des Einzahlens in die Rentenkasse nicht mehr als Bittsteller auftreten müssen? Nach den Plänen Hubertus Heils würden von der Grundrente drei bis vier Millionen Menschen profitieren.

Darunter sind 75 Prozent Frauen, die aufgrund niedriger Löhne sowie Pflege- und Kindererziehungszeiten keine ordentlichen Renten bekommen und aufstocken müssten.

Wer sind die Gäste?

Hubertus Heil: Der Bundesarbeitsminister verteidigte seine Pläne leidenschaftlich und bezog sich dabei auf den Koalitionsvertrag. "Wir brauchen ein Modell, das kein Placebo ist", sagte er und das wirklich helfe, Altersarmut zu bekämpfen. Ihm gehe es darum, die Lebensleistung von Menschen anzuerkennen, "die tüchtig gearbeitet haben". Heil wehrte sich gegen den Vorwurf des Gießkannenprinzips. Wer länger und mehr eingezahlt habe, werde von seinem Konzept auch etwas mehr profitieren. Ein überzeugender Kümmerer-Auftritt des SPD-Ministers.

Paul Ziemiak: Der neue CDU-Generalsekretär kritisierte die Pläne des Koalitionspartners. Wegen der nicht vorgesehenen Bedürftigkeitsprüfung werde es neue Ungerechtigkeiten geben. Statt der Grundrente sprach er sich für eine Erhöhung der Grundsicherung aus, mit der niedrige Renten aufgestockt werden können. Ziemiak stellte die Frage der Finanzierbarkeit der Pläne und kritisierte: "Wir sprechen die ganze Zeit nur über das Ausgeben von Geld." Die Einwände des CDU-Politikers wirkten ein wenig technokratisch.

Sarna Röser: In den Augen der Bundesvorsitzenden des Verbands "Die Jungen Unternehmer" ist eine Grundrente, bei der die Friseurin so viel bekommt wie die Millionärsgattin, nicht gerecht. Sie sprach sich klar für das Leistungsprinzip aus.

Elisabeth Niejahr: Die Chefreporterin der "Wirtschaftswoche" gab zu bedenken, dass aktuell nur zwei bis drei Prozent der Rentner von Altersarmut betroffen seien. In ihren Augen "nicht so ein großes Problem". Viel mehr Sorgen bereitet der Journalistin, dass wir "auf eine neue innerdeutsche Ungerechtigkeit" zusteuern, weil in den kommenden Jahren viele Wendeverlierer aus Ostdeutschland mit gebrochenen Berufsbiografien in Rente gehen – mit dementsprechend niedrigen Bezügen.

Maria Loheide: Der Vorstand Sozialpolitik der "Diakonie Deutschland" sprach sich klar für Heils Pläne aus und zeigte Schwächen im aktuellen System der Aufstockung auf. "Menschen schämen sich, dass sie auf den Sozialstaat angewiesen sind und beantragen es eben nicht." Sie forderte darüber hinaus, an den Stellschrauben zu drehen, die zu niedrigen Renten führen: geringer Mindestlohn und Niedriglohnsektor.

Gudrun Weißmann: Die Gebäudereinigerin aus Bochum rechnete vor, dass sie nach mehr als 35 Jahren Berufstätigkeit ohne Heils Vorschlag 649 Euro Brutto-Rente beziehen würde. Mit den Plänen des SPD-Manns wären es 300 Euro mehr. Ein erheblicher Unterschied, der den Lebensabend für die Gebäudereinigerin und ihren Mann auskömmlicher gestalten würde.

Heike Debertshäuser: Die Ruheständlerin aus Ilmenau beklagte, dass sie sich von ihren 450 Euro Netto-Rente Ausgaben für Kunst, Kultur und Bildung nicht leisten kann. Als in der DDR geschiedene Frau muss sie zudem mit einer geringeren Pension leben als West-Frauen, weil Rentenpunkte aus dem Versorgungsausgleich fehlen.

Was war das Rededuell des Abends?

Paul Ziemiak warnte vor einem neuen Überbietungswettbewerb beim Thema Mindestlohn. "Die SPD wird 20 Euro sagen, dann sagt die Linke automatisch 25 Euro", schimpfte der CDU-Generalsekretär.

"Bleiben Sie mal sachlich!", wies Heil die Aussage seines Koalitionskollegen klar zurück. Da soll noch jemand sagen, es gebe keine Unterschiede zwischen CDU und SPD.

Was war der Moment des Abends?

Maybrit Illner wies Hubertus Heil darauf hin, dass SPD-Chefin Andrea Nahles vor zwei Jahren die Grundrente gemeinsam mit dem Kanzleramt verhindert habe. Das brachte ihr Kritik vom früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel ein.

Zuletzt stichelte auch noch Altkanzler Gerd Schröder (SPD) gegen Nahles. "Glauben Sie, dass Sie die richtige Parteivorsitzende haben?", wollte die Gastgeberin wissen. Heil ließ sich darauf gar nicht ein.

"Andrea Nahles war eine ausgezeichnete Arbeitsministerin und sie ist eine sehr gute Parteivorsitzende", antwortete er knapp. Wirkliche Begeisterung schwang bei diesen Worten allerdings nicht mit.

Wie hat sich Maybrit Illner geschlagen?

Maybrit Illner manövrierte ihren Talkshow-Kahn sicher durch den Rentensumpf, bewies Detailkenntnis und setzte an den richtigen Stellen rhetorische Nadelstiche.

Was ist das Ergebnis?

Lange hat die SPD nach einem Thema gesucht, mit dem sie öffentlichkeitswirksam ihr sozialpolitisches Image aufpolieren und ihr Profil gegenüber Koalitionspartner CDU/CSU schärfen kann. Mit der Grundrente könnte ihr das gelingen: Vorausgesetzt das Konzept wird in den großkoalitionären Verhandlungen nicht verstümmelt.

Die Auseinandersetzungen zwischen Heil und Ziemiak stimmten da nicht gerade zuversichtlich. Jedoch betonte der SPD-Minister nicht nur einmal: "Sogar einige aus der Union sagen mir: 'Du bist auf dem richtigen Weg!'"

Beim grundsätzlichen Ziel, mehr für die Rentner in den Ostländern zu tun, stimmt indes auch Ziemiak mit Heil überein. Der Minister sprach von einem "Beitrag zum innerdeutschen Frieden".

Da stand die Frage im Raum, ob die höheren Renten auch ein Mittel sein sollen, um der AfD die unzufriedenen und sich benachteiligt fühlenden Wähler im Osten abzugraben. "Kann man die AfD mit Sozialpolitik bekämpfen? Ich sage nein", stellte Niejahr klar.

Leider wurde diese durchaus spannende These nicht weiter aufgegriffen. Die Journalistin gab noch einen weiteren wichtigen Punkt zu bedenken: die ungewissen Konjunkturprognosen. Sollte es mit der Wirtschaft nach Jahren des Aufschwungs wieder dauerhaft bergab gehen, könnte die Finanzierbarkeit der Heil'schen Rentenpläne ein Problem werden.

Wie viel vom Vorstoß des SPD-Ministers letztlich übrig bleiben wird, ist daher noch völlig ungewiss. Zugute halten kann man Heil schon jetzt, dass er wieder Schwung in die Renten-Debatte gebracht hat. Angesichts des zu erwartenden, weiter sinkenden Rentenniveaus der jungen Generation war das dringend überfällig.

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