Pflegekräfte und Betroffene zogen bei "Hart aber fair" ein verheerendes Fazit des deutschen Pflegesystems. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stimmte ihnen teilweise zu - konnte aber auch keinen schlüssigen Ausweg aufzeigen. In Erinnerung blieben die Schilderungen eines Mannes, der seine Frau seit 20 Jahren privat betreut.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Thomas Fritz dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Die Pflegeversicherung ist schon seit Jahren reformbedürftig. Nun hat ein enormer Preisanstieg aufgrund der Inflation und der gestiegenen Personalkosten bei vielen Betroffenen einen Schock ausgelöst. Nicht nur die Kranken und ihre Angehörigen, auch viele Pflegeheime stehen vor der Pleite. Louis Klamroth sprach mit seinen Gästen bei "Hart aber fair" über Gegenwart und Zukunft der Pflege. Das Thema: "Altern in Würde oder in Armut: Wer kann sich gute Pflege noch leisten?"

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Die Gäste

Karl Lauterbach: Der Bundesminister für Gesundheit (SPD) gab zu, dass es in Deutschland zu stark vom Geld abhängt, ob jemand gut gepflegt wird. Lauterbach sprach sich für eine Vollkaskoversicherung aus, d. h. dass die Kosten durch die Pflegeversicherung gedeckelt wären. Aktuell ist die Pflege eine Teilkaskoversicherung. Dabei stichelte er gegen Koalitionspartner FDP. "Es müsste eine Bürgerversicherung in der Pflege geben, in die jeder einzahlt." Damit würden Milliarden an Euro zusätzlich eingenommen. Die FDP würde sich gegen ein solches Vorhaben stellen. Auch gegen seinen Vorgänger teilte Lauterbach aus. Er will den staatlichen Zuschuss zum Eigenanteil um fünf bis zehn Prozent erhöhen - und das anders als sein CDU-Vorgänger gegenfinanziert. "Ich bin nicht Herr Spahn", sagt Lauterbach zu den Pflegezuschüssen.

Katy Karrenbauer: Die Schauspielerin berichtete von ihrem dementen Vater (91), der im Heim lebt. Von 240.000 Euro, die der Verkauf seines Hauses abgeworfen hat, sind nach rund viereinhalb Jahren nicht mal mehr ein Drittel übrig. "Drei, vier gute Jahre haben wir noch", blickt Karrenbauer bang in die finanzielle Zukunft. "Dann weiß ich es nicht." Dass ihr Vater in menschenwürdigen Umständen 100 werden könnte - das ist sein großer Traum - daran glaubt sie nicht so recht. Sie kritisiert, dass den Pflegekräften oft die Zeit für die Menschen fehlt und trifft im Heim ganz oft auf weinende Angestellte. "Es kann doch nicht sein, dass die Pfleger auf dem Zahnfleisch kriechen."

Kai A. Kasri: Der Heimbetreiber aus Bayern musste den Eigenanteil der Bewohner von bislang 2.500 Euro im Monat massiv um 700 Euro erhöhen. Grund ist neben den gestiegenen Kosten durch die Inflation auch die bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Trotzdem bleibt die wirtschaftliche Lage für die Heime kritisch. "Das Problem ist, dass es bei uns als Betriebe auch richtig eng wird." An Profite sei derzeit nicht zu denken. Kasri schätzt, dass der Anteil der Sozialhilfeempfänger in den Heimen durch die Preissteigerungen um weitere 20 Prozent steigen wird. Aktuell liege er schon bei etwa 20 Prozent. Er beklagte außerdem die fehlende Dynamisierung des Teilkasko-Anteils der Bürger.

Silke Behrendt-Stannies: Die Pflegefachkraft und Betriebsrätin berichtete, dass Heimbewohner nach Aufbrauchen ihrer Ersparnisse "ganz schnell zum Taschengeldempfänger" werden: Sie bekommen dann vom Sozialamt, das den Heimplatz bezahlt, zusätzlich ein Taschengeld von 135 Euro im Monat. "Ich finde das unwürdig, von so wenig Geld leben zu müssen", sagte Behrendt-Stannies. Sie sprach sich wie Lauterbach für eine Vollkaskoversicherung in der Pflege aus: "Wir brauchen eine Erneuerung der Pflege." Auch um die Arbeitsbedingungen zu verbessern: "Es ist ein Hamsterrad, in dem wir uns drehen, was dringend durchbrochen werden muss."

Das war der Moment des Abends

Jochen Springborn, Mitglied im Verein "Wir pflegen", schilderte eindrücklich, wie er zu Hause seit 20 Jahren seine an Multipler Sklerose erkrankte Frau pflegt. Und das unter immer widrigeren Bedingungen: Er zahlt 2.500 Euro Eigenanteil im Monat, kann sich aber nur noch die deutlich teurer gewordene Basispflege seines Pflegedienstes leisten, d. h. er muss bei gestiegenen Kosten mehr selbst übernehmen.

"Pflege zu Hause ist ein Vollzeitjob," sagte Springborn. "Es kommt keiner, der einen ablöst. Der Job ist nie zu Ende." Emotional bedankte er sich schließlich bei allen, die ihn unterstützen, seine Tochter und seine Frau. Über 30 Jahre ist er nun mit seiner Frau zusammen. Trotz ihrer Krankheit will er die Zeit mit ihr nicht missen. "Alleine macht es auch keinen Spaß." Für diesen Satz bekam er vom Publikum einen großen Applaus.

Das war das Rededuell des Abends

Silke Behrendt-Stannies berichtete, dass es die Leute traurig mache, dass sich viele zurückziehen, wenn sie zum Sozialamt gehen müssen, weil das eigene Geld für den Heimplatz nicht mehr reicht. "Es ist schlimm für die jetzige Generation, zum Sozialamt zu müssen, wenn man ein Leben lang gearbeitet hat. Wenn man von Würde redet, ist sie in diesem Bereich nicht gegeben."

Da widersprach Karl Lauterbach in einem emotionalen Dialog. "Was ist eine Schande daran, dass ein Teil der Steuern zurückkommt und die Pflege bezahlt?", fragte er. "Das finde ich nicht falsch." Die Prüfung, ob jemand bedürftig ist, ist in seinen Augen keine entwürdigende Prozedur. "Es ist nicht entwürdigend, wenn ein Mensch sagt: Ich habe eine kleine Rente."

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

In einer zwar emotionalen, aber wenig kontrovers verlaufenen Sendung blieben die großen Aufreger aus. Klamroth musste dementsprechend wenig regulieren, unterbrechen, maßregeln. Seine Gesprächsführung mit Springborn, der seine eigene Frau pflegt, war sehr einfühlsam.

Ansonsten hätte er bei Karl Lauterbach gerne etwas nachbohren können, was eine Vollkasko-Pflegeversicherung eigentlich genau bedeutet. Wären dann wirklich alle Leistungen abgegolten? Oder wäre es doch nur eine Art erweiterte Basispflege? Und was kostet das alles konkret?

Das ist das Fazit

Das Fazit nach 75 Minuten "Hart aber fair" fiel leider ziemlich ernüchternd aus. Bei der Kostenexplosion für Bewohner und auch bei der finanziellen Schieflage vieler Heime präsentierten die Gäste, allen voran der Bundesgesundheitsminister, keine Wege aus der Krise. Lauterbach will zwar die dramatisch übertriebene Ökonomisierung "zurückführen". Wie genau, blieb letztlich aber unklar. Er verwies dann gerne auf die FDP, ohne die sich seine Vollkaskoversicherung nicht durchsetzen lasse.

Aber was ist dann sein Plan B? Auch wie er die Defizite bei der Pflege von jüngeren Leuten und MS-kranken beseitigen will, führte der Minister nicht im Detail aus. Lauterbach wirkte eher wie ein Getriebener, der an der Pflege an der einen oder anderen Stelle herumdoktert und ein bisschen mehr Geld ins System gibt, der große Wurf bleibt derweil eine Illusion.

Springborn kritisierte derweil, dass es in Deutschland auch 270.000 pflegebedürftige Kinder gibt und der Titel der Sendung am Thema vorbeigehe. Es gehe nicht ums Altern, es gehe um menschenwürdige Pflege. Katy Karrenbauer zog ein bitteres Fazit des Systems: Ihr Vater bezieht ein teures Einzelzimmer, aber teilweise liegen die Menschen in den Heimen in Zwei- und Dreibettzimmern, wo man den anderen beim Würgen und beim Sterben zuschaut. "Das ist würdelos."

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