Zwischen den Ampelkoalitionären reiht sich Krisentreffen an Krisentreffen. Dennoch erwartet der Politologe Albrecht von Lucke nicht, dass die Regierung platzt. Nicht jetzt.

Ein Interview

SPD, Grüne und FDP streiten – wieder mal. Diesmal geht es um Wirtschafts- und Finanzpolitik und – wieder mal – steht die Frage im Raum: Platzt die Regierung? Politologe Albrecht von Lucke hat eine eindeutige Einschätzung:

Herr von Lucke, am Mittwoch tagt der Koalitionsausschuss samt Partei- und Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP. Mancher befürchtet den ganz großen Knall. Könnte Deutschland schon morgen ohne Regierung dastehen?

Der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke.
Der Politikwissenschaftler und Publizist Albrecht von Lucke. © Tobias Tanzyna

Albrecht von Lucke: Das kann ich mir nicht vorstellen. Schließlich erleben wir mit der US-Präsidentschaftswahl gerade ein historisches Ereignis und im Lichte dieses Ereignisses wird die Verhandlung morgen stattfinden, ganz gleich, ob das Ergebnis dann schon feststeht oder nicht.

Sie meinen, es ist schlicht der falsche Zeitpunkt, die Koalition platzen zu lassen, weil die Welt kein gelähmtes, wahlkämpfendes Deutschland gebrauchen kann, wenn Trump wieder US-Präsident wird?

Wenn Donald Trump gewinnt, lastet eine immense Verantwortung auf dieser deutschen Regierung. Vermutlich würde Trump die Ukraine fallenlassen. Europa stünde allein da, mit Deutschland als einer Art letztem Anker. Macron ist massiv geschwächt, die deutsch-französische Achse ein Desaster, wir haben also nichts von dem, was eigentlich für ein starkes Europa sprechen würde. Umso mehr kommt es auf Deutschland an.

"Aber so oder so gehe ich nicht davon aus, dass es morgen knallt."

Albrecht von Lucke, Politologe

Und wenn Harris gewinnt, kann man die Koalition platzen lassen?

Sollte Harris siegen, wird man in Berlin erleichtert sein und der Druck durchzuhalten ist dann geringer. Aber so oder so gehe ich nicht davon aus, dass es morgen knallt. Das wäre verantwortungslos – und ich denke, das weiß man auch in den Reihen der FDP. Es ist ja gut möglich, dass Trump die Wahl anficht, falls Harris nur knapp gewinnt. Es spricht also einiges dafür, dass wir in jedem Fall international, ja sogar global unruhige Verhältnisse bekommen.

Sie nennen die FDP, weil in der Ampel zuletzt vor allem die Liberalen provoziert haben?

Die FDP weiß, dass sie bei einem Fortgang dieser Desaster-Koalition, also wenn diese Kakophonie bleibt, in einem Jahr unter fünf Prozent verschwinden wird. Olaf Scholz hingegen will auf keinen Fall vorzeitig abtreten müssen und quasi als zweiter Kiesinger (Kurt Georg Kiesinger, Bundeskanzler von 1966 bis 1969; Anm.d.Red) enden. Er braucht die Zeit bis zur Bundestagswahl, um den Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz nach unten und sich wieder etwas nach oben ziehen zu können. Genauso die Grünen: Sie haben momentan ja nicht mal eine Führung.

Die FDP hat quasi nichts zu verlieren?

Sie ist die einzige der Koalitionsparteien, die voll pokern kann. Das nutzt die FDP in fast erpresserischer Weise: Sie stellt Maximalforderungen auf in der Hoffnung, dass SPD und Grüne diese entweder annehmen oder einen Schlussstrich ziehen, womit sie ihnen den schwarzen Peter zugeschoben hätte. Bei Neuwahlen könnte sie dann darauf hoffen, von einem Teil der Bevölkerung aus Dankbarkeit über das Ende der Ampel gewählt zu werden und so über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen.

"Habeck will einen starken und quasi unternehmerisch tätigen Staat, Lindner einen, der sich weitgehend heraushält aus dem Markt."

Albrecht von Lucke, Politologe

In zwei Wochen muss der Haushalt stehen. Gibt es unter diesen Voraussetzungen überhaupt die Chance, dass die Verhandlungen gelingen?

Wie man hört, ist der Haushalt gar nicht das größte Problem. Robert Habeck hat ja jetzt die Milliarden freigegeben, die für die Förderung von Intel vorgesehen waren. Mit dieser Verhandlungsmasse werden sich die Verantwortlichen womöglich schon einig werden. Aber im Streit zwischen Habeck und Christian Lindner geht es um mehr, nämlich um fundamental unterschiedliche ökonomische Positionen. Habeck will einen starken und quasi unternehmerisch tätigen Staat, Lindner einen, der sich weitgehend heraushält aus dem Markt.

Klingt unlösbar.

Ist es auch. Entscheidend wird sein, ob die FDP von ihrer Forderung nach einer 180-Grad-Wende der Wirtschaft abrückt. Wenn nicht, müssten Grüne und SPD letztlich mit Grundüberzeugungen brechen und übrigens auch mit Teilen des Koalitionsvertrages. Im Ergebnis geht also um die Frage, ob die drei Parteien noch einmal ohne Gesichtsverlust zusammenkommen können.

Zur Person:

  • Albrecht von Lucke (57) ist Jurist und Politologe mit Schwerpunkt Innenpolitik. Er ist hat mehrere Bücher veröffentlicht, etwa "Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken" (2015). Auch schreibt er für die politische Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik".
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