• Ein Gesetzentwurf hat in Georgien für massive Proteste gesorgt.
  • Es geht um NGOs, die sich als "ausländische Agenten" registrieren sollen.
  • In Moskau hatte ein vergleichbares Gesetz ein autoritäres System befördert.
  • Zwar hat die Regierung das Gesetz offiziell wieder zurückgezogen, doch der Konflikt brodelt weiter.

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Sie schwenken EU-Flaggen und rufen immer wieder "nieder mit dem russischen Gesetz" oder "Wir sind nicht Russland": Die Proteste, die in Georgien entbrannt sind, dürften von Moskau genaustens beobachtet werden. Aufhänger ist ein umstrittenes NGO-Gesetz.

Die georgische Regierung hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, demnach sich Nichtregierungs-Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland bekommen, als "ausländische Agenten" registrieren müssen. Ansonsten drohen ihnen hohe Geldstrafen. Die Regierung argumentiert mit mehr Transparenz.

Unter Putin ähnliches Gesetz verabschiedet

Exakt die notwendige Mehrheit von 76 Stimmen hat das Gesetz in der ersten Lesung im Parlament erhalten. Inzwischen hat die Regierung das Gesetz zurückgezogen, doch der Unmut in Georgien bleibt.

Seit 7. März gingen in der georgischen Hauptstadt Tiflis Tausende Menschen auf die Straße.

"Das Gesetzesvorhaben wurde von einer Splittergruppe der Regierungspartei eingebracht. Es wird in der Gesellschaft sehr kritisch gesehen, weil es 2012 ein vergleichbares Gesetz vom damals wieder ins Amt gewählten Putin in Russland gegeben hat", sagt Georgien-Experte Stephan Malerius. In Russland habe das Gesetz die Grundlage für den schrittweisen Verbot sämtlicher regierungskritischer NGOs und Medien gebildet.

Meilenstein im autoritären System

In Russland müssen NGOs, die als "ausländische Agenten" gekennzeichnet wurden, bei allen ihre Veröffentlichungen auf ihren Status hinweisen. Zudem sind sie verpflichtet, alle sechs Monate Finanzübersichten und Berichte über ihre Aktivitäten bei der Regierung einzureichen und sich jährlichen Prüfungen zu unterziehen.

"Das Gesetz war in Russland ein Meilenstein bei der Entwicklung des autoritären Systems", ordnet Malerius ein. Von den georgischen Bürgern werde der Vergleich nun sehr stark gezogen. Die Befürchtung der Zivilgesellschaft: Die georgische Regierung könnte in Bezug auf Andersdenkende ein Verhalten wie der Kreml an den Tag legen.

Georgiens Bevölkerung strebt Richtung EU

Irakli Kobachidse, Parteichef der georgischen Regierungspartei, bezeichnete Oppositionspolitiker in der Vergangenheit bereits als "Spione" und Nichtregierungsorganisationen als "extremistische Vereinigungen".

Im Ukraine-Krieg macht Tiflis bei den westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit, außerdem kam es bei einem Pride-Marsch im Juli 2021 zu gewaltsamen Ausschreitungen. Auch bei den jetzigen Protesten kam es zu Festnahmen von weit über 100 Demonstranten und dem Einsatz von Wasserwerfern und Tränengas.

"Die Bevölkerung strebt selbst Richtung Europa und will EU- und Nato-Mitglied werden. Sie will sich aus dem russischen Orbit lösen", sagt Experte Malerius. Für die Bevölkerung bedeute das Gesetz ein Schritt in Richtung Moskau – es steht für eine veränderte außenpolitische Ausrichtung. "Das Gesetzesvorhaben wird als positives politisches Signal Richtung Moskau gewertet", analysiert Malerius.

Gespaltenes Land

Wie groß die Auswirkungen eines solchen Gesetzes wären, sei schwer abzuschätzen. Es bestehe aber die Gefahr, einmal eine rechtliche Grundlage zu schaffen und der Regierung damit freie Hand zu geben, so zu agieren, wie sie will. "In Russland ist es auch so gewesen, dass es noch Jahre gedauert hat, bis Schritt für Schritt eine Organisation nach der anderen verboten wurde", erinnert der Experte.

Malerius hält es für fraglich, ob die Opposition des Landes sich mit dem angekündigten Rückzieher vom Gesetz zufriedengibt. "Man kann der Regierung nicht vertrauen, sie hat mehrfach Ankündigungen gemacht, die sie nicht eingehalten hat", sagt er. Ob das Gesetz in anderer Form noch einmal eingebracht werden soll, bleibt damit aber unklar.

Aus Sicht von Malerius befindet sich die ehemalige Sowjetrepublik in einer schizophrenen Situation. Auf der einen Seite hätte Russland 2008 einen Krieg gegen Georgien geführt und in Abchasien und Südossetien seien russische Truppen stationiert. Die zwei abtrünnigen Landesteile sind russisch besetzt, die Situation dort ist ein "frozen conflict". Was immer mitschwingt, ist die Sorge, dass Russland die Spannungen wieder entfacht.

Ferngesteuert aus dem Kreml?

"Andererseits sind seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine viele Russen nach Georgien geflohen. Sie haben einen massiven Wirtschaftsaufschwung ins Land gebracht, viele Branchen profitieren", führt Malerius aus. Laut offiziellen Angaben sollen sich etwa 150.000 russische Staatsbürger in Georgien befinden.

Die Regierungspartei "Georgischer Traum" werde außerdem informell von dem Oligarchen Bidsina Iwanischwili gesteuert, sagt Malerius. "Er war in der Vergangenheit Premierminister, hat sich offiziell aus der Politik zurückgezogen, zieht aber die Fäden im Hintergrund", weiß Malerius. Iwanischwili habe Milliarden in Russland gemacht. "Niemand weiß, wie eng seine Beziehung zu Russland noch sind und ob er Anweisungen aus dem Kreml bekommt", sagt Malerius. Der Verdacht bestehe, dass er auf Geheiß Moskaus agiere.

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Georgien ist geopolitisch bedeutend

Geographisch sei die Situation mit der der baltischen Staaten vergleichbar. "Genau wie beispielsweise Lettland oder Estland grenzt Georgien unmittelbar an Russland. Es gibt eine lange, gemeinsame Grenze mit den russischen Republiken des Nordkaukasus ", sagt Malerius.

Russland agiere immer wieder feindlich und zeige ein aggressives Verhalten. Beispielsweise sei in der Vergangenheit wiederholt der Export von georgischen Lebensmitteln nach Russland verboten worden.

"Russland will nicht – und das gilt für den gesamten postsowjetischen Raum –, dass die ehemaligen Unionsrepubliken unabhängig agieren, selbstbestimmt entscheiden und sich nach Europa orientieren", erklärt Malerius. Georgien werde von Moskau als Einflusssphäre gesehen.

Es sei im Interesse des Westens, den Konflikt und den Richtungsstreit in Georgien genau zu beobachten. "Die Länder des Kaukasus sind geopolitisch wichtig. Sie grenzen an die Türkei, den Iran, Russland und sind der sogenannte Mittlere Korridor zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzmeerraum", sagt Malerius. Wichtige Transport- und Handelsrouten würden durch diesen Korridor verlaufen. Schließlich müsse die EU auch ein Interesse an der Region haben, weil hier wichtige Partnerländer liegen..

Über den Experten: Stephan Malerius ist Leiter des Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Verwendete Quellen:

  • Radio Tavisupleba: Der Gesetzentwurf "Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" wurde vom Parlament in erster Lesung angenommen
  • dw.com: Zurückgezogenes NGO-Gesetz in Georgien: Worum es geht
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