Aktuelle Zahlen zeigen: Der Rassismus in Deutschland nimmt zu. Eine Soziologin erklärt, warum Rassismus kein rein deutsches Problem ist – doch in der Bundesrepublik spezielle Formen annimmt.
Umfragen haben es vermuten lassen, nun belegt der kürzlich vorgestellte Verfassungsschutzbericht 2014 der Bundesregierung schwarz auf weiß: Rassistische Tendenzen in Deutschland nehmen zu. Die rechtsextremistisch motivierten Straftaten sind im Vergleich zum Vorjahr um 24 Prozent angestiegen. "Besonders besorgniserregend sind dabei der Anstieg fremdenfeindlicher Gewalttaten und die steigende Zahl rechtsmotivierter Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte", heißt es im Bericht des Innenministeriums.
Und Deutschland ist mit dieser Entwicklung nicht allein. "Rechtspopulismus ist in Europa seit Jahren wieder auf dem Vormarsch", weiß die Soziologin und Aktivistin Nadia Shehadeh. "In Ungarn, in Holland, in Italien, in Finnland: Ultrarechte Parteien sind dort schon vor Jahren komplett im Mainstream angekommen." In Osteuropa beispielsweise ist der antiziganistische Rassismus wieder am erstarken. Dieser richtet sich gezielt gegen Sinti und Roma.
Ursachen von Rassismus sind schwer auszumachen
Doch warum richten sich einige Bevölkerungsgruppen immer wieder gegen andere? "Die Ansicht, dass die soziale, politische und psychische Unterdrückung bestimmter Menschen gerechtfertigt ist, ist eine sehr alte", erklärt Shehadeh. "Rassismus ist in erster Linie ein Kulturmuster, sozial hergestellt. Von daher ist es nicht einfach eindimensional auszumachen, wo genau die Ursachen liegen. Es gibt keinen 'Zentralapparat' unserer Gesellschaft, der Rassismus verursacht – vielmehr durchzieht Rassismus viele, ja fast alle Lebensbereiche."
Meist ist die Entstehung solcher Tendenzen ein jahrelanger, schleichender Prozess. Für Deutschland beispielsweise sieht Shehadeh den Grund in der "jahrelangen Biologisierung und Ethnisierung sozialer Widersprüche". Ethnisierung, das heißt: Gesellschaftliche Unterschiede werden mit der Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe begründet. Aussehen, Herkunft, Sprache – all diese Faktoren dienen damit der Abgrenzung einer vermeintlich homogenen Gruppe, der dann bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.
Rassismus äußerst sich dann in vielerlei Hinsicht – nicht immer müssen es gewaltsame Ausschreitungen sein. Auch die Annahme, nur Neonazis seien rassistisch, sei nicht richtig. "Rassismus ist in Gesetzen verankert, in institutioneller Ungleichbehandlung, in Racial Profiling durch die Polizei. Rassismus wird an der Diskotür angewandt und in der Schule, wo Kinder bis heute systematisch auch aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Rassismus passiert im Alltag, dort wo beschimpft und ausgegrenzt wird, oder geglotzt, oder exotisiert", erklärt Shehadeh.
Rassismus kann überall entstehen
Dabei trifft es meist ethnische Minderheiten oder Immigranten. "Rassismus ist eine Gewaltstruktur, von der allein die Mehrheitsbevölkerung ausgenommen ist oder sogar davon profitiert – etwa wenn es um die Verteilung von Rechten und Ressourcen geht, die nicht allen gleichermaßen zustehen", erläutert Nadia Shehadeh.
Und das ist kein rein deutsches oder europäisches Phänomen. "Natürlich wird es in allen Gesellschaften dieser Welt gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geben", sagt die Soziologin. Rasissmus kann überall entstehen. "Aber Europa ist – auch aufgrund seiner kolonialen und faschistischen Vergangenheit – schon nochmal ein Fall für sich." Hier sei Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, und Rassismus gegen Schwarze sowie Sinto und Roma weit verbreitet.
Fremdenfeindlichkeit – typisch deutsch?
Speziell deutsch ist aber das Wort "Fremdenfeindlichkeit", das oft synonym für Rassismus verwendet wird. Und das findet Nadia Shehadeh bedenklich, weil mit dem "Fremden" immer auch die Idee der "Andersartigkeit" mitschwingt. Und genau diese Abgrenzung des "Eigenen" zum "Fremden" oder "Anderen" würde ja überhaupt erst zu Rassismus führen.
Die Aktivistin findet es daher auch schwierig, dass auch in den Medien so häufig von Fremdenfeindlichkeit oder Ausländerfeindlichkeit gesprochen wird. "Das bedient weiterhin binäre Denkmuster", warnt sie. "Schon hinter diesen Sprachbildern befindet sich eine Vorstellung unserer Gesellschaft – und die geht bei Fremdenfeindlichkeit tatsächlich davon aus, dass es etwas Fremdes geben muss."
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