• Staatsministerin Reem Alabali-Radovan hat einen Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vorgelegt.
  • Enttäuscht und erschrocken ist die SPD-Politikerin über die Diskussion nach den Silvester-Krawallen in Berlin.
  • "Ich hätte gedacht, wir sind mittlerweile weiter", sagte Alabali-Radovan.

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Max und Murat haben das gleiche Diktat geschrieben und die gleiche Zahl von Fehlern gemacht. Doch das bedeutet nicht, dass sie gleich bewertet werden: Max bekommt eine bessere Note als Murat.

Dieses Beispiel klingt weit hergeholt, ist es aber nicht. Das belegt eine experimentelle Studie der Universität Mannheim aus dem Jahr 2018: Forscherinnen und Forscher hatten dort gezeigt, dass angehende Lehrerinnen und Lehrer schlechtere Diktat-Noten für Schüler mit ausländischen Namen vergeben – selbst wenn die Zahl der Fehler gleich war.

22 Prozent haben schon selbst Rassismus erfahren

Reem Alabali-Radovan (SPD), Staatsministerin im Kanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge, Integration und Antirassismus, nennt dieses Beispiel, als sie am Mittwoch in der Bundespressekonferenz ihren Lagebericht zu Rassismus in Deutschland vorstellt. Sie bezeichnet ihn als eine Premiere: Erstmals gebe es damit eine genaue Darlegung zu Rassismus und seinen Erscheinungsformen in Deutschland.

Von Rassismus spricht man, wenn Menschen andere Menschen wegen Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Religion oder anderen Merkmalen pauschal abwerten oder ausgrenzen. Alabali-Radovan bezeichnet Rassismus als große Gefahr für die Demokratie: "Denn er greift Menschen und ihre Menschenwürde an, die das Grundgesetz uns allen garantiert."

Nicht alles in dem aktuellen Bericht ist neu. Im Mai 2022 hat die Bundesregierung bereits den Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor vorgestellt. Die Studie ergab unter anderem: 90 Prozent der Menschen in Deutschland erkennen an, dass es Rassismus gibt. 22 Prozent geben an, schon selbst davon betroffen gewesen zu sein. 82 Prozent sind bereit, bei rassistischen Aussagen einzugreifen. Allerdings sind auch 27 Prozent davon überzeugt, dass in einer Gesellschaft manche Gruppen über anderen stehen müssen. Kritik an rassistischen Aussagen sehen knapp 45 Prozent als Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Reem Alabali-Radovan zu Vornamen-Diskussion: "Das teilt Menschen auf in Bürger erster und zweiter Klasse"

Staatsministerin Alabali-Radovan kommt auch auf die Diskussion zu den Silvesterkrawallen zu sprechen, die sich vor allem in Berlin abgespielt haben. Sie sei erschrocken und enttäuscht über die Diskussionen, die die Vorfälle ausgelöst haben: "Ich hätte gedacht, wir sind mittlerweile weiter und können sachlich darüber reden, was in der Silvesternacht passiert ist."

Die Berliner CDU hat gefordert, die Vornamen der festgenommenen deutschen Tatverdächtigen zu erfahren. "Das teilt Menschen auf in Bürgerinnen und Bürger erster und zweiter Klasse", sagt Alabali-Radovan. Die Diskussion um die Vornamen bezeichnet sie als "Schlag ins Gesicht von 22 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte in diesem Land". Man müsse über die Gründe für die "Gewaltexzesse" sprechen, findet Alabali-Radovan, betont aber: "Wir müssen die Täter nach ihren Taten beurteilen und nicht nach ihren Vornamen."

Viel zu tun für die Staatsministerin

Im Jahr 2021 erfasste das Bundeskriminalamt 1.042 rechtsextrem motivierte Gewalttaten in Deutschland. Unabhängige Beratungsstellen berichteten sogar von 1.391 Taten.

Doch es geht der Staatsministerin auch und gerade um Alltagsrassismus und "subtile Ausgrenzungspraktiken". Das kann die eingangs erwähnte schlechtere Bewertung in der Schule sein – oder die Wohnungssuche, die sich für Menschen mit ausländischen Namen oft besonders schwer gestaltet.

Die SPD-Politikerin Alabali-Radovan legt mit dem Bericht auch einen Plan für ihre eigene Arbeit vor: Diese Arbeit wird umfangreich sein, denn Rassismus kann viele Formen und Ursachen haben. Alabali-Radovan will Beratungsstellen für Betroffene und Opferinitiativen stärken und einen Expertenrat Antirassismus gründen. Sie will Hassrede im Internet bekämpfen und die Rassismus-Prävention im Breitensport fördern. Für diese Zwecke sind im Bundeshaushalt 2023 insgesamt zehn Millionen Euro vorgesehen.

An einem Runden Tisch will Alabali-Radovan zudem über "Racial Profiling" sprechen. Davon spricht man, wenn Menschen wegen ihres Erscheinungsbilds (zum Beispiel weil sie Schwarz sind) anlasslos von der Polizei kontrolliert werden. Die Parteien der Ampel-Koalition wollen das Bundespolizeigesetz ändern, um Racial Profiling in Zukunft besser zu verhindern. Gesprächsbedarf dürfte dazu aber auch innerhalb der Bundesregierung bestehen: Das Bundesinnenministerium bestreitet bisher, dass es strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei gibt.

Verwendete Quellen:

  • Lagebericht Rassismus in Deutschland: Ausgangslage, Handlungsfelder, Maßnahmen
  • Bundesregierung.de: Viele Menschen sind zum Engagement gegen Rassismus bereit
  • Universität Mannheim: Max versus Murat: schlechtere Noten im Diktat für Grundschulkinder mit türkischem Hintergrund
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