• Nancy Faeser hatte sich mit ihrer "Beweislastumkehr" gehörig vergaloppiert und ihren Vorschlag nach massiver Kritik zurückgezogen.
  • Doch das Problem bleibt: Verfahren gegen Extremisten im Staatsdienst dauern zu lange.
  • Ein Experte sagt: Die deutsche Justiz ist zu schlecht ausgestattet.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Frank Heindl sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Reichsbürger planten einen Staatsstreich, der Verfassungsschutz warnte, der Staat griff ein: Am 7. Dezember schlugen Polizeibeamte, Mitglieder der Antiterroreinheit GSG 9 und Spezialeinheiten der Bundesländer zu, durchsuchten Wohnungen, vollstreckten Haftbefehle. Das Entsetzen in Politik und Gesellschaft war groß. Auch und vor allem der Schreck darüber, dass einige der Verhafteten im Staatsdienst standen oder noch stehen. Zum Beispiel eine Richterin und Ex-AfD-Abgeordnete, Elitesoldaten der Bundeswehr, Polizisten.

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Wie kann man dem vorbeugen? Wie kann man verhindern, dass Rechtsextreme im Staatsdienst Fuß fassen und wie dafür sorgen, dass enttarnte Extremisten schnellstmöglich entlassen werden können?

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wurde von vielen Seiten heftig gescholten für ihren Vorschlag, die "Beweislast umzukehren". Vereinfacht gesagt würde das bedeuten, dass jeder Staatsbedienstete selbst nachweisen müsste, dass er kein Extremist ist. Sie habe da "etwas umgangssprachlich verkürzt argumentiert", ruderte Faeser wenig später zurück. Und erklärte, sie wolle "das Disziplinarrecht so aufstellen, dass es keiner Verwaltungsgerichtsklage mehr bedarf, um Bedienstete aus dem Öffentlichen Dienst zu bekommen".

Volksverhetzung soll zu schneller Entlassung führen

Faesers Entwurf sieht eine Änderung der Beamtengesetze für Bundes- (BBG) und Landesbeamte (BeamtStG) vor. Diese regeln, wann Staatsbedienstete ihren Beamtenstatus verlieren: Wird ein Beamter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt, verliert er seinen Beamtenstatus inklusive Besoldung und Ruhegehalt. In bestimmten Fällen reicht sogar eine Freiheitsstrafe von einem halben Jahr. Künftig soll auch Volksverhetzung dazu zählen.

Gravierende Disziplinarmaßnahmen wie eine Zurückstufung oder die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis bei Bundesbeamten waren bisher den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Zukünftig sollen Behördenleiter selbst einen Mitarbeiter entlassen können, wenn dieser etwa gegen seine Verfassungstreuepflicht verstoßen hat. Zwar könnten die Beamten weiterhin gegen die behördlichen Disziplinarentscheidungen klagen, das soll aber durch die regelmäßige Einbehaltung von Bezügen unattraktiv gemacht werden.

Polizeigewerkschaft kritisiert Änderungen

Diese Änderung der gerichtlichen Disziplinarverfahren komme sehr wohl einer Umkehr der Beweislast gleich, argumentiert etwa Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Nordrhein-Westfalen. Das Disziplinarrecht habe sich bewährt und müsse beibehalten werden.

Doch Faeser erhält auch Zustimmung, beispielsweise von der Grünen-Politikerin Irene Mihalic. Beamte und Beamtinnen, schreibt sie auf Twitter, müssten sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Dies müsse "durch ihr gesamtes Verhalten zum Ausdruck kommen". Anders ausgedrückt: Wer es an einer positiven Haltung zum Grundgesetz mangeln lässt, kann entlassen werden. Also doch eine Beweislastumkehr? Dass Betroffene, die mit ihrer Entlassung nicht einverstanden sind, vor Gericht ihre Einstellung beweisen müssten, erwähnt Mihalic nicht.

Eine Vielzahl von Verfahren

Doch die Probleme liegen an anderer Stelle, sagt der Verwaltungsrechtler Klaus Herrmann; dort nämlich, wo die Strafurteile nicht zur gesetzlichen Aufhebung der Beamtenverhältnisse ausreichen. Ein Beamter, der sich ein Hakenkreuz auf den Nacken tätowieren ließ, müsste zwar nicht mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechnen. Aus dem Dienst wird er trotzdem entlassen, so urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Außerdem: Wie wird man der Vielzahl von Verfahren Herr, wenn Beamte oder Richter an verfassungsfeindlichen Versammlungen teilnehmen oder in privaten Chatgruppen Hitlerbilder teilen?

"Die vorhandenen Regelungen reichen aus", meint Rechtsexperte Herrmann. Und verweist gleichzeitig auf zwei Punkte, "an denen es hakt": Zum einen wäre es wichtig, den Verfolgungsdruck zu erhöhen. Technisch wäre es zum Beispiel möglich, Posts mit rechtsextremen Inhalten für die Behörden zugänglich zu machen. Sollen also Facebook, Instagram und Co. zur Bereitstellung dieser Daten gezwungen werden? "Die derzeitige Bundesregierung müsste für eine entsprechende Gesetzesänderung wohl Vorbehalte der FDP überwinden", meint Herrmann.

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Professionelleres Personal schafft höhere Rechtssicherheit

Den anderen, ebenso wichtigen Hebel sieht Herrmann bei der Anwendung des Disziplinarrechts. Seit 2002 schon können die Bundes- und Länderbehörden Disziplinarermittlungen gegen ihre Bediensteten selbst führen, wenn der Verdacht eines Dienstvergehens im Raum steht. Sie machen auch Gebrauch von diesem Recht, doch oft mangele es an juristischer und organisatorischer Kompetenz, an Erfahrung oder schlicht am Personal.

Klaus Herrmann verweist auf das Bundesland Bayern, wo die Landesanwaltschaft mit mehreren Volljuristen Disziplinarverfahren bearbeitet. "Wenn das Profis machen, wird das Vorgehen sachlicher, zielstrebiger, schneller und rechtssicherer", so der Experte. Einziger, aber wichtiger Nachteil: Für professionell ausgestattete Disziplinarbehörden müsste viel Geld aufgewendet werden.

Und das Thema Rechtssicherheit weist auf einen weiteren Knackpunkt: Jeder disziplinarisch verurteilte Beamte kann eine gerichtliche Überprüfung verlangen. Solche Gerichtsverfahren dauern lange, mitunter können bis zur rechtskräftigen Entscheidung vor dem Bundesverwaltungsgericht zehn Jahre oder mehr verstreichen. Deshalb, so Hermann, müsse neben der personellen Ausstattung auch der langwierige Weg durch die Instanzen hinterfragt werden.

Der Experte mahnt daher ein "Rechtswegbeschleunigungsgesetz" an: Eine Berufungsinstanz könnte wegfallen, manche Verfahren könnten gleich vor dem Oberverwaltungsgericht gestartet werden, beispielsweise wenn das problematische Verhalten schon durch ein rechtskräftiges Strafurteil festgestellt wurde.

Rechtsexperte: Gesetzesentwurf des Innenministeriums "etwas aktionistisch"

Enttäuscht zeigt sich der Experte vom vorliegenden Gesetzesentwurf des Innenministeriums: "Das geht in die völlig falsche Richtung." Damit sollen die Gerichte gezwungen werden, behördliche Disziplinarverfügungen bei Verfahrens- oder Rechtsfehlern aufzuheben.

Eigene Disziplinarentscheidungen aber werden ihnen verwehrt. Das führe nicht zu Beschleunigung, meint Herrmann, sondern zur Vervielfachung der Verfahrenslaufzeiten. "Etwas aktionistisch", lautet sein Urteil – in Nancy Faesers Innenministerium sollte man noch einmal nachbessern.

Über den Experten:
Prof. Dr. Klaus Herrmann ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er lehrt an der Brandenburgischen Technischen Universität (BTU) Cottbus-Senftenberg und berät Mandanten in verfassungsrechtlichen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichten der Länder.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Dr. Klaus Hermann
  • Twitter-Profil von Irene Mihalic (Stand: 21. Dezember 2022)
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