• Manche Medien wussten offenbar vorab von der Razzia der Bundesanwaltschaft in der "Reichsbürger"-Szene am Mittwoch.
  • In Politik und bei anderen Medien wird nun Kritik laut.
  • Stellte das Wissen der Redaktionen ein Sicherheitsrisiko für den Einsatz dar?

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Am Mittwochmorgen stand Deutschland mit einer spektakulären Nachricht auf: Rund 3.000 Polizeikräfte durchsuchten 130 Objekte in elf Bundesländern sowie in Österreich und Italien und nahmen 25 Personen fest. Diese stehen im Verdacht, ein rechtsextremes Netzwerk gebildet und einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant zu haben. Das Medieninteresse war groß – und einzelne Redaktionen wussten offenbar vorab mehr als andere.

Manche Medien berichteten pünktlich sehr ausführlich

Die Online-Ausgaben von "Spiegel" und "Zeit" sowie die ARD veröffentlichten passend zur morgendlichen Razzia jedenfalls längere Artikel, für die sie offensichtlich schon zuvor recherchiert hatten.

Auf Twitter hatte der ARD-Journalist Georg Heil am Vorabend geraunt: Am nächsten Morgen werde es sicherlich viele Exklusivmeldungen geben. Der Tweet ist inzwischen gelöscht. In einem Video berichtete ein "Spiegel"-Reporter dann am Mittwochmorgen, man habe um 6 Uhr früh beobachtet, wie die Bundespolizei das Jagdschloss des Hauptverdächtigen Heinrich XIII. Prinz Reuß in Thüringen gestürmt habe.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb im Online-Magazin "Übermedien": "Es ist offenkundig: Die Presse war auf diese Razzia gut vorbereitet. Sie wusste vorab, wann sie stattfindet und gegen wen sie sich richtet. Sie konnte Fotografen und Kamerateams zu den Orten der Zugriffe schicken, und war teilweise schon dabei, bevor sie begannen."

Martina Renner (Linke): Gefährdung für Ermittlungen und Beamte

Für die Generalbundesanwaltschaft war der Mittwoch ein Erfolg, für den die Ermittlerinnen und Ermittler aus der Öffentlichkeit viel Lob bekommen haben. Doch in den vergangenen Tagen wurden auch kritische Stimmen laut. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die sich seit langem mit Rechtsextremismus beschäftigt, schrieb auf Twitter, die Razzia sei seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis gewesen.

"Wenn ein Ministerium oder eine Behörde dafür sorgt, dass eine Woche vorher sogar die Adressen der Razzien bei der Presse bekannt sind, ist es schwer vorstellbar, dass niemand der Durchsuchten Bescheid wusste", sagte Renner. Ein solches Vorgehen gefährde den Erfolg der Ermittlungen und die Sicherheit der Beamtinnen und Beamten.

Dieses Argument ist nun häufiger zu hören – auch in den Medien. "Je mehr von einer geheimen Aktion wissen, desto größer ist die Gefahr, dass sie ein bisschen weniger geheim wird. Für die Behörden ist das eine Abwägung. Aber grundsätzlich sollte gelten: Sicherheit geht vor – auch für den Erfolg der Aktion", kommentierte zum Beispiel die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Medien hatten zuvor selbst recherchiert

Offen ist, wie die entsprechenden Redaktionen an das Wissen über die Razzia gekommen sind: Waren die Journalistinnen und Journalisten den mutmaßlichen Putschisten schon zuvor auf der Spur? Die WDR-Journalistin Katja Riedel sagte am Mittwoch in einem Medien-Podcast des Deutschlandfunks, man habe auch ohne eine Vorab-Info auf dieses Netzwerk aufmerksam werden können. Offen lässt das aber, warum manche ihrer Kollegen auch passend zur Razzia vor Ort waren.

Holger Stark, Leiter des Ressorts Investigative Recherche und Daten bei der "Zeit", reagierte auf Fragen und Kritik mit einem Beitrag auf Twitter: Demnach hat seine Redaktion schon seit Monaten zu dem Thema recherchiert: Die Bundesanwaltschaft habe zu der Razzia am Mittwoch "darum gebeten, nicht vor 7:30 Uhr zu berichten, um Polizisten vor Ort nicht zu gefährden". Und daran habe man sich gehalten.

Das Vorab-Wissen mancher Redaktionen versucht nun auch die AfD für ihre Zwecke zu nutzen. Unter den Festgenommenen ist die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Die Partei sieht sich daher der Frage ausgesetzt, warum in ihren Reihen mögliche Umstürzler saßen. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio spielte die Gefährlichkeit der Gruppe am Freitag in einem Interview mit dem "Deutschlandfunk" herunter, als Argument nutzte er auch die mediale Berichterstattung: Ein realer Putsch habe offensichtlich nicht bevorgestanden, sagte Curio: "Insbesondere wenn man medial vorher alles ausbläst weit durch verschiedene Redaktionen, scheint man selber nicht recht an die Gefährlichkeit geglaubt zu haben."

Bundesinnenministerium: Weitergabe von Informationen an Außenstehende wäre "unverantwortlich"

Regierungssprecherin Christiane Hoffmann wollte sich am Freitag nicht zu der Angelegenheit äußern. Sie wolle zu dem Thema nicht spekulieren, sagte sie in der Bundespressekonferenz. Entsprechende Fragen müsse man an den Generalbundesanwalt richten. Dessen Pressestelle reagierte am Freitag nicht auf eine Anfrage unserer Redaktion.

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums wies am Freitag allerdings noch einmal auf die Sicherheit bei diesen Einsätzen hin: Sie seien für die Einsatzkräfte generell sehr gefährlich – und erst recht, wenn Medien vor Ort seien und die Arbeit möglicherweise behindern. Die Sprecherin machte zudem deutlich, dass eine mögliche Vorabinformation einzelner Medien nicht im Sinne des Bundesinnenministeriums wäre: "Für uns ist die Weitergabe von Informationen an Außenstehende im Vorfeld von solchen Maßnahmen unverantwortlich."

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenz der Bundesregierung in der Bundespressekonferenz
  • Deutschlandfunk.de: Razzia gegen "Reichsbürger"-Szene: Medien wussten vorab Bescheid
  • Deutschlandfunk.de: Rechts-Komplott: Wo steht Ihre Partei? – Interview mit Gottfried Curio, AfD
  • FAZ.net: Sicherheit geht vor –nicht tolle Bilder
  • Spiegel.de: "Prinz Reuß gilt als Wirrkopf und Sonderling"
  • Twitter-Accounts von Martina Renner und Holger Stark
  • Übermedien.de: Stell dir vor, es ist Razzia und alle Medien sind schon da
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