Russland steht im Verdacht, einen Satelliten ins All geschossen zu haben, der andere Satelliten bekämpfen kann. Die Bedenken um einen Krieg im Weltall nehmen weltweit zu. Aber was wären die Folgen eines Krieges im All?

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"Der Weltraum ist militärisch bereits weithin integriert, das macht ihn somit auch zur potenziellen Zielscheibe", sagt Juliana Süß vom Royal United Services Institute (RUSI) in London. Dazu ein Blick in die Nachrichten:

Februar 2024: Die amerikanischen Spionagebehörden warnten den Kongress und ausländische Verbündete darüber, dass der russische Präsident Wladimir Putin eine Atombombe im All stationieren und einsetzen könnte.

April 2024: Russland verhindert mit einem Veto im VN-Sicherheitsrat die Ächtung von Waffen im Weltraum.

Mai 2024: Das US-Verteidigungsministerium meldet, dass Russland einen Satelliten ins All geschossen habe, mit dem andere Satelliten angegriffen werden können. Die Waffe soll, laut Pentagon-Sprecher Pat Ryder, am 16. Mai in den Weltraum gestartet sein.

Süß, die zu Fragen der Weltraumsicherheit forscht, erklärt, dass durch einen Angriff auf Satelliten nicht bloß militärische und zivile Kommunikationsverbindungen gefährdet wären, sondern auch Satelliten, die beispielsweise unser GPS steuern, Internetverbindungen herstellen oder Banktransaktionen durchführen. "Wir sind sehr abhängig vom All; mehr, als wir das im Alltag feststellen", sagt Süß, die auch den Podcast "War in Space" hostet.

Die bloße Behauptung, eine Atombombe im All zu zünden, reiche schon aus, um Feinde abzuschrecken. Aber tatsächlich sei dieser Schritt schwer vorstellbar. Denn, so sagt Süß, würde Russland eine Atombombe im All zünden, wären die eigenen Satelliten sowie die Satelliten von Verbündeten ebenso gefährdet. China hat, laut einer aktuellen Zählung, derzeit 628 Satelliten im Orbit, Russland 181, die USA 5.184. Insgesamt umkreisen unsere Erde derzeit 7.560 Erdtrabanten.

Eine Kettenreaktion durch Weltraumschrott

Eine weitere Folge einer nuklearen Explosion wäre ein elektromagnetischer Impuls, der die umliegenden Satelliten lahmlegen würde. Russland hat zudem im Jahr 2021 Weltraumwaffen getestet, die durch die Zerstörung eines Satelliten eine Wolke aus Weltraumschrott verursacht haben.

"Eine große Menge dieses Weltraumschrottes würde auch andere Satelliten zerstören", sagt Süß. Ein Teil Weltraumschrott, von der Größe von einem Zentimeter, habe die Einschlagkraft einer Handgranate. Es könnte eine Kettenreaktion in Gang gesetzt werden, die bei Forschern "Kessler-Syndrom" genannt wird.

Süß verweist auf einen Vorfall, als die Internationale Raumstation ISS ungeplante Ausweichmanöver unternehmen musste, um einer Kollision mit Weltraumschrott zu entgehen.

Im Falle einer Explosion könnten auch eigene Aufklärungssatelliten erblinden und damit die wichtigste Fähigkeit des Landes, Truppenbewegungen in der Ukraine oder die Pazifikflotte der US-Marine nachzuverfolgen. Die Ukraine gelte zwar nicht als eine der großen Weltraummächte, sagt Süß, habe aber mithilfe von Verbündeten gute Möglichkeiten der Aufklärung: "So wurde der Truppenaufbau vor Kiew identifiziert und das Massaker von Butscha aufgeklärt."

Folgenschwere Cyberangriffe

Da ein kinetischer Angriff - so der Fachbegriff für physische Angriffe - größeren Schaden als Nutzen verursachen würde, konzentriert sich der Krieg im Weltall auf Cyberangriffe und das Stören von Signalen, so wie es im Krieg gegen die Ukraine immer wieder beobachtet wird.

Dort werden die GPS-Signale für die Navigation durch Russland durchgehend gestört, sagt Süß, und immer dann aufgehoben, wenn Luftangriffe geflogen werden, da die Angreifer die Navigationssysteme dann selbst benötigen. "Das ermöglicht eine gute Vorhersage von Luftangriffen." Wenn das GPS-Signal wieder da sei, wisse man, dass 20 Minuten später ein Luftangriff folge. Zivile Luftfahrt wird durch Störungen von GPS-Signalen ebenso gefährdet, wie es kürzlich im Baltikum der Fall war, und zwei finnische Maschinen aufgrund von GPS-Störungen nicht landen konnten.

Die verheerenden Auswirkungen

Um die verheerenden Auswirkungen eines Totalausfalls der Erdtrabanten zu verbildlichen, hat der Deutschlandfunk im Jahr 2021 Gedankenexperiment gemacht: Erstmal gibt es keine Live-Übertragungen von Sportereignissen oder Zoom-Gespräche mehr. Ohne das Navi verfahren sich viele Leute, der Flug- und Schiffsverkehr ist beeinträchtigt, weil niemand die klassische Navigation ohne Satelliten mehr beherrscht. Binnen Stunden bricht die Stromversorgung zusammen und Geldautomaten spucken keine Scheine mehr aus, der digitale Rundfunk bleibt stumm, der Aktienmarkt kommt zum Erliegen und Alarmmeldungen erreichen die Notrufzentralen nicht mehr. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass unser Alltag ohne Satelliten nicht mehr denkbar ist.

Eine Studie von London Economics aus dem Jahr 2017 hat berechnet, dass ein fünftägiger Ausfall unserer Satelliten das Vereinigte Königreich 5,2 Milliarden britische Pfund kosten würde. Süß mahnt an, dass die Zahlen inzwischen vermutlich höher ausfielen.

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Um sich gegen die Angriffe in Zukunft besser verteidigen zu können, gehe es heute vor allem darum, wie man "resiliente Systeme" baut. Systeme, die in der Lage sind, Cyberangriffen oder elektromagnetischen Impulsen standzuhalten. Die große Frage sei folgende: "Was machen wir, wenn die Weltraumsysteme, mit denen wir seit 20 bis 30 Jahren arbeiten, uns bald nicht mehr helfen können?"

Das große Problem läge in der zunehmenden Komplexität der Satellitensysteme, sagt Süß. Sie seien zunehmend vernetzter und koordinierter und auf immer mehr Software angewiesen, sodass im Weltall die gleichen Probleme im Bereich der Cybersicherheit gelten wie auf der Erde. Sicherheitslücken oder veraltete Verschlüsselungsalgorithmen können ausgenutzt werden, um die Systeme nach Bedarf zu manipulieren.

Es gibt sogar ein internationales Abkommen, das die Einflussnahme von Staaten im Weltraum regeln soll: der "Outer Space Treaty" aus dem Jahr 1967. "Der ist aber sehr regelarm und basiert vor allem auf Prinzipien", sagt Süß. Der Ruf nach mehr Regeln, die von allen Akteuren anerkannt würden, scheitere aktuell aufgrund der geopolitischen Dynamik.

Über die Gesprächspartnerin

  • Juliana Süß forscht zu am Royal United Services Institute (RUSI) in London und ist Moderatorin des Podcasts "War in Space". Ihre Forschungsinteressen umfassen globale Weltraum-Governance, Nachhaltigkeit und Weltraumkriegsführung.

Verwendete Quellen

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