Gegen Wladimir Putin liegt ein erster Haftbefehl vor. Der Internationale Strafgerichtshof wirft dem russischen Präsidenten Kriegsverbrechen in der Ukraine vor. Das Gericht verhängt noch einen zweiten Haftbefehl.

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Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat Haftbefehl gegen Russlands Präsident Wladimir Putin erlassen. Das teilte das Gericht am Freitag mit. Man habe einem entsprechenden Antrag des Chefanklägers Karim Khan stattgegeben.

Es ist der erste Haftbefehl, den das Gericht im Zusammenhang mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine erlassen hat. Putin sei für die als solche einzustufende "unrechtmäßige Deportation" ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten in der Ukraine nach Russland verantwortlich. Es gebe "hinreichende Gründe" für die Annahme, dass Putin persönlich für die Verbrechen verantwortlich zu machen sei.

Das Gericht sprach zudem einen Haftbefehl gegen Maria Alexejewna Lwowa-Belowa aus. Lwowa-Belowa ist Beauftragte für Kinderrechte im Büro des russischen Präsidenten. Gegen sie besteht derselbe Verdacht.

Die Verbrechen hätten in den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine "mindestens ab dem 24. Februar 2022", dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, eingesetzt.

Laut Ukraine wurden innerhalb eines Jahres mehr als 16.000 Kinder verschleppt

Nach Angaben der ukrainischen Regierung wurden bis Februar 2023 mehr als 16.000 Kinder aus der Ukraine nach Russland oder in russisch kontrollierte Gebiete verschleppt. Der IStGH hatte unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar Ermittlungen aufgenommen.

Putin soll als Befehlshaber zur Verantwortung gezogen werden. Er habe seine zivilen oder militärische Untergebenen unzureichend kontrolliert. Der genaue Text der Haftbefehle werde nicht veröffentlicht, um Opfer und Zeugen sowie die Ermittlungen zu schützen.

Weil die Verschleppungen mutmaßlich weitergingen und eine Veröffentlichung zur Verhinderung weiterer Straftaten beitragen könnte, habe man sich dazu entschieden, sowohl die Namen der Verdächtigen als auch die Verbrechen öffentlich zu machen, derer sie verdächtig sind.

Ob es einen Prozess gegen Putin vor dem Weltstrafgericht geben wird, ist ungewiss

Ob und wann es zu einem Prozess kommt, ist ungewiss. Russland erkennt den IStGH nicht an und wird seinen Präsidenten kaum ausliefern. Das Gericht darf allerdings keine Prozesse in Abwesenheit der Angeklagten führen. Zudem verfügt das Gericht über keine eigene Polizeimacht, die den Präsidenten verhaften könnte.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, hatte sich am Donnerstag auf einer Pressekonferenz zu möglichen Haftbefehlen gegen Russen geäußert. "Mit dem Organ arbeitet Russland nicht zusammen", sagte sie. Die Entscheidungen des Gerichts hätten keine Bedeutung für Russland.

Dennoch schränkt ein internationaler Haftbefehl die Bewegungsfreiheit Putins deutlich ein. Sobald er in ein Land reist, das den Grundlagenvertrag des IStGH ratifiziert hat, würde er verhaftet: Alle Vertragsstaaten sind verpflichtet, die Haftbefehle auszuführen.

Ukraine begrüßt Haftbefehl gegen Putin

Von ukrainischer Seite kamen zahlreiche positive Reaktionen auf die Entscheidung des IStGH. Michailo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete den Haftbefehl als "klares Signal an die (russischen, Anm. d. Red.) Eliten, was mit ihnen geschehen wird und warum es nicht 'wie früher' sein wird". Selenskyjs Stabschef Andrij Jermak sagte, das sei "erst der Anfang".

Auch Dmytro Kuleba begrüßte die Entscheidung. "Internationale Verbrecher werden für den Diebstahl von Kindern und andere internationale Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte der ukrainische Außenminister.

Der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin betonte: "Die Welt hat ein Signal erhalten, dass das russische Regime kriminell ist und seine Führung und Handlanger zur Rechenschaft gezogen werden." Das sei "eine historische Entscheidung für die Ukraine und das gesamte System des internationalen Rechts".

Selenskyj nennt Haftbefehl "historische Entscheidung"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin als eine "historische Entscheidung" des Internationalen Strafgerichtshofs gelobt. "Der Anführer eines Terrorstaates und eine weitere russische Amtsträgerin sind offiziell Verdächtige in einem Kriegsverbrechen", sagte Selenskyj in seiner am Freitagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft. Tausende ukrainische Kindern seien illegal deportiert worden, sagte der Staatschef.

Russischer Politiker: Anschuldigungen seien "ungeheuerlich"

Der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki reagierte unterdessen entsetzt auf den Haftbefehl. "Solche Anschuldigungen sind einfach ungeheuerlich, sie fallen nicht einmal unter die Definition von 'absurd'", sagte Sluzki.

Bis zu dessen Mitteilung hatten russische Nachrichtenagenturen noch gar nicht über den Haftbefehl berichtet. Sluzki ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma.

Justizminister Buschmann: "Wichtiges Signal der Entschlossenheit"

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat sich ebenfalls zum Haftbefehl gegen Putin ebenfalls geäußert. "Wer wie Putin einen blutigen Krieg angezettelt hat, sollte sich dafür vor Gericht verantworten müssen", sagte der FDP-Politiker dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Freitag. "Die beste Lösung ist es, wenn eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof erhoben werden kann. Der nun erlassene Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen ist ein wichtiges Signal der Entschlossenheit."

Für Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas ist der Haftbefehl ein "historisches Signal: Alle Gräueltaten gegen die Ukraine gehen auf die kriminelle Politik der russischen Führung zurück", schrieb sie am Freitag auf Twitter.

Der Haftbefehl sei eine Erinnerung daran, dass niemand immun sei, nicht einmal Staatsoberhäupter. "Das russische Regime wird zur Rechenschaft gezogen werden", schrieb Kallas. Die Regierungschefin des an Russland grenzenden baltischen EU- und Nato-Landes gilt als eine der resolutesten Unterstützerinnen von Kiew in Europa.

IStGH beschäftigt sich mit Völkermord und Kriegsverbrechen

Der Internationale Strafgerichtshof ist ein ständiges internationales strafrechtliches Tribunal. Er ist für die Verfolgung und Bestrafung schwerster Verbrechen zuständig - etwa Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.

Der IStGH wird auch dann tätig, wenn ein Land einen Angriffskrieg führt, also grundlos ein anderes Land angegriffen hat. Angeklagt werden können allerdings nur Personen aus einem Land, das die Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs grundsätzlich unterstützt.

Aktuell sind das 123 Staaten weltweit, darunter die Mitgliedsstaaten der EU. Einige Staaten lehnen den IStGH ab, weil sie Eingriffe in die eigene staatliche Souveränität befürchten. So erkennen unter anderem die USA, Russland und China die Legitimität des Gerichtshofs nicht an.

Auch die Ukraine hat das Römische Statut des Internationalen Gerichtshofs noch nicht ratifiziert. Dennoch erkennt Kiew die Befugnis der Richter für seit der Annexion der Krim 2014 auf ukrainischem Staatsgebiet verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen die Ukraine an. 2015 übergab der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin in Den Haag eine entsprechende Erklärung.

Nicht zu verwechseln ist der IStGH mit dem Internationalen Gerichtshof (IGH), der ebenfalls in Den Haag ansässig ist. Vor Letzterem werden Konflikte zwischen verschiedenen Staaten verhandelt. Die Ukraine hatte nach Kriegsbeginn Klage gegen Russland vor dem IGH eingereicht.

Verwendete Quellen:

  • Icc-cpi.int: Situation in Ukraine: ICC judges issue arrest warrants against Vladimir Vladimirovich Putin and Maria Alekseyevna Lvova-Belova
  • dpa
  • AFP

Präsident des Internationalen Strafgerichtshofs verkündet Haftbefehl gegen Putin

Der Internationale Strafgerichtshof hat wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Präsident Piotr Hofmański gab dazu eine Erklärung ab. Sehen Sie hier die Verkündung in englischer Sprache. © YouTube
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