Wenig überraschend: Der Kreml verkündet am Sonntagabend, 17. März, einen Wahlsieg Putins bei der dreitägigen Scheinwahl. Damit zementiert er seine Macht. Doch auch, wenn Beobachter fest mit einem Wahlsieg gerechnet haben, so gibt es dennoch einige überraschende Details. Russland-Expertin Petra Stykow ordnet die Pseudo-Wahl ein.
Angeblich sind es neue Rekordzahlen: Nach Meldungen aus dem Kreml kommt Putin bei der Präsidentschaftswahl, die vom 15. bis zum 17. März abgehalten wurde, auf 87,7 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung soll bei über 74 Prozent gelegen haben. Beobachter halten diese Zahlen für einen Fake und betonen, dass die "Wahl" weder fair noch frei ablief.
Echte Kandidaten der Opposition wurden zur Wahl nicht zugelassen, ihre Galionsfigur Alexej Nawalny war im Februar in einem Straflager unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen. "Abstimmen heißt nicht unbedingt wählen", erinnert Politikwissenschaftlerin Petra Stykow. Putin habe die Wahl als plebiszitäre Legitimation gebraucht. "Es ist ein Ritual geworden, bei dem das Volk bestätigen soll, dass die Politik richtig ist und das Land sich geschlossen zeigt."
Angebliches Rekordergebnis bei der Wahl
Das Wahlergebnis hält Stykow für eine Farce. "Dass die offiziell gemeldeten Zahlen derart hoch ausfallen, ist allerdings dennoch eine kleine Überraschung. Die Wahlbeteiligung war angeblich so hoch wie noch nie im postsowjetischen Russland", sagt sie.
Putin war bei seiner letzten Wahl im Jahr 2018 noch auf 76,7 Prozent der Stimmen gekommen – also über zehn Prozentpunkte weniger. Das jetzige Ergebnis, mit dem er in seine insgesamt fünfte Amtszeit geht, wäre damit das beste ihm je zuerkannte Ergebnis. "Das ist so dreist", kommentiert Stykow. Die Wahlbeteiligung hatte bei den letzten Wahlen zwischen 64 und 67 Prozent gelegen.
Die Legitimation nach innen erinnere an sowjetische Zeiten, als es hieß: Partei und Volk sind eins. Das Signal, das mit der künstlich hochgeschraubten Wahlbeteiligung auch gesendet werden soll: "Wir zeigen dem Westen, dass wir uns nicht demütigen lassen, dass wir zusammenstehen 'wie ein Mann' gegenüber dem äußeren Feind", sagt Stykow.
Wie sich Putin den Sieg sicherte
Stykow ist sich sicher, dass es auch bei dieser Wahl zu Wahlfälschungen gekommen ist: "Die Wahlforschung kann anhand von überzufälligen Unregelmäßigkeiten Rückschlüsse über Fälschungen ziehen." Am Freitagmittag sollen beispielsweise online gleichzeitig Hunderttausende Stimmen abgegeben worden sein. "Ohnehin hat sich der Kreml mit der elektronischen Stimmabgabe eine Möglichkeit der Manipulation geschaffen."
Putin habe sich jedoch noch über weitere Wege seinen Sieg gesichert – beispielsweise dadurch, dass die Wahlen drei Tage lang dauerten. "So kann man die Wahlen besser steuern, kommt auf eine höhere Wahlbeteiligung und an einem Freitag als Werktag kann man Leute beispielsweise in den Ämtern und Schulen dazu veranlassen, ihre Stimme 'im Kollektiv' und während der Arbeitszeit abzugeben", erklärt die Expertin. Im Ergebnis hätten bereits am Freitag mehr als 30 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Opposition war sichtbar
Die Opposition hatte sich das zunutze gemacht: Sie rief dazu auf, sich erst am Sonntag um 12 Uhr vor den Wahllokalen zu versammeln. Im Ausland – in Städten wie Berlin, Tel Aviv und Istanbul – waren hunderte Meter lange Schlangen zu sehen. Insgesamt sollen fast 372.000 russische Wahlberechtigte im Ausland ihre Stimme abgegeben haben.
"Es war eigentlich nicht so wahrscheinlich, dass es tatsächlich zu sichtbaren Aktionen in Russland kommt, aber auch dort hat es vielerorts Schlangen vor den Wahllokalen gegeben", sagt Stykow. An manchen Orten habe das Regime versucht, den Auflauf abzufangen, indem es gleichzeitig ein Volksfest abhalten ließ. Das umgedeutete Narrativ: Alle kommen zum Volksfest und stimmen pro Putin ab. "Es ist aber völlig ausgeschlossen, dass das alles Stimmen für das Regime waren."
Hürden auf dem Weg zur Kandidatur
Dass es am Sonntagmittag sichtbare Aktionen gegeben habe, sei ein Zeichen dafür, dass die Opposition tatsächlich die Leute mobilisieren konnte. Schwergemacht hatte das Regime es möglichen Gegenkandidaten auch durch extrem hohe Hürden auf dem Weg zur Kandidatur, etwa in Form von 100.000 Unterschriften, die für eine Nominierung gesammelt werden mussten. Eine Wahlbeobachtung durch die OSZE fand nicht statt und auch Videoaufzeichnungen in den Wahllokalen, die es seit 2012 gegeben hatte, gab es diesmal nicht mehr.
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Am Ende durften von 15 Personen, die die Kandidatur beantragt hatten, nur drei – neben Putin selbst – antreten. Nikolaj Charitonow (75) für die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF), Wladislaw Dawankow (39) für die Partei Neue Menschen und Leonid Sluzkij (56) für die rechtsradikale Liberal-Demokratische-Partei Russlands (LDPR). Die Journalistin Jekaterina Dunzowa und der liberale Boris Nadeschdin, die sich offen gegen den Krieg ausgesprochen hatten, waren hingegen nicht zugelassen worden.
Unzufriedene setzen ein Zeichen
"Es geht bei der Opposition um eine Minderheit im Land, aber diese Menschen haben sich gegenseitig das Zeichen gegeben: Wir sind nicht allein", analysiert Stykow. Dennoch dürfe man die Kraft der Opposition nicht überschätzen. "Schätzungen zufolge würde Putin auch ohne Wahlmanipulationen auf 50 bis 65 Prozent der Stimmen kommen." Aus ihrer Sicht habe Putin der Welt, der Opposition und allen, die es nicht glauben wollten, zeigen wollen: Ich setze das durch. Es sei ihm letztlich egal, ob der Westen die Wahl für sauber halte. "Wichtig ist ihm zu zeigen: Ich habe das Spiel unter Kontrolle. Das hat auch einen starken Abschreckungseffekt", sagt die Expertin.
Die apathische Mehrheit des russischen Volkes wolle keine Veränderung, sondern Stabilität und Ordnung. "Die Zustimmung zum Krieg sinkt, weil er die Stabilität bedroht. Viele wollen mittlerweile, dass er aufhört", sagt Stykow. Auch diesen Menschen wolle Putin signalisieren: Alles im Griff. "Niemand muss diese absurd hohen Zahlen glauben. Sondern es reicht, dass die, die es sehen, verstehen: Der schreckt vor nichts zurück."
Über die Gesprächspartnerin
- Prof. Dr. Petra Stykow lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie ist Expertin für den Vergleich politischer Systeme, vor allem in Ostmitteleuropa und Eurasien.
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