• Zwei niederländische Kampfjets haben am Dienstag drei russische Militärflugzeuge abgefangen.
  • Die Formation hatte sich von Kaliningrad aus dem Nato-Gebiet genähert.
  • Wie drastisch ist der Vorfall? Der Militärexperte Gustav Gressel ordnet ein.

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Sie hatten Kurs auf Nato-Gebiet: Wie das niederländische Verteidigungsministerium zu Beginn der Woche mitteilte, haben zwei niederländische Kampfjets des Typs F-35 drei russische Militärflugzeuge abgefangen. Diese hatten Kurs auf polnisches Nato-Gebiet genommen.

Die zunächst unbekannten Flugzeuge kamen von Kaliningrad, der russischen Exklave an der Ostsee zwischen Polen und Litauen. Sie waren ohne Transponderabstrahlung und ohne Flugplan unterwegs.

Die niederländischen Kampfjets stiegen auf, um die Formation zu identifizieren und zu eskortieren. Wie das niederländische Verteidigungsministerium am Dienstag (14. Februar) mitteilte, handelte es sich um eine russische IL-20M-Coot-A sowie zwei SU-27-Flanker. Wie es aus Den Haag heißt, seien die russischen Militärflugzeuge aus dem Gebiet begleitet und an Nato-Partner übergeben worden – an welche, ist nicht bekannt.

Das Baltikum ist besorgt

Es liegt jedoch nahe, dass es sich um Deutschland handelt. Denn die deutsche Luftwaffe teilte mit, sie habe eine russische Formation von Eurofightern im internationalen Luftraum über der Ostsee "aufgeklärt". Dies sei im Rahmen der "Verstärkung Air Policing Baltikum" (VAPB) geschehen. Bei den russischen Maschinen soll es sich um ein Aufklärungsflugzeug sowie zwei flankierende Jagdflugzeuge gehandelt haben.

Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine sorgt das Vorkommnis für Unruhe. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf dem Baltikum, das früher sowjetisch war und russischsprachige Minderheiten in nicht unbeträchtlicher Höhe zählt. Die baltischen Länder zählen zu den größten Unterstützern der Ukraine, denn sie fürchten, Russland könne unter gleichem Vorwand auch bei ihnen einmarschieren.

Zum Schutz des Nato-Luftraums sind im Februar und März acht niederländische F-35-Kampfjets in Polen auf dem Stützpunkt Malbork stationiert. Mehrere Flugzeuge könnten "innerhalb weniger Minuten" starten, um fremde Flugzeuge abzufangen, heißt es aus Den Haag.

Die deutschen Eurofighter sind auf dem estnischen Flugplatz Ämari westlich der Hauptstadt Tallinn stationiert. Die Mission "Baltic Air Policing" läuft seit dem Beitritt der baltischen Staaten zur Nato im Jahr 2004. Estland, Lettland und Litauen haben selbst bisher nicht die Mittel, um den Luftraum über ihren Territorien zu schützen. Der Luftraum eines Landes erstreckt sich immer auch ein paar Kilometer über die Küste.

Deshalb rotieren im Baltikum Bündnispartner immer wieder mit Einsatzkontingenten. Die Bundeswehr und insbesondere die Luftwaffe sind einer der wichtigsten Truppensteller.

Experte: "Übliche elektronische Aufklärung"

Wie drastisch aber ist der jetzige Vorfall einzuschätzen? Aus Sicht von Militärexperte Gustav Gressel handelt es sich um nichts Außergewöhnliches. Es sei eine "übliche elektronische Aufklärung", die so "nahe an den Luftraum rankommen, wie sie können", meint er. "Sie werden üblicherweise von Abfangjägern schon in internationalem Luftraum abgefangen und dann begleitet", erklärt er weiter. Sie würden ihre Aufklärungsmission dann in internationalem Luftraum zu Ende fliegen.

Die russische Luftwaffe sei vor Kriegsbeginn sehr aktiv gewesen, jetzt beobachte man wieder ein normales Niveau. "Vor Kriegsbeginn waren sie auch recht aggressiv, haben beispielsweise Reaktionszeiten ausgetestet", so Gressel. Jetzt sei die russische Luftwaffe wieder überwiegend in der Ukraine beschäftigt. "Luftraumverletzungen im Baltikum sind deutlich zurückgegangen", beobachtet er.

Bei Abfangeinsätzen wie am Dienstag kommen die sogenannten Alarmrotten der Nato zum Einsatz. Sie bestehen aus zwei bis drei Jagdflugzeugen oder Abfangjägern. Dass eine solche Alarmrotte aufsteigen muss, ist keine Seltenheit. Laut Angaben eines Sprechers der Deutschen Luftwaffe kommt es im Schnitt alle ein bis zwei Wochen zu einem Einsatz, sagte er gegenüber "ZDFheute". Hinzu kämen Einsätze, bei denen die deutsche Alarmrotte aufsteige, weil der Funkkontakt zu zivilen Flugzeugen abgebrochen ist.

Demonstration militärischer Stärke

Im jetzigen Fall waren die russischen Jets vermutlich auf dem Rückweg von der russischen Exklave Kaliningrad, einem militärisch stark ausgebauten Vorposten Russlands, wo sich auch die russische Ostseeflotte befindet. Bei Flügen von oder zu der Exklave kommt es immer wieder zu Zwischenfällen, denn die Flugzeuge müssen dafür durch einen Korridor über der Ostsee, der als internationaler Luftraum gilt.

Dabei hatten die Flugzeuge ihre Transponder ausgeschaltet. Zivile Verkehrsflugzeuge sind verpflichtet, ihre sogenannten ADS-B-Sender eingeschaltet zu haben, Militärflugzeuge hingegen müssen sie nicht verpflichtend aktivieren. Die Nato-Alarmrotte kann die Situation in solchen Fällen per Sichtkontakt aufklären. Oft lassen auch die Flugzeugtypen Rückschlüsse auf die Mission zu, etwa mit Blick auf Tank-, Transport- oder Aufklärungsflugzeuge.

Die Einsätze der Alarmrotten dienen außerdem der Demonstration militärischer Stärke. Man zeigt Präsenz und nähert sich den russischen Kampfflugzeugen teilweise bis auf zehn Meter.

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Klar geregeltes Vorgehen

Das Vorgehen für solche Vorfälle ist klar abgestimmt und geregelt. "Es gibt Mechanismen und Kontakte, ebenso wie es beiderseitige Verhaltensregeln für den Kontakt mit Flugzeugen der anderen Seite gibt", erklärt Gressel. Solche Regeln sind in den "In-Flight Intercept Procedures" aufgeschrieben. Sie reichen von einfachen Handzeichen der Kampfpiloten über disziplinarische Flugmanöver oder Abdrängen bis hin zum Einsatz von Leuchtmunition, Warnschüssen der Bordkanone, Zur-Landung-Zwingen oder Abschuss.

Disziplinarische Flugmanöver können zum Beispiel abruptes Kreuzen direkt vor der Flugzeugnase sein oder ein seitliches Aufstellen, um die Bewaffnung an der Unterseite des Jagdfliegers zu zeigen. Nicht in jedem Fall steigen Kampfflugzeuge aber überhaupt auf, oft klärt sich ein Szenario vorher durch die Flugsicherung auf.

Das Problem hier sei aber, dass nur die russisch-amerikanischen Kanäle gut funktionieren würden. "Kleinere Nato-Staaten nimmt Moskau hingegen nicht ernst", erklärt Gressel. Es sei im russischen Denken tief verankert, dass Bündnispartner nicht souverän seien.

Über den Experten: Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
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