- Deutschland deckt mehr als die Hälfte seines Gasbedarfs mit russischen Importen.
- Was also, wenn diese Lieferungen wegen Sanktionen in der sich zuspitzenden Russland-Ukraine-Krise wegfallen?
- Frieren müssten Privatverbraucher nach Einschätzung von Experten nicht. Ernst ist die Situation dennoch.
Sitzt Deutschland in der Erdgas-Falle? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Energieversorgung in Zeiten der Russland-Ukraine-Krise:
Welche Rolle spielt Russland als Gaslieferant?
Gas ist mit rund 27 Prozent Deutschlands zweitwichtigster Energieträger. Etwas mehr als 50 Prozent ihres Gasbedarfs deckt die Bundesrepublik durch Importe aus Russland, außerdem etwa 30 Prozent des Ölbedarfs. Es ist somit deutlich abhängiger von russischen Gaslieferungen als beispielsweise Frankreich oder Spanien.
"Das ist tatsächlich eine zu starke Abhängigkeit, auch eine gefährliche Abhängigkeit", sagt Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und zeigt sich angesichts des maximal angespannten Russland-Ukraine-Konflikts entsprechend beunruhigt. "Ohne Frage sind wir in einer ernsten Situation", sagt sie, "inmitten eines fossilen Krieges".
Gleichzeitig gibt es viele EU-Staaten, gerade in Osteuropa, die in Sachen Energieversorgung noch viel stärker an Russlands Tropf hängen, wie die Grafik zeigt.
Müssen wir frieren, wenn kein Gas mehr aus Russland kommt?
Experten verneinen dies, obwohl die Füllstände der deutschen Gasspeicher mit rund 31 Prozent (Stand Sonntag) derzeit schon sehr niedrig sind. Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), sagte der Deutschen Presseagentur (dpa): "Wenn die Lieferungen aus Russland von einem Tag auf den anderen ausfallen, ist das eine große Herausforderung, vor der die Bundesregierung und die Energiewirtschaft dann stehen würden. Aber wir haben in Europa Sicherungsmechanismen, die dann greifen. In jedem Fall sind Haushaltskunden und verschiedene Einrichtungen durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt. Auch würden vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit der Industrie oder der Wechsel auf andere Energieträger die Nachfrage nach Gas drosseln."
Außerdem könnten andere Länder unter Umständen mehr Gas liefern, sagt Andreae, die USA beispielsweise zusätzliches Flüssiggas. "Zudem ist Deutschland keine Insel, sondern Teil eines europäischen Erdgas-Versorgungssystems, in dem sich die EU-Staaten im Bedarfsfall gegenseitig unterstützen."
Auch die Jahreszeit spielt Deutschland in die Karten. "Wir sind am Ende des Winters", betont DIW-Expertin Kemfert. Die Heizperiode geht also zu Ende.
Wird Gas jetzt noch teurer?
Gut möglich. Wenn die EU als Antwort auf eine weitere Eskalation der Russland-Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland im Energiebereich beschließt, würde das in jedem Fall auch europäische Verbraucher treffen, sagte Timm Kehler, Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, der dpa. Preissteigerungen würden an die Verbraucher weitergegeben, wenn auch mittels langfristiger Verträge mit Verzögerung.
Welche Rolle spielt Nord Stream 2?
Mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 würde der Anteil russischer Lieferungen an den deutschen Gasimporten Claudia Kemfert zufolge auf knapp 70 Prozent steigen. Doch dazu wird es zumindest vorerst nicht kommen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Zertifizierung der Pipeline am Dienstag gestoppt.
Beim Branchenverband Zukunft Gas bedauert man das. "Die Pipeline leistet einen Beitrag zur Schließung der wachsenden Importlücke in Europa, insbesondere mit Blick auf den nächsten Winter wird die Versorgungslage nicht einfacher", sagt Kehler.
Wie lässt sich die Abhängigkeit von Russland in der Energieversorgung verringern?
Claudia Kemfert ist überzeugt: "Die beste Antwort auf fossile Energiekriege ist die Energiewende mit mehr erneuerbaren Energien und Energiesparen." Derzeit liegt der Anteil der erneuerbaren am Energiemix lediglich bei 16 Prozent.
Zwei Dinge sollte der Staat Kemferts Ansicht nach tun, um für bezahlbare Energiepreise zu sorgen: "Erstens: erneuerbare Energien ausbauen und das Energiesparen fördern. Und zweitens: die CO2-Einnahmen pro Kopf an die Haushalte rückerstatten." Dies entlaste vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen.
Tim Kehler mahnt eine Diversifizierung der Gasversorgung an und plädiert für den Bau eines deutschen LNG-Terminals, um Flüssiggas (LNG steht für Liquefied Natural Gas) hierzulande vom Tanker an Land bringen zu können.
Mit Material von dpa und AFP.
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