Erstmals seit 30 Jahren sollen Atomwaffen in Belarus stationiert werden. Das kündigte Putin am 25. März an. Was würde der Schritt bedeuten und verändert er die Bedrohungslage? Militärexperte Gustav Gressel gibt Antworten.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Die Ankündigung sorgte für Aufruhr: Kreml-Chef Putin gab am 25. März bekannt, dass Russland taktische Atomwaffen in Belarus stationieren wird. Die Anlage, in der die Nuklearwaffen untergebracht werden, soll Angaben des Kreml zufolge bis zum Sommer fertiggestellt sein.

Wann genau die Stationierung erfolgen wird, ließ Putin aber offen. Mit dem Entschluss komme Moskau einer langen Bitte des belarussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko nach, erklärte er.

Noch Fragen offen

Konkret sei die Entscheidung nun in Reaktion auf Großbritanniens Ankündigung gefallen, Munition mit abgereichertem Uran an die Ukraine zu liefern. Anders als die taktischen Nuklearwaffen, die Putin in Belarus stationieren will, handelt es sich dabei allerdings nicht um Kernwaffen.

Bislang sind allerdings noch viele Fragen offen, etwa wo genau die Waffen gelagert werden sollen. Möglich wäre der Bau eines komplett neuen Lagers oder die Renovierung alter Lager aus der Sowjetzeit. Diese Infrastruktur hatte Belarus nach dem Abzug aller Atomwaffen nicht aufgegeben. Zu Sowjetzeiten lagerten rund zwei Drittel aller sowjetischen Mittel- und Kurzstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen in Belarus.

Welche Waffen genau nach Belarus kommen sollen, ist noch nicht bekannt. Putin sprach von der Stationierung von etwa zehn Flugzeugen, die taktische Atomwaffen tragen können, und einem Iskander-Raketensystem. Dieses kann ebenfalls als Trägersystem für Atomsprengköpfe dienen.

Waffen könnten Deutschland erreichen

Solche Sprengköpfe ließen sich auch beispielsweise in Verbindung mit der luftgestützten ballistischen Hyperschallrakete H-47M2 Kinschal oder dem Kampfflugzeug Suchoi-30SM einsetzen. Diese Waffensysteme sind auch bereits in Belarus stationiert und wurden teilweise schon im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt.

Im Vergleich zu strategischen Atomwaffen haben taktische Atomwaffen eine geringere Reichweite und Sprengkraft. In seiner Exklave Kaliningrad an der Ostsee hat Moskau allerdings bereits viele Nuklearwaffen und Trägersysteme stationiert – die Gebiete in Polen, Litauen, Lettland, Estland, Schweden und Deutschland erreichen könnten.

Experte: "Nicht überraschend"

Belarus als strategischer Stützpunkt ist derweil nichts Neues: zu Sowjetzeiten galt es als eine Art Nuklearwaffen-Festung. In der Vergangenheit gab es bereits Übungen, nuklearwaffenfähige Systeme in Belarus zu stationieren.

Die Praxis, Atomwaffen in einem anderen Land zu lagern, praktiziert auch die Nato. Amerikanische Atomwaffen befinden sich beispielsweise in Deutschland, den Niederlanden und der Türkei. Ein verändertes Bedrohungsszenario durch die dauerhafte Stationierung sieht Militärexperte Gustav Gressel daher nicht, es gebe keinen Grund zu Panik.

"Die Ankündigung kommt nicht überraschend", sagt er. Mit einem gefakten Verfassungsreferendum im Februar 2022 habe Staatschef Lukaschenko den atomwaffenfreien Status von Belarus abgeschafft. Zuvor schrieb die Verfassung vor, dass Belarus eine atomwaffenfreie Zone sein muss. Auch die bis dahin offiziell geltende Neutralität wurde aus der Verfassung gestrichen. "Damit war zu erwarten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis russische Nuklearwaffen nach Belarus kommen", sagt Gressel.

Deutschland liefert Leopard-Panzer in die Ukraine

Über die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine wurde in Berlin lange diskutiert, bevor sich die Bundesregierung schließlich dafür entschied. Nun sind sie angekommen - sogar mehr als geplant.

Wachsende Union zwischen Moskau und Minsk

Für Russland sei die dauerhafte Stationierung ein Mittel, um in Belarus eine Rechtfertigung für dauerhafte militärische Präsenz zu haben. "Schließlich muss das Lager bewacht werden und man muss Schutztruppen stationieren", erklärt er. Außerdem verstärke der Schritt das Festhalten Russlands an Belarus. "Lukaschenko hat dadurch eine Rückversicherung", analysiert Gressel.

Belarus gilt als Satellitenstaat von Moskau. Bereits jetzt nimmt Russland großen politisch-wirtschaftlichen und militärischen Einfluss. Nach Einschätzung von Experten plant Russland mittel- bis langfristig die Einverleibung der souveränen und unabhängigen Nation Belarus bis zum Jahr 2030. Belarus soll Teil eines neuen großrussischen Reichs, einer Sowjetunion des 21. Jahrhunderts, werden.

Die jetzige Entscheidung deuten Beobachter auch als Zeichen für die schwindende Souveränität des Landes. Es gab keine gemeinsame Pressekonferenz, sondern nur eine einseitige Ankündigung durch Putin. Die Union zwischen Moskau und Minsk wächst, und mit ihr die Isolation von Belarus.

Stabilisierung des Regimes?

"Lukaschenko hofft, dass Atomwaffen sein eigenes Regime stabilisieren und sich niemand traut, eine Protestbewegung zu unterstützen, wenn solche Waffen in seinem Land lagern", sagt Gressel. Putins Begründung, die Stationierung erfolge aufgrund der britischen Munitionslieferung, hält der Experte für Unsinn.

"Die Russen verwenden selbst Geschosse mit abgereichertem Uran", sagt er. Wegen seiner hohen Dichte und Härte ist das Material ein relativ häufiger Bestandteil von Panzerabwehrmunition. "Es war vom britischen Verteidigungsminister allerdings nicht schlau, das extra noch einmal zu betonen. Es war klar, dass Putin das als Argument nutzt", sagt Gressel.

Über den Experten:
Gustav Gressel ist Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen. Er absolvierte eine Offiziersausbildung und studierte Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Schwerpunktmäßig befasst sich Gressel mit Osteuropa, Russland und der Außenpolitik bei Großmächten.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.


JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.