Flugzeuge bleiben auf dem Boden, Gewehre zielen nicht, Materialengpässe sorgen für Frust. Experten beschreiben die Lage bei der Bundeswehr als dramatisch, sie sei nur bedingt einsatzbereit. Und das obwohl sich die Sicherheitslage verschlechtert. Wie geht es weiter mit der Truppe?
Die Welt rüstet auf. Vor allem in den osteuropäischen Staaten und im Nahen Osten stiegen die Militärausgaben 2015 an, wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri herausfand. Nun kündigten auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien für das kommende Jahr eine Aufstockung der Geldmittel für ihre Streitkräfte an.
Ein Grund sind die neuen Herausforderungen durch den islamistischen Terror. Das scheint aus Sicht vieler Experten überfällig: Die Bundeswehr gilt als Sanierungsfall. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, sprach bei der Vorstellung seines Jahresberichts im Januar von einem "System der Mangelverwaltung".
Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, André Wüstner, erklärte unlängst der Deutschen Presse-Agentur: "Die Streitkräfte werden flächendeckend in den Burnout getrieben, wenn nichts passiert." Ist die Lage bei der Truppe tatsächlich so dramatisch? Und wo gibt es die größten Mängel?
"Ein enormer Sanierungsfall"
Fehlende Ausrüstung, Engpässe beim Personal, strukturelle Unterfinanzierung - die Bundeswehr klagt schon seit Jahren über Probleme. Gerade bei den Waffensystemen tauchten immer wieder erhebliche Mängel auf: So funktionierte die Aufklärungsdrohne Euro Hawk nicht nach Wunsch, die Zielgenauigkeit des Sturmgewehrs G36 ließ zu wünschen übrig.
Besonders dramatisch ist die Situation bei der Luftwaffe. Bei einem Großteil der Fluggeräte seien aufgrund der langen Betriebszeit "viele Ersatzteile nicht mehr oder nur noch eingeschränkt verfügbar" heißt es in einem Bundeswehrvermerk.
Im zweiten Quartal 2014 funktionierten von 57 Transall-Transportflugzeugen 32 nicht, von 89 Tornado-Jets konnten 52 nicht abheben, nur fünf der 33 Transport-Helikopter vom Typ NH90 waren voll einsatzfähig. Vom Kampfflugzeug Eurofighter wurden von den 109 Maschinen nur acht als "materiell einsatzfähig" beschrieben.
Die Situation hat sich kaum gebessert. "Auch der Bundesregierung muss klar sein, dass die Bundeswehr ein enormer Sanierungsfall ist und aufgrund der sicherheitspolitischen Lage dringender Handlungsbedarf besteht", erklärte André Wüstner vom Bundeswehrverband in Anspielung auf die zunehmende Gefahr durch den islamistischen Terror.
Für Kritik sorgten zum Teil auch die Initiativen von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die weicheren Faktoren im Arbeitsleben der Soldaten wie Wohnumfeld und Kinderbetreuung zu verbessern.
In Unterkünften wurden beispielsweise Flatscreens installiert. Das größere Problem sei jedoch die mangelhafte Ausstattung. Munition, Waffensysteme, persönliche Ausrüstung, Ersatzteile.
"Noch in diesem Jahr muss das 'Militärische' wieder in den Mittelpunkt gerückt werden", forderte Wüstner. Doch das kostet.
Wehrfähigkeit bedroht
2016 flossen aus dem Bundeshaushalt 34,3 Milliarden Euro in die Truppe und ihre Ausrüstung. Der Bundeswehrverband forderte in einem Grundsatzpapier eine deutliche Aufstockung.
Von der Leyen reagierte auf die Kritik des Wehrbeauftragten und des Verbandes: Die Ministerin will in den nächsten 15 Jahren 130 Milliarden Euro in die Modernisierung der Bundeswehr stecken. Das wäre eine Verdoppelung der bisherigen Haushaltsansätze – wenn das Vorhaben tatsächlich umgesetzt wird.
Derzeit erfüllt Deutschland mit 1,2 Prozent nicht einmal annährend das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben.
Der Grund? Die Bundeswehr hat mit der Armee, die sie vor 25 Jahren einmal war, nicht mehr viel zu tun.
Seit 1990 setzte eine schleichende Demilitarisierung ein, weil ein starkes Militär durch das Ende des Ost-West-Konflikts plötzlich überflüssig erschien. Wettrüsten, atomare Bedrohungsszenarien und Stellvertreterkriege stellten keine Bedrohung mehr dar.
Dagegen galten Abrüstung und Entmilitarisierung der Außenpolitik als Gebot der Stunde. Seit der Wiedervereinigung schrumpfte die Truppe von fast 600.000 auf 178.000 Soldaten.
"Der Kalte Krieg war zu Ende, der Feind im Osten war nicht mehr da", betonte der Militärhistoriker Wolfram Wette. "Wie sollten die Spitzenmilitärs denn der Bevölkerung erklären, dass man der Bundeswehr noch bedarf, dass sie noch nötig ist?"
Heute wird ihre Daseinsberechtigung in weiten Teilen der politischen Klasse – mit Ausnahme der Linkspartei – nicht in Frage gestellt:
Derzeit ist die Bundeswehr an 17 Auslandseinsätzen beteiligt. So unterstützt die Armee in Syrien und dem Irak die internationale Koalition im Kampf gegen den sogenannten "Islamischen Staat" (IS). Durch Aufklärungsflüge, einen Airbus zur Luftbetankung sowie eine Fregatte.
Im Irak werden kurdische Kämpfer ausgebildet und mit Waffen versorgt. Nach Vorstellungen der Bündnispartner ist das noch viel zu wenig. Doch zu mehr ist die Truppe offenbar gar nicht mehr im Stande.
Die jahrelange Unterversorgung, aber auch ineffiziente Strukturen fordern ihren Tribut. Nach Einschätzung führender Generäle könne die Bundeswehr im Ernstfall nicht einmal ihre Kernaufgabe – die Landes- und Bündnisverteidigung – erfüllen.
"Es fehlt an allem", bilanzierte der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels. "Die Bundeswehr ist am Limit."
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