Deutschlands größter Schlachtbetrieb Tönnies ist wegen eines heftigen Coronavirus-Ausbruchs geschlossen, die Produktion ruht. Welche Rolle spielen die umstrittenen Werkverträge, die Arbeitsbedingungen und die Unterbringung der meist ausländischen Arbeitskräfte bei den Neuinfektionen? Und wie reagiert nun die Politik?

Eine Analyse

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"Gesunde und genussvolle Ernährung. Nachhaltige Tierhaltung. Verantwortungsvolle Produktion" - die Homepage der Tönnies-Unternehmensgruppe befindet sich nach wie vor im Wohlfühlmodus.

Warum sollte man der interessierten Kundschaft auch gleich bei der ersten Begegnung stecken, dass am Firmenstandort Rheda-Wiedenbrück täglich 20.000 Schweine ihr Leben lassen, von rund 5.300 Beschäftigten in harter Arbeit geschlachtet, zerlegt, weiterverarbeitet und verpackt werden?

Bilder, die sich der Konsument gern erspart; Zustände, über die so mancher beim Griff zum marinierten Nackensteak in der Discounter-Fleischtheke, das Kilo für nur 6,65 Euro, lieber nicht nachdenkt.

Derzeit ruht allerdings der Betrieb, die Produktion ist nach einem Corona-Ausbruch mit aktuell 730 Infizierten geschlossen - genau wie Kindergärten und Schulen im Kreis Gütersloh.

Tönnies-Werk geschlossen: Keine Engpässe und keine erhöhte Infektionsgefahr

Liebhaber von günstigem Schweinefleisch müssen sich allerdings nicht grämen. "Unser Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sieht aufgrund der Corona-bedingten Schließung des betroffenen Betriebs die Versorgungslage mit Schweinefleisch in Deutschland nicht gefährdet. Auch bei den Preisen erwarten wir keine großen Bewegungen", erklärt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage unserer Redaktion.

Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) müssen Konsumenten auch keine Gefahr einer Infektion durch eventuell virenbelastestes Fleisch fürchten: "Es gibt derzeit keine Fälle, bei denen nachgewiesen ist, dass sich Menschen auf anderem Weg, etwa über den Verzehr kontaminierter Lebensmittel oder durch Kontakt zu kontaminierten Gegenständen mit dem Coronavirus infiziert haben."

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Tönnies ist Deutschlands größter Schlachtbetrieb

Zurück nach Rheda-Wiedenbrück: Der gigantische Fleischbetrieb in der Hand der Familie Tönnies ist Marktführer in Deutschland und für rund 30 Prozent der in Deutschland insgesamt 55 Millionen pro Jahr geschlachteten Schweine verantwortlich.

Und irgendwer muss diese harte Arbeit auch ausführen. Laut Unternehmensangaben sind insgesamt 16.500 Menschen bei Tönnies beschäftigt, davon sind rund 50 Prozent bei Werkvertragspartnern angestellt. Prinzipiell erst einmal nichts Verwerfliches und in vielen Branchen übliche Praxis.

Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) "verpflichtet sich bei einem Werkvertrag ein Auftragnehmer, ein Werk gegen Zahlung eines Werklohns zu erstellen. Er handelt dabei unternehmerisch selbstständig und haftet für den Erfolg seiner Arbeit."

Das Problem: Arbeitnehmer bei Werkvertragsunternehmen haben oft schlechtere Arbeits- und Einkommensbedingungen als die "Stammbelegschaft" eines Betriebs – obwohl sie oft am gleichen Ort die gleiche Tätigkeit ausüben.

DGB: Großteil der Produktion wird durch Subunternehmer geleistet

Der DGB geht davon aus, dass im überwiegenden Teil der Fleischindustrie die gesamte Produktion über Werkverträge an Subunternehmen ausgegliedert ist. Kritik an diesen Werkverträgen in der Schlachtbranche gibt es schon lange. Durch sie können sich die Betriebe der Verantwortung für Niedrigstlöhne und miserable Zustände bei der Unterbringung der meist aus Osteuropa stammenden Arbeitskräfte entziehen.

Auch bei Tönnies, so die Vermutung der Gesundheitsbehörden, ist der Corona-Ausbruch darauf zurückzuführen, dass die notwendigen Hygiene- und Abstandsregelungen weder im Betrieb noch in den Sammelunterkünften eingehalten wurden.

Anfang der Woche wurde ein Video öffentlich, das in der Betriebskantine von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück aufgenommen wurde. Es zeigt, wie hunderte Mitarbeiter ihr Mittagessen einnehmen – dicht an dicht sitzend, keine Spur von Mindestabstand.

Laut SWR stammt das Video nicht, wie von Tönnies ursprünglich behauptet, aus den Anfangstagen der Pandemiemaßnahmen, sondern vom 8. April – also deutlich nach dem 30. März, dem Tag, an dem in Nordrhein-Westfalen klare Vorgaben für Betriebskantinen zum Schutz vor Neuinfektionen verabschiedet wurden. Inzwischen hat das Unternehmen eingeräumt, dass das Video von Anfang April stamme.

Arbeitsminister Heil: Verbot von Werkverträgen ab 2021

Die Politik gibt sich entschlossen und will jetzt handeln. "Hunderte von Infektionen in einem Betrieb. Diese Zustände sind nicht haltbar. Dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die Ursachen der Infektionen am Arbeitsplatz und in den Unterkünften gründlich untersucht, ist richtig", findet Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner.

Auf Anfrage unserer Redaktion erklärte das federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter Hubertus Heil (SPD), der "neueste Fall von Hunderten Corona-Infizierten in einem Schlachtbetrieb zeigt den dringenden Handlungsbedarf in dieser Branche".

Daher arbeite das Ministerium "unter Hochdruck an einem Gesetzentwurf, um die Missstände in der Fleischindustrie zu beenden". Werkverträge sollen laut BMAS "rechtsfest untersagt" werden, Minister Heil wisse um die Dringlichkeit.

Nur noch eigene Angestellte dürfen schlachten und zerlegen

Der Startschuss für den Gesetzentwurf fiel bereits Mitte Mai. "Besonders wichtig ist mir, dass wir die organisierte Verantwortungslosigkeit in Sub-Unternehmerkonstruktionen beenden. Werkverträge beim Schlachten und Verarbeiten von Fleisch werden verboten", erklärte Heil damals.

Im "Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft" des BMAS sind insgesamt zehn Maßnahmen vorgesehen. So sollen beispielsweise nur noch Angestellte des eigenen Betriebs Tiere schlachten und zerlegen dürfen. Zudem sollen die Unterbringungsbedingungen effektiver kontrolliert werden. Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern eine Unterkunft stellen, sollen den zuständigen Behörden Meldung machen, welche Arbeitskräfte eingesetzt werden und wo diese genau wohnen.

In Kraft treten soll das Gesetz allerdings erst zum 1. Januar 2021. Aus dem BMAS heißt es, "die Unternehmen der Fleischindustrie sind aufgefordert, bereits jetzt die Arbeits-, Unterbringungs- und Transportbedingungen zu verbessern" – inwiefern die Branche dem folgt, bleibt abzuwarten. Der Verband der Fleischwirtschaft stand für eine Stellungnahme jedenfalls nicht zur Verfügung.

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Verwendete Quellen:

  • Schriftliche Antworten aus dem BMEL und BMAS
  • www.tagesschau.de: "Video zeigt Hygieneverstöße"
  • www.dgb.de: "Werkverträge: Welche Rechte haben die Beschäftigten?"
  • Internetseite des BMAS
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