Donald Trump hat Deutschland und mehrere andere europäische Länder aufgefordert, seine Bürger, die sich in Syrien dem IS angeschlossen haben und aktuell inhaftiert sind, zurückzuholen. Berlin hat sich prinzipiell dazu bereit erklärt, betont aber, dass es hierbei große Hürden zu bewältigen gäbe.
Mit zwei Tweets hat US-Präsident
Die Europäer sollen handeln, verlangt Trump. Er fordert die Rücknahme von 800 gefangenen IS-Kämpfern und verknüpft dies unverhohlen mit der US-Forderung nach Ablösung im Syrien-Einsatz. "Jetzt ist es Zeit für andere, vorzutreten und den Job zu erledigen, den sie so gut können. Wir ziehen uns nach dem hundertprozentigen Sieg über das Kalifat zurück", schreibt er.
Dilemma für Berlin
Seine Parteifreunde warben am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz dafür, dass Nato-Partner Truppen für Syrien bereitstellen. Dies soll auch die Kurden vor einem türkischen Einmarsch bewahren und Erfolge gegen den IS, der aber im Untergrund aktiv bleibt, absichern.
Die Bundesregierung steht vor einem Dilemma. Man will die deutschen IS-Kämpfer vor Gericht oder im Gefängnis sehen, doch die Gräueltaten der islamistischen Terroristen sind bisher nur in wenigen Fällen gerichtsfest dokumentiert. Etwa 1050 Frauen und Männer sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit dem Jahr 2013 aus Deutschland in das Kampfgebiet Syrien/Irak ausgereist, um sich dort an der Seite von terroristischen Gruppen am Dschihad zu beteiligen.
Wenige Haftbefehle
Ein Drittel sei nach Deutschland zurückgekehrt, die Zahl der Getöteten werde auf 200 geschätzt, heißt es. In kurdischem Gewahrsam befindet sich nach diesen Angaben eine "größere zweistellige Zahl". "Nur gegen sehr wenige dieser Personen liegen Haftbefehle vor. Gegen eine weitere, ähnlich kleine Gruppe, bestehen derzeit Ermittlungsverfahren", sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.
Anspruch auf Rückkehr
Zugleich haben deutsche Staatsbürger einen Anspruch auf Rückkehr in ihr Land. "Für die Gruppen der Dschihad-Rückkehrer werden daher in Deutschland im Falle einer bevorstehenden Wiedereinreise umfangreiche Maßnahmen des Polizei- und Strafrechts geprüft", sagt der Sprecher weiter. "Und für jede Person wird eine individuelle Gefährdungseinschätzung vorgenommen und wo immer möglich versuchen die deutschen Behörden, Rückkehrer zu deradikalisieren." Insbesondere Kinder erhalten psychologische Betreuung. Etwa 75 Prozent sind unter drei Jahren alt und im Dschihad-Gebiet geboren.
IS steht vor Niederlage
Wahrscheinlich handelt es sich nur noch um Tage, bis der IS auch in Syrien seine letzte Bastion verloren hat und das selbst ernannte Kalifat endgültig zerstört ist. In dem kleinen Ort Baghus weit im Osten des Bürgerkriegslandes sollen sich auf engstem Raum einige Hundert Dschihadisten verschanzen, darunter viele Ausländer und womöglich auch noch weitere Deutsche.
Allein in den vergangenen Monaten sind Hunderte IS-Anhänger ihren Gegnern in die Hände gefallen. Erst vor knapp einer Woche ergaben sich Dutzende den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), die den IS in Baghus umzingelt haben. Aktivisten berichten, dass insgesamt rund 1200 Ausländer in die Gewalt der Kurden geraten seien, die die SDF anführen. Hinzu kommt eine noch größere Zahl an Frauen und Kindern.
Genaue Zahl noch unklar
Während diese in Flüchtlingslagern gestrandet sind, sitzen die Männer in Internierungslagern im Norden Syriens, wo sie verhört werden, offensichtlich auch vom US-Geheimdienst. Zur genauen Zahl der deutschen Gefangenen machen die Kurden selbst jedoch keine Aussagen. Über sie dringen nur wenige Informationen durch.
Einer von ihnen ist Martin L. aus Sachsen-Anhalt, der sich 2014 dem IS angeschlossen hatte und nach Syrien gereist war. Einer seiner Mentoren soll Abu Walaa gewesen sein, gegen den gerade vor dem Oberlandesgericht Celle verhandelt wird. Kurz nach seiner Festnahme verbreitete der irakische Sender Kurdistan 24 ein Video mit einer der Ehefrauen des Deutschen. Sie sei nach Syrien gereist, um "islamisch" leben zu können, erzählt die 19-Jährige darin auf Englisch, auf dem Schoß ein kleines Kind. "Aber ich habe vergessen, dass ich nicht nur dort lebe, sondern dass es ein Kampf ist", sagt sie schließlich. "Ich war naiv." Ein Satz, den mehrere IS-Frauen in Interviews gesagt haben - als wäre er abgesprochen.
Kurden fordern Hilfe
Die Kurden fordern schon seit langem, dass die Herkunftsländer die Dschihadisten wieder aufnehmen. Die Kurden haben im Norden Syriens zwar eine Selbstverwaltung errichtet, doch die staatlichen Strukturen sind nur schwach ausgebaut. Sie selbst wollten den IS-Anhängern keinen Prozess machen, erklärte Kurden-Vertreter Abdulkarim Omar über Twitter.
Doch auch eine Rückkehr nach Deutschland stellt sich als schwierig dar. Offizieller Ansprechpartner müsste eigentlich die Regierung von Syriens Machthaber Baschar al-Assad sein. Weil die Bundesregierung aber ihre Beziehungen zu Damaskus abgebrochen hat, verfügt sie über keine diplomatischen Beziehungen zu dem Bürgerkriegsland mehr.
Rückkehr wäre äußerst kompliziert
Und was passiert, wenn IS-Anhänger keine deutschen Papiere mehr besitzen, um ihre Identität nachzuweisen? Oder wenn Kinder im "Kalifat" geboren wurden und nie eine offizielle Geburtsurkunde erhalten haben? Schon allein praktisch wäre eine Rückkehr kompliziert: Die IS-Angehörigen müssten wohl auf dem Landweg über die Türkei oder den Irak zurückgebracht werden. Oder sie müssten über eine Luftbrücke aus Syrien direkt zurück in die Heimat reisen.
Terrorexperte Peter Neumann vom Londoner King's College empfiehlt generell, die IS-Anhänger nach und nach zurückzuholen und mit den einfachsten Fällen anzufangen. "Dann kann man die als Kronzeugen nutzen und deren Aussagen in Prozessen gegen die schweren Fälle verwenden", sagt er.
Kritik an der Untätigkeit
Der Grünen-Politikerin Irene Mihalic wirft der Bundesregierung vor, sich vor ihrer Verantwortung zu drücken. "Wir müssen endlich aufhören so zu tun, als sei die Radikalisierung dieser Kämpferinnen und Kämpfer nicht bei uns in Deutschland erfolgt. Diese Menschen sind Teil unserer Gesellschaft und wir haben eine Verantwortung für das, was sie hier oder anderswo anrichten."
Die Gesellschaft für bedrohte Völker kritisierte Untätigkeit der Bundesregierung und fordert aus Sicherheitsgründen wenigstens eine erkennungsdienstliche Erfassung der gefangenen Extremisten. Eine Bestrafung der IS-Mitglieder vor einem ordentlichen Gericht sei man den Opfern der IS-Barbarei schuldig. (mss/dpa)
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