• Seit 1. Januar gilt in eine neue Regelung zum Wohngeld: Mehr Haushalte als bisher können den staatlichen Mietzuschuss beantragen.
  • Sozialverbände loben die Reform. Doch viele Kommunen kommen mit dem Bearbeiten der Anträge nicht hinterher.
  • Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz erklärt, warum das Wohngeld gerade jetzt so wichtig ist und wie sie Behörden bei der Bearbeitung entlasten will.
Ein Interview

Frau Hubertz, es gibt in Deutschland für bedürftige Menschen Sozialhilfe. Warum brauchen wir überhaupt ein Wohngeld?

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Das Wohngeld ist ein Instrument, mit dem wir Menschen helfen, die nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind, aber trotzdem Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Wohnkosten brauchen. Das können Rentner auf dem Dorf mit einem Eigenheim sein, aber auch Berufstätige, darunter viele Alleinerziehende, in der Stadt. Es ist eben keine Sozialleistung, sondern eine staatliche Zuschussleistung. Sie hilft den Menschen, die ihre Miete oder Wohnkosten aktuell nicht mehr alleine zahlen können.

Seit Januar gilt eine neue Regelung, die die Ampel auf den Weg gebracht hat. Warum brauchen wir diese Reform?

Die Wohnkostenbelastung liegt in vielen Teilen der Gesellschaft mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau. Teilweise übersteigen die Mietkosten schon mehr als 50 Prozent des monatlichen Haushaltseinkommens. Das ist langfristig nicht leistbar. Zudem haben sich seit Beginn des Krieges in der Ukraine und durch die Inflation die Nebenkosten stark nach oben entwickelt, was die Situation für viele Haushalte zusätzlich erschwert. Über die neu eingeführte und dauerhafte Heizkostenkomponente im Wohngeld versuchen wir diese und andere Mehrkosten auszugleichen.

Dafür gibt es aber auch die Gas- und Strompreisbremse.

Das stimmt, aber wir müssen trotzdem von einer Verdoppelung der Energiekosten ausgehen - trotz Bremsen. Für Haushalte, die sowieso schon an der finanziellen Belastungsgrenze leben, ist eine langfristige zusätzliche Absicherung über das Wohngeld daher elementar. Das Wohngeld haben wir daher so aufgebaut, dass sich der Kreis der Anspruchsberechtigten fast verdreifacht. Vorher waren es 600.000 Haushalte, die anspruchsberechtigt waren, jetzt sind es zwei Millionen. Wir haben das Wohngeld außerdem noch einmal erhöht, von durchschnittlich 180 auf 370 Euro.

Wer profitiert von der Reform?

Das sind Menschen, die arbeiten gehen oder eine Rente bekommen und trotzdem nicht genug Geld haben, um ihre Wohnkosten zu tragen. Diese wollen wir davor bewahren, möglicherweise ihre Wohnung zu verlieren, weil sie die Kostenlast erdrückt. Es ist eine Erleichterung für viele Menschen mit geringeren Einkommen beziehungsweise Renten.

Aber es ist die Frage, ob es dort auch ankommt. Kritiker sagen, die Beantragung sei zu kompliziert. 1,15 · (M – (a + b · M + c · Y) ·Y) Euro: Kennen Sie diese Formel?

So wird laut Gesetz das Wohngeld berechnet.

Genau. Wer soll das verstehen?

Das klingt zwar auf den ersten Blick wahnsinnig kompliziert, ist aber tatsächlich wichtig, um alle Faktoren miteinzubeziehen, wie beispielsweise Wohnort, Einkommen und die Anzahl der Personen im Haushalt. Damit wollen wir gewährleisten, dass die Hilfe nicht nach dem Gießkannenprinzip ausgegossen wird, sondern zielgerichtet bei denjenigen ankommt, die sie wirklich brauchen. Auf der Webseite des Bauministeriums von Ministerin Geywitz können Bürgerinnen und Bürger mit wenigen Eingaben über einen Wohngeldrechner vorab und sehr einfach prüfen lassen, ob sie Anspruch auf Wohngeld haben.

Auf der Webseite des Bauministeriums kann der eigene Wohngeld-Anspruch berechnet werden.

Verena Hubertz: "Der Antrag wirkt natürlich auch rückwirkend"

Die Komplexität der Anträge ist aber nicht nur für die Antragssteller ein Problem. Die Ämter kommen gerade nicht hinterher mit der Bearbeitung. Muss der Bund hier helfen?

Ja, und das tun wir auch. Wir müssen das Antragsverfahren entschlacken. Das haben wir auch bereits. Wir haben die Bewilligungszeit auf maximal 24 Monate verlängert, vorher waren es zwölf Monate. Nun muss man nicht mehr so oft zum Amt, um das Wohngeld zu verlängern. Zudem haben wir vorläufige Wohngeldbewilligungen eingeführt. Damit können über deutlich vereinfachte Antragsverfahren Wohngeldbewilligungen vorläufig und schnell erteilt werden. Die vorläufige Bewilligung kann dann sogar ohne eine weitere Prüfung der Wohngeldstelle nach einem Jahr automatisch zu einer endgültigen Festsetzung werden.

Viele Kommunen sind trotzdem überfordert.

Es kann sein, dass sich da ein Flaschenhals bei den Anträgen bildet und Antragssteller möglicherweise länger warten müssen. Viele Kommunen haben aber bereits digitale Prozesse aufgesetzt, mit denen die Bearbeitung gut und schneller funktioniert. Zudem haben viele Wohngeldstellen ihr Personal massiv aufgestockt, damit die Bearbeitungszeiten so kurz wie möglich gehalten werden. Was nun auch erstmalig genutzt werden kann, ist das Instrument der vorläufigen Wohngeldbewilligung.

Das hatte der Mieterbund gefordert.

Mit deutlich weniger Nachweisen und einem stark vereinfachten Antragsverfahren kann die Behörde das Wohngeld vorläufig bewilligen. Erst im Anschluss werden dann alle Antragsvoraussetzungen vollständig geprüft. Wir wollen nicht, dass Leute lange warten müssen, weil so viele Anträge gestellt werden. Wichtig ist aber auch, dass die Digitalisierung des Bearbeitungsprozesses voranschreitet. Das ist insgesamt ein gutes Pilotprojekt, um die Zukunft in die Ämter einkehren zu lassen.

Experten hatten die Probleme mit der Bearbeitung schon vorab angemahnt. War die Regierung zu voreilig mit dem Gesetz?

Uns war es wichtig, den Anspruch so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Wir leben in einer Krisenzeit und die Menschen haben jetzt aktuell die Sorge, wie sie durch die Krise kommen. Auch wenn jetzt noch nicht alles perfekt ist: Der Antrag wirkt natürlich auch rückwirkend. Wenn Bürger das Wohngeld schon im Januar beantragt haben, aber der Antrag erst im März positiv beschieden ist, erhalten sie selbstverständlich rückwirkend auch für Januar und Februar Wohngeld. Manche Länder, wie Hamburg und Brandenburg, haben sich auch vorab schon ganz gut vorbereitet und arbeiten sehr zügig.

Das heißt, wenn ich den Antrag im Januar gestellt habe, er aber erst im März bewilligt wird …

… bekomme ich natürlich trotzdem ab Januar rückwirkend das Wohngeld ausgezahlt. Das ist ähnlich wie bei der Gaspreisbremse, die wird auch erst im März ausgezahlt. In Krisen und wenn die Dinge so kompliziert geregelt sind wie in Deutschland, ist es eben wichtig, schnell zu sein und nicht ein halbes Jahr lang an einer perfekten Lösung zu werkeln. Denn dieses halbe Jahr bedeutet für sehr viele Menschen hohe Lasten und Hürden.

Und das kann in Deutschland auch dazu führen, dass man bei Mietrückständen aus der eigenen Wohnung ausziehen muss.

Genau so ist es, deshalb fordert die SPD schon seit Sommer 2022 zusätzlich zu den finanziellen Hilfen ein Kündigungsmoratorium einzuführen. Das würde dafür sorgen, dass Menschen, nur weil sie durch eine Krise in Zahlungsrückstand geraten, nicht aus der Wohnung fliegen. Wenn man in diesen Zeiten auf dem Wohnungsmarkt etwas Bezahlbares suchen muss, dann wissen wir alle, wie das ausgeht. Der Wohnungsmarkt ist überhitzt und es ist nahezu unmöglich etwas zu finden. Leider wird dieses Vorhaben aus nicht nachvollziehbaren Gründen von Justizminister Marco Buschmann blockiert.

Das klingt nach Differenzen innerhalb der Regierungskoalition.

Ich hoffe, dass wir dieses Moratorium noch anderweitig umgesetzt bekommen. Ansonsten freuen wir uns auch auf die Umsetzung anderer entscheidender Maßnahmen, wie dem kommunalen Vorkaufsrecht oder der Mietpreisbremse, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen.

Zur Person: Verena Hubertz ist seit Dezember 2021 eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Bei der Bundestagswahl 2021 errang sie das Direktmandat im Wahlkreis Trier und ist seitdem Mitglied des Deutschen Bundestages. Vor ihrer politischen Karriere war sie als Unternehmerin tätig.
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