Die Zahl der Menschen, die zu den Tafeln gehen, steigt. Manche Tafeln verhängen einen Aufnahmestopp oder rationieren Lebensmittel. Die Tafeln fordern "Kindergrundsicherung" und ein "Lebensmittelrettungsgesetz".

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Die Tafeln in Deutschland stehen unter großem Druck. Sie müssen immer mehr Menschen helfen, die Lebensmittel benötigen. Ihre eigenen Mitarbeitenden leiden währenddessen unter steigendem Stress. Woher genau rührt diese schwierige Lage und was fordern die Tafeln von der Politik?

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Jeder Verbraucher kennt es und hat darunter zu leiden: die Preissteigerungen bei den Lebensmitteln. Und so bekommen auch die Tafeln in Deutschland seit Beginn des Krieges in der Ukraine die Folgen der höheren Preise zu spüren. "Die Anzahl unserer Kundinnen und Kunden ist seit der Pandemie deutlich gestiegen. Hinzu kommen die Folgen des Angriffskrieges auf die Ukraine, die Inflation sowie die gestiegenen Kosten", sagt Pascal Kutzner, stellvertretender Sprecher der Tafel Deutschland.

"Die Tafeln sollten ursprünglich Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahren, nicht Menschen vor dem Hunger"

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes

Mehr als ein Drittel der Tafeln müssen bis zu 50 Prozent mehr Menschen helfen, die für Lebensmittel zu ihnen kommen, erklären die Tafeln nach eigenen Angaben. Bei 20 Prozent der Tafeln hat sich die Anzahl der Kunden gar verdoppelt.

"Die Tafeln sollten ursprünglich Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahren, nicht Menschen vor dem Hunger", sagt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider. Es sei traurig und empörend mit anzusehen, dass sich in Deutschland immer mehr Menschen nicht einmal mehr einfache Lebensmittel leisten könnten, erklärt Schneider.

Und aufgrund der aktuellen schwierigen Lage sehen sich viele Tafeln dazu gezwungen, nun auf diese Situation reagieren zu müssen. 59 Prozent der Tafeln mussten ihre Lebensmittelrationen pro Haushalt kürzen. Ein Drittel der Tafeln entschloss sich, länger zu öffnen. Mehr als jede dritte Tafel verhängte gar einen Aufnahmestopp. Nicht zuletzt der Umstand, dass Behörden Geflüchtete oft an Tafeln weiterleiteten, erschwere die Arbeit der Organisation, teilten die Tafeln kürzlich mit.

Tafeln vermelden Spendenrückgang

Eine andere Folge der Preissteigerungen ist zudem, dass die Lebensmittelspenden zurückgehen. Immerhin 76 Prozent der Tafeln meldeten einen Rückgang der Spenden. Dies resultiere daraus, dass die Lebensmittelhändler wegen der gestiegenen Preise für sich selbst genauer kalkulieren müssten, erklärten die Tafeln auf Grundlage einer eigenen Befragung. Auch gäbe es mehr Sonderangebote in den Lebensmittelmärkten. Dadurch bleibe für die Tafeln nur noch wenig übrig.

Derzeit gibt es 969 Tafeln in Deutschland. Die höchste Dichte der Tafeln befindet sich in mittelgroßen Städten von 20.000 bis unter 100.000 Einwohnern. Mehr als 60.000 Menschen arbeiten für die Tafeln, davon 90 Prozent ehrenamtlich. Doch auch hinsichtlich der Mitarbeitenden gibt es zunehmend Engpässe. Ein Drittel der Tafeln klagt mittlerweile über zu wenig Ehrenamtliche. Auch habe die psychische Belastung bei immer mehr Helfenden zugenommen, wie eine interne Umfrage bei den Tafeln ergab.

Die sich seit einigen Jahren vollziehenden Entwicklungen haben auch Folgen für die Zusammensetzung der Gruppen, die zu den Tafeln gehen. Stark zugenommen hat die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine. Mehr als 90 Prozent der Tafeln melden ein erhöhtes Aufkommen aus dieser Personengruppe.

Aber auch Menschen mit Bürgergeld, ehemals "Hartz IV", Personen mit geringerem Einkommen oder kleinen Renten haben sich zuletzt häufiger zu den Tafeln begeben, um dort Lebensmittel zu bekommen. Mehr als 30 Prozent der Tafeln meldeten zuletzt Zuwächse aus diesen Gruppen.

Paritätischer Gesamtverband kritisiert ausbleibendes Handeln der Politik

Die Tafeln selbst kritisieren deutlich, unter welchen Umständen sie arbeiten müssen. "Der Staat trägt die Sorgfaltspflicht für die Bürgerinnen und Bürger", sagt Pascal Kutzner, stellvertretender Sprecher der Tafel Deutschland. Diese Einrichtungen seien kein Bestandteil des Sozialstaates. Die Tafeln seien auch gar nicht in der Lage, diese Rolle einzunehmen, sagt Kutzner.

"Etwa 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung findet in Privathaushalten statt", erklärt der Tafel-Sprecher. Daher seien auch hier Bildungskampagnen für Kinder und Erwachsene notwendig. Nicht zuletzt sollte es Menschen einfacher gemacht werden, sich während ihrer Studien- oder Arbeitszeit ehrenamtlich zu engagieren. Dass dies bisher nicht so ist, erklärt den derzeit sehr hohen Anteil an Rentnern bei den Ehrenamtlichen bei den Tafeln.

Um die Situation zu verbessern, fordern die Tafeln ein "Lebensmittelrettungsgesetz". Dies solle Sicherheit beim Spenden und in Fragen der Haftung bei Weitergabe von Lebensmitteln bringen. Weiterhin wünschen sich die Tafeln, dass die im politischen Berlin seit Längerem diskutierte "Kindergrundsicherung" auf den Weg gebracht werde.

Dass zur Verbesserung der Situation der Tafeln politisches Handeln gefragt sei, sieht auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes Ulrich Schneider so. Es sei vor allem Folge "verfehlter Sozialpolitik", dass die Tafeln in Deutschland aktuell so einen hohen Zulauf hätten, sagt Schneider. "Mit einem ausreichenden Regelsatz, einer soliden Grundrente oder einer Kindergrundsicherung wäre das alles nicht nötig."

Zu den Personen: Pascal Kutzner ist Stellvertretender Sprecher der Tafel Deutschland. Dr. Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer von "Der Paritätische Gesamtverband".

Verwendete Quelle:

  • Website der Tafel
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