Die täglichen Coronavirus-Neuinfektionen nähern sich der 30.000er-Marke. Die seit Anfang November geltenden leichten Verschärfungen haben lange nicht so viel gebracht wie erhofft. Nun steht wohl ein harter Lockdown an. Wie konnte es so weit kommen?
Kurz vor den erneuten Corona-Beratungen von Bund und Ländern mehren sich die Zeichen für neue harte Auflagen.
Aus weiteren Teilnehmerkreisen hieß es, dies sei allgemeine Haltung gewesen. Auch aus einzelnen SPD-geführten Bundesländern höre er Zustimmung zu einem raschen harten Lockdown. "Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wir brauchen einen kompletten Lockdown", sagte Bayerns Ministerpräsident
Knapp 30.000 Neuinfektionen alarmieren die Politik
Die Gesundheitsämter meldeten binnen eines Tages dem Robert Koch-Institut (RKI) 28.438 neue Corona-Infektionen, wie aus Zahlen vom Samstagmorgen hervorgeht. Der Höchststand war am Freitag mit 29.875 gemeldeten Fällen erreicht worden. Am vergangenen Samstag hatte die Zahl bei 23.318 gelegen.
Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte dem Nachrichtenportal "Watson.de", die Warnungen der Virologen seien zu lange ignoriert worden. "Es ist verheerend, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich nicht schon im Oktober gegen die Ministerpräsidenten durchsetzen konnte." Einige Maßnahmen wie digitalen Fernunterricht an Schulen hätte man schon vor Monaten planen und umsetzen können. "Es ist ein Armutszeugnis für Deutschland, dass das nicht geschehen ist."
Seit ungefähr dem 20. Oktober stieg die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen täglich an. Ende des Monats beschlossen Bund und Länder den Teil-Lockdown, der am 2. November in Kraft trat. Strikte Kontaktbeschränkungen traten in Kraft, Restaurants, Bars und viele Freizeiteinrichtungen mussten schließen. Schulen und Geschäfte blieben aber offen. An dieser Vereinbarung hat sich seither wenig geändert. Die Auflagen wurden verlängert bis zum 10. Januar, mit Lockerungen für Weihnachten und die Zeit zwischen den Jahren.
Zu welchem Zeitpunkt wären schärfere Maßnahmen richtig gewesen?
Gebracht hat das eine Mitte November einsetzende Stagnation der bekannten täglichen Neuinfektionen bei etwas über 20.000. Ende des Monats gab es zeitweise gar sinkende Tageswerte im Vorwochen-Vergleich. Das rasante exponentielle Wachstum schien gebrochen - mehr aber auch nicht. Und seit Anfang Dezember steigen die Zahlen: Sie lagen wieder über dem jeweiligen Tag der Vorwoche.
"Aus heutiger Sicht wäre ein stärkeres Eingreifen zu einem früheren Zeitpunkt richtig gewesen", räumte der Präsident des Deutschen Städtetages, Burkhard Jung, ein. "Doch die Entwicklung der vergangenen Monate zeigt: Die Politik muss immer wieder neu Akzeptanz für Verschärfungen schaffen." Die Hoffnung auf sinkende Zahlen durch den Teil-Lockdown habe sich als Irrtum erwiesen, weshalb nun Verschärfungen nötig seien. Die Aussicht auf einen Impfstoff sei aber Grund zur Zuversicht.
"Rückblickend betrachtet ist es natürlich nur schwer nachvollziehbar, dass man sich noch vor sechs Wochen für eine leichte Form des Lockdowns entschieden hat", erklärte auch Landkreistagspräsident Reinhard Sager der Deutschen Presse-Agentur. Bund und Länder hätten Ende Oktober aber versucht, eine verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen, in der Hoffnung, eine "zweite Welle" zu brechen. "Dass sich diese Hoffnung nicht realisiert hat, ist niemandem vorzuwerfen." Für einen härteren Lockdown hätte damals sicherlich die gesellschaftliche Akzeptanz gefehlt, meinte Sager. "Es ist für uns alle das erste Mal." Eine Lehre müsse sein, noch konsequenter vorzugehen.
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Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds Gerd Landsberg hält den Versuch, "einen Mittelweg zwischen Eindämmung der Infektionen und möglichst viel Beibehaltung des öffentlichen Lebens" zu wählen, ebenfalls für richtig. "Jetzt sind wir allerdings an einem Punkt, an dem ein harter Lockdown unvermeidbar ist, so schwer es auch sein mag." Die Pandemie sei nicht berechenbar. "Wir würden daher von politischen Entscheidungsträgerrinnen und Entscheidungsträgern zu viel verlangen, wenn wir erwarten würden, sie müssten schon vorher genau wissen, wie sich eine Pandemie entwickelt."
Angesichts der hohen Corona-Zahlen waren die Rufe nach einem schnellen Lockdown in den vergangenen Tagen deutlich lauter geworden. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) forderte am Samstag schnelle Einschränkungen für den Einzelhandel. "Das wird schwer für die Einzelhändlerinnen und Einzelhändler, die Männer und Frauen, die da arbeiten, für diejenigen, die sich Unternehmen aufgebaut haben, das wird schwer für Kinder, für Eltern, für Junge und Alte", sagte er in Berlin. Scholz versprach, die Regierung werde die damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen weiter im Blick haben.
Die Zahl der Toten steigt zuletzt
Der Virologe Stephan Becker von der Universität Marburg stellte fest: "Es ist schwierig, sich in unserem föderalen System auf Maßnahmen zu verständigen. Das ist ja wie ein Sack Flöhe." Einen harten Lockdown hält er ebenfalls für nötig. "Es ist nicht kompliziert, nun das Richtige zu tun. Es ist nur total schwer", sagte Becker der dpa. "Die Politik muss sehr deutlich machen, dass sinkende Zahlen nicht die Rückkehr zu einem unbeschwerten Leben bedeuten können - nicht auf Monate." Er vermute, dass die Menschen die Auflagen satt hätten und die Politik nicht alle erreiche. Der Verlauf sei indes immer der Gleiche: "Erst steigen die Infektionszahlen. Dann steigen die Belegungszahlen in den Krankenhäusern. Dann auf der Intensivstation. Und dann steigen die Totenzahlen."
Einige Länder haben bereits vor dem Bund-Länder-Treffen am Sonntag weitreichende Beschränkungen erlassen. In Sachsen zum Beispiel soll am Montag ein Lockdown beginnen. In Baden-Württemberg gilt bereits ab Samstag eine Ausgangsbeschränkung. Es gilt als relativ sicher, dass die Ministerpräsidenten einen Lockdown beschließen. Unklar ist jedoch noch, wann dieser starten soll und was er genau umfasst. Laut "Bild"-Zeitung plädiert das Kanzleramt für Laden-, Schul- und Kitaschließungen ab dem kommenden Mittwoch.
In Frankfurt gingen am Samstag trotz eines Verbots sowohl Anhänger der "Querdenken"-Initiative als auch Gegendemonstranten auf die Straße. Wie in Frankfurt scheiterten auch die Organisatoren einer verbotenen "Querdenken"-Demonstration in Dresden mit ihrem Eilantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. (best/dpa)
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