Am heutigen Dienstag stellt sich Ursula von der Leyen zur Wahl als EU-Kommissionspräsidentin. Ob die 60-Jährige den Posten in Brüssel erobern kann, ist noch völlig unklar. Bei anderen Punkten herrscht jedoch jetzt schon Klarheit - die Fragen und Antworten zur Kandidatur von der Leyens.
Vor zwei Wochen wusste noch nicht einmal
Wird die 60-Jährige tatsächlich den mächtigen Posten in Brüssel erobern, den in ihrem Geburtsjahr 1958 als erster und letzter Deutscher Walter Hallstein übernahm?
Nur eines ist klar: Am Mittwoch will sie ihr Amt als Bundesverteidigungsministerin aufgeben. Einige wichtige Fragen und Antworten im Überblick:
Wie stehen die Chancen für Ursula von der Leyen?
Die Wahl am Dienstagabend ist geheim, der Ausgang ist offen. Von der Leyen braucht bei aktuell 747 Abgeordneten in der Abstimmung mindestens 374 Stimmen. Dabei ist sie auf Zustimmung aus ihrer eigenen Parteienfamilie angewiesen, der Europäischen Volkspartei mit 182 Sitzen.
Zudem braucht sie die Zustimmung zumindest eines Teils der 153 Sozialdemokraten und der 108 Liberalen. Wie die Abgeordneten abstimmen, werden sie wohl erst nach der Bewerbungsrede der Kandidatin am Dienstagmorgen und einer anschließenden Debatte festlegen.
Die Wahl folgt dann um 18.00 Uhr. Eine Verschiebung ist nicht völlig ausgeschlossen, sollte keine Mehrheit in Sicht sein.
Wie will die Kandidatin die Mehrheit gewinnen?
Nach ihrer Vorstellungsrunde vorige Woche warb die CDU-Politikerin am Montag mit neuen Zusagen bei Sozialdemokraten und Liberalen. So ging sie unter anderem beim Klimaschutz, bei Mindestlöhnen und beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit in Europa auf Forderungen der Abgeordneten ein.
Auch das bei ihrer eigenen Berufung ausgehebelte Prinzip, nur einen Spitzenkandidaten zur Europawahl als Kommissionschef zu benennen, soll bis zur nächsten Wahl 2024 gesichert werden. Ob das reicht?
Die nach der Europawahl neu zusammengesetzten Fraktionen sind schwer berechenbar und teils uneins, vor allem die Sozialdemokraten. Es ist nicht völlig ausgemacht, ob die neuen Fraktionsspitzen ihre Gruppen auf eine Linie bringen.
Wer wählt sie auf keinen Fall?
Die 16 SPD-Abgeordneten in der Fraktion von 153 Sozialdemokraten haben bereits ein Nein angekündigt. Auch die 74 Grünen und 41 Linken haben sich auf Ablehnung festgelegt. Beobachter rechnen damit, dass es dennoch versprengte Stimmen der Grünen geben könnte.
Wo hat sie Unterstützung?
Die EVP-Spitze hat ihr volle Rückendeckung zugesagt. Allerdings dürfte es auch hier einige Abweichler geben. Wohlwollen gab es nach der Vorstellungsrunde vorige Woche auch von der rechtskonservativen Gruppe EKR mit 62 Abgeordneten.
Die rechte Lega um den italienischen Innenminister Matteo Salvini zeigte sich ebenfalls offen, genauso wie die Abgeordneten der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung aus Italien.
Wie geht es nach der Wahl weiter?
Bereits am Mittwoch will die Bundesverteidigungsministerin von ihrem Posten zurücktreten. Im Fall ihrer Wahl könnte sie dann zum 1. November den EU-Spitzenposten von Amtsinhaber Jean-Claude Juncker übernehmen.
Vorher geht es um die Auswahl der 27 weiteren EU-Kommissare, die sich im Herbst gemeinsam mit der Präsidentin nochmal im Paket dem Votum des EU-Parlaments stellen müssen. Fällt die Kandidatin durch, ist der Rat der Staats- und Regierungschefs wieder gefragt.
Binnen vier Wochen müssten Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen dem Parlament einen neuen Vorschlag unterbreiten.
Droht bei Ablehnung von der Leyens Chaos?
Nein. Juncker amtiert regulär bis 31. Oktober und könnte geschäftsführend auch noch länger auf seinem Posten bleiben. Politisch wäre die Lage bei einem Scheitern der Kandidatin allerdings äußerst schwierig.
Die EU-Institutionen - Rat und Parlament - hätten sich gegenseitig blockiert. Der nach der Europawahl beschworene Aufbruch und Zusammenhalt der proeuropäischen Kräfte wäre gescheitert. Der Rat müsste abermals einen qualifizierten Kandidaten oder eine Kandidatin suchen.
Ob die Person bessere Chancen hätte, ist wegen der schwierigen Mehrheitsverhältnisse unklar.
Könnte die große Koalition in Berlin dann ins Wanken geraten?
Wohl kaum. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich formal richtig verhalten, als sie sich bei der Nominierung von der Leyens als Einzige der Stimme enthielt, denn aus der SPD gab es keine Zustimmung.
Führende Sozialdemokraten und auch Unionspolitiker haben in den vergangenen Tagen bekräftigt, dass das Regierungsbündnis nicht an der strittigen Causa von der Leyen scheitern soll.
Eine schwere Belastung wäre es aber allemal, wenn es die konservative deutsche Kandidatin bei einem womöglich knappen Ergebnis ausgerechnet wegen fehlender SPD-Stimmen nicht schafft. © dpa
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