Nach seinem katastrophalen Auftritt im TV-Duell diskutieren die US-Demokraten, wer Joe Biden ersetzen könnte. Der Gouverneur von Kalifornien gilt als Favorit für eine Not-Kandidatur. Der Medienstar betreibt bereits einen aktiven Schattenwahlkampf - und hat drei heikle Punkte.

Dr. Wolfram Weimer
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Wolfram Weimer dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Gavin Newsom steht bei den US-Präsidentschaftswahlen 2024 noch nicht auf dem Wahlzettel. Aber er tut, als wäre es bereits so. Der smarte Gouverneur von Kalifornien schaltet landesweit Wahlkampfwerbung, er hat ein Spenden sammelndes Aktionskomitee "Campaign for Democracy" gegründet, trifft sich demonstrativ mit Benjamin Netanjahu in Israel wie Xi Jinping in China und lässt sich an der Chinesischen Mauer mit Pilotenbrille medienwirksam präsidial fotografieren. Mit dem Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, hat er ein Wahlkampfduell im Fernsehen bestritten.

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Kurzum: Newsom führt einen ziemlich lauten Schattenwahlkampf. Er ist der Kandidat, der offiziell keiner ist. Der Gouverneur gilt als der klare Favorit der Demokraten für den Fall, dass der angeschlagene Joe Biden doch noch aus dem Wahlkampfrennen aussteigen muss - altersbedingt, gesundheitsbedingt oder weil die Umfragen weiterhin so desaströs bleiben wie derzeit.

Nach dem desaströsen Auftritt Bidens beim TV-Duell gegen Donald Trump kommt in der Partei Unruhe auf, weil man Joe Biden in seinem zittrigen Zustand kaum mehr zutraut, Donald Trump noch einmal zu schlagen. Newsom wäre dagegen die Verkörperung der neuen Generation.

Newsom beherrscht das Handwerk der Aktivismus-Politik

Er ist telegen, smart, erfolgreicher Baseball-Sportler und eine moderne Inkarnation des liberalen Kalifornien. Er war Bürgermeister von San Francisco und führte dort auf eigene Faust die Homosexuellen-Ehe ein. Ihn umweht ein Hauch von Hollywood - und so steigt er (obwohl er dessen politische Agenda ablehnt) immer wieder gezielt in die Fußstapfen von Ronald Reagan, der einst als schauspielernder Gouverneur von Kalifornien auch ins Weiße Haus gelangte. Es passt in Newsoms glamouröses Bild, dass er mit der frauen- und umweltbewegten Schauspielerin und Filmproduzenten Jennifer Siebel verheiratet ist.

Auf den ersten Blick wäre Newsom die perfekte Nachbesetzung für Joe Biden. Kalifornien spielt eine überragende Rolle für den politischen Zeitgeist der USA. Und Newsom nutzt diese Position, um seine Vision für ein modernes Amerika zu formulieren. Er beherrscht das Handwerk der Aktivismus-Politik aus der Exekutive heraus. Immer wieder startet er provokante Initiativen seiner links-grünen Agenda, insbesondere in der Klimapolitik.

So startet er gerade einen Prozess gegen die Ölfirmen Exxon, Shell, Chevron, ConocoPhillips und BP wegen ihrer angeblichen Mitschuld an der Erderwärmung. Newsom tritt offensiv ein für die gleichgeschlechtliche Ehe, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch, eine allgemeine Krankenversicherung auch für illegale Migranten, die Legalisierung von Marihuana, strenge Waffengesetze sowie für die Rechte von Einwanderern. Den historischen Umgang mit der indigenen Bevölkerung bezeichnet er als Völkermord, und er ist einer der prominentesten Gegner der Todesstrafe.

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Newsom ist deutlich weiter links positioniert als Joe Biden

Doch mit der kantigen Agenda beginnt auch das Risiko Newsoms. Er ist deutlich weiter links positioniert als Joe Biden, nur knapp rechts von Linksaußenveteran Bernie Sanders. Da Wahlen aber auch in Amerika in der Mitte gewonnen werden, müsste er sich moderater positionieren, um präsidentenfähig zu werden.

Das tut er seit einigen Monaten auch. So machte er jüngst einen Rückzieher bei seinem Projekt für staatliche Injektionsstellen für Drogensüchtige. Er stellte sich in einem Tarifgesetz gegen die Gewerkschaften und schloss sich der Meinung der Republikaner an, als er sein Veto gegen eine Initiative zum Verbot indischer Kastendiskriminierung einlegte, die er als "unnötig" bezeichnete.

Doch die Wahlkampfstrategen der Demokraten sorgt noch etwas anderes. Hinter der Fassade des Strahlemanns bietet Newsom auch Angriffsflächen im Persönlichen. So hat Newsom öffentlich zugegeben, trockener Alkoholiker zu sein. Er habe sich ärztlich behandeln und kurieren lassen. Er meldet sich immer noch bei der Frau, von der er sagt, dass sie ihm durch seine Probleme geholfen habe - Mimi Silbert, Leiterin der Delancey Street Stiftung für Drogenberatung in San Francisco. Newsom sagt, dass er seit Jahren keine "Probleme" mehr mit dem Trinken habe und dass er "wieder ein wenig Wein genießt".

Newsom leidet an einer extremen Form von Dyslexie

Das zweite heikle Thema betrifft eine ausgeprägte Leseschwäche: Er leidet an einer extremen Form von Dyslexie. Newsom spricht offen darüber, dass er zeitlebens schwer darunter gelitten, eine richtige Universität nicht besucht habe und noch nie im Leben einen Roman habe lesen können. Bis heute sei er bei Texten auf Hörbücher und mündliche Zusammenfassungen angewiesen. Politische Gegner thematisieren das nun mit dem Hinweis, dass ein Mann, der nicht richtig lesen könne, unmöglich Präsident der USA werden dürfe.

Das dritte private Problem von Newsom betrifft seine variantenreiche Zuneigung zu Frauen. In Kalifornien führen die Dauergerüchte über seine Liebschaften zum Spitznamen "der neue Bill" (in Anspielung auf Bill Clinton), so hatte er schon mal eine schlagzeilenträchtige Affäre mit der Frau seines Wahlkampfmanagers. Newsom war vor seiner jetzigen Ehe bereits mit der schillernden Fernsehmoderatorin Kimberly Guilfoyle vier Jahre lang verheiratet.

Die Ironie der Geschichte will es, dass Guilfoyle heute mit Donald Trump Junior liiert ist. Es könnte also passieren, dass im Präsidentschafts-Wahlkampf des Jahres 2024 Gavin Newsom nicht nur auf Donald Trump trifft, sondern damit auch auf seine Ex als Schwiegertochter seines Rivalen.

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