Die Republik Moldau ist ein innerlich zerrissenes Land, Schauplatz eines hybriden Krieges und geopolitisches Streitobjekt. Am Sonntag entscheiden die Menschen dort über ihr Staatsoberhaupt. Und über einen möglichen Weg Richtung EU.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Busch sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Stellen Sie sich vor, jemand zahlt Ihnen 50 Euro – und erwartet im Gegenzug, dass Sie eine bestimmte Partei wählen. Nähere Anweisungen kommen über den Messengerdienst Telegram. Oder stellen Sie sich vor, das Staatsoberhaupt verbietet Ihnen per Video, Ihren geliebten Hagebutten-Tee zu trinken. Später stellt sich heraus, dass das Video gefälscht ist.

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Hierzulande mag das verrückt klingen. In der Republik Moldau aber ist es passiert. In dem kleinen Land im Südosten Europas geht an diesem Wochenende ein harter Wahlkampf zu Ende. Am Sonntag sollen die rund 2,5 Millionen Einwohner über ihr Staatsoberhaupt entscheiden – und ob sie den Weg Richtung Europäische Union einschlagen wollen.

Maia Sandu will weitermachen

In Moldau findet am Sonntag einerseits eine Präsidentschaftswahl statt: Die proeuropäische Präsidentin Maia Sandu will wiedergewählt werden – und ihre Chancen stehen nicht schlecht. In Umfragen liegt die 52-Jährige weit vor ihren zehn Gegenkandidaten. Sie kann im ersten Wahlgang mit einem guten Drittel der Stimmen rechnen.

Allerdings würde das noch nicht reichen: Sandu müsste dann in einer Stichwahl gegen den Zweitplatzierten antreten – voraussichtlich Alexandru Stoianoglo. Der frühere Generalstaatsanwalt musste wegen massiver Korruptionsvorwürfe von seinem Amt zurücktreten. Er ist Kandidat der Sozialisten und steht für eine größere Nähe zu Russland – während Sandu das Land im Westen verankern möchte.

Eine unverhoffte Perspektive durch den Ukraine-Krieg

Die Präsidentin hat schwierige Jahre hinter sich. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die kleine frühere Sowjetrepublik nur mühsam den Weg in eine erfolgreiche Unabhängigkeit gefunden, Armut und Korruption grassierten. Sandu versprach nach ihrer ersten Wahl 2020 Reformen, die sie nur teilweise umsetzen konnte.

Hinzu kam Russlands Überfall auf die Ukraine 2022. Er hat im benachbarten Moldau nicht nur Ängste geweckt, das nächste Ziel Moskaus zu sein. Der Krieg hat auch die Inflation in die Höhe getrieben, eine Energiekrise ausgelöst und zwischenzeitig 1,5 Millionen Flüchtlinge ins Land getrieben.

"Moldau ist ein unverzichtbarer Partner für die geopolitische Stabilität in der Region."

Andrea Wechsler, CDU-Europaabgeordnete

Allerdings hat die kleine Republik diese Krise einigermaßen überstanden. Und nicht nur das. Der Krieg hat dem Land auch neue Perspektiven eröffnet. Die Europäische Union will die Ukraine eines Tages in ihre Gemeinschaft holen – und das Nachbarland Moldau dann gleich mit. "Moldau ist ein unverzichtbarer Partner für die geopolitische Stabilität in der Region", sagt Andrea Wechsler, CDU-Abgeordnete im Europäischen Parlament.

"Ungeplant und unverhofft" sei die EU-Beitrittsperspektive für Moldau auf die Tagesordnung gekommen, sagt Brigitta Triebel, Leiterin des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. "Nach der gescheiterten Transformation könnte das für Moldau der letzte Weg sein, sich doch noch zu einem demokratischen Staat zu entwickeln."

Tauziehen um ein kleines Land

So ist die Werbung für den EU-Beitritt für Sandu zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Und nicht nur das: Zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl stimmen die Moldauer auch darüber ab, ob der EU-Beitritt als Ziel in die Verfassung aufgenommen werden soll. Damit steht die Republik vor einer wichtigen Richtungsentscheidung. Denn sie ist noch immer gespalten: Ein Teil der Gesellschaft strebt nach Westen, der andere sieht sich Russland verbunden.

Diese Zerrissenheit hat die kleine Republik zum Ziel russischer Desinformation, zum Schauplatz eines hybriden Krieges gemacht. Rund 130.000 Menschen sollen mit Geld aus Russland bestochen worden sein haben, um bei Wahlen und Referenden im Sinne Russlands abzustimmen. Also gegen Sandu und gegen die EU-Perspektive.

Zudem kursieren Falschnachrichten und gefälschte Videos – wie anfangs beschrieben. Regierung und Zivilgesellschaft wehren sich mit allen Kräften. Fälschungen werden schnell aufgeklärt, es gibt ein eigenes Zentrum zur Bekämpfung von Falschinformationen. Doch die Gesellschaft ist teils ermüdet und aufgerieben vom Tauziehen ausländischer Kräfte.

Noch ein langer Weg zum EU-Beitritt

Die moldauische Regierung verfolgt das ehrgeizige Ziel, schon 2030 Mitglied der Europäischen Union zu werden. Ob das aber gelingt, ist höchst fraglich.

In Brüssel bremst man bei diesem Thema eher die Erwartungen: Der moldauische Staat hat weniger Beamte als das Land Berlin. Die Politik müsste zahlreiche Reformen umsetzen, nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, sondern auch im Justizbereich. "Das dauert, und da gibt es viele Kapitel, die wir abarbeiten müssen", sagt der Europa-Abgeordnete Sergey Lagodinsky (Grüne). Man mache sich im Falle Moldaus keine Illusionen: Moldau sei eine "ambivalente Geschichte", so Lagodinsky.

Karte Moldaus mit abtrünnigen und autonomen Regionen
© dpa-infografik GmbH

Moldau ist ein sehr kleines und doch sehr kompliziertes Land. Die abtrünnige Region Transnistrien ist ein De-Facto-Staat, der sich eng an Russland bindet. Eigentlich handele es sich um das Geschäftsmodell von Oligarchen, die Menschen- und Waffenhandel betreiben, sagt Brigitta Triebel von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Auf jeden Fall bleibt Transnistrien ein ungelöstes Problem und ein Stolperstein auf Moldaus Weg in die EU.

Im Süden der Republik gibt es zudem eine kleine autonome Region: Gagausien, bewohnt von einem christlichen Volk, das eine mit dem Türkischen verwandte Sprache spricht. Auch dort orientiert man sich eher an Russland als am Westen.

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Auf der anderen Seite hat das Land bereits einen engen Bezug zur Europäischen Union, vor allem zum Nachbarland Rumänien: Die Mehrheit der Moldauer spricht Rumänisch als Muttersprache. Zudem hat ein Assoziierungsabkommen mit der EU bereits den wirtschaftlichen Austausch angekurbelt.

Umfragen lassen vermuten, dass sich eine Mehrheit am Sonntag hinter den EU-Kurs stellen wird. Offen ist noch, wie deutlich das Votum ausfällt. Ohnehin wird es nur eine weitere von vielen Etappen sein: Im nächsten Jahr wird in Moldau auch ein neues Parlament gewählt, Maia Sandu muss dann dort um eine Mehrheit für ihre Partei kämpfen. Der Wahlkampf wird also weitergehen – so hart wie bisher.

Verwendete Quellen

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