• Die Menschen auf den Philippinen wählen am Montag einen neuen Präsidenten.
  • Aussichtsreichster Kandidat ist ausgerechnet der gleichnamige Sohn des Ex-Diktators Ferdinand Marcos, der ganz auf Linie des scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte liegt und dessen brutalen Krieg gegen den Drogenhandel weiterführen will.
  • Warum punktet einer wie er? Die Antwort hat auch mit Facebook zu tun.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin bzw. der zu Wort kommenden Expertin einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Ein Diktatorensohn als neuer Präsident? Auf den Philippinen könnte das Wirklichkeit werden, wenn die Menschen am Montag einen Nachfolger für Rodrigo Duterte wählen, der nach sechs Jahren im Amt qua Verfassung nicht mehr antreten darf. Dabei hat sich Ferdinand Marcos Junior nicht etwa von seinem Vater Ferdinand Marcos Senior distanziert. Er hat nie bedauert, dass dieser in den 70er und 80er Jahren per Kriegsrecht das Parlament entmachtet, rund 30.000 Oppositionelle in Militärlagern schikaniert und sich selbst schamlos bereichert hat.

"Auch für mich ist es schwer zu glauben, wie populär Ferdinand Marcos ist", sagt Rebecca Zistel, die das Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung auf den Philippinen leitet. Umfragen zufolge wollen mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler für Marcos stimmen. Die stärkste Konkurrentin, Vize-Präsidentin Leni Robredo, kommt nur auf rund 20 Prozent - ein klares Stimmungsbild, auch wenn die Umfragen laut Zistel mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, da zuweilen tendenziös gefragt werde.

Mit Trollen und Fake-Accounts: Diktatoren-Familie möbelt Image auf

Dass die Schrecken der Vergangenheit im Wahlkampf 2022 kaum eine Rolle spielen, hat nach Einschätzung der Expertin viel mit Facebook zu tun. "Kein anderes Volk der Welt verbringt so viel Zeit in sozialen Medien wie die Filipinos, vor allem auf Facebook", erklärt Zistel. Das dürfte auch daran liegen, dass das Unternehmen einen aus seiner Sicht denkbar cleveren Deal mit den Mobilfunkanbietern im Land geschlossen hat: Das Surfen auf Facebook geht nicht vom Datenvolumen der - oft armen - Nutzer ab. Für viele ist das Netzwerk deshalb die primäre, wenn nicht sogar einzige Quelle für Nachrichten.

Der Marcos-Clan habe sich das zunutze gemacht, sagt Zistel: "Er verbreitet seit Jahren gezielt Desinformationen, nach dem Motto, die Diktatur von Marcos Sr. sei eine 'goldene Ära' gewesen. Und er zeichnet das Bild einer glücklichen Großfamilie, was bei vielen Menschen unglaublich stark zieht, weil Familie und Gemeinschaft auf den Philippinen vielen über alles geht."

Die Geschichtsklitterung mit Trollen und Fake-Accounts verfängt wohl auch deshalb so stark, weil die Philippinen ein junges Land sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 25 Jahren. Viele Wähler haben die Diktatur nicht selbst erlebt, eine kritische Auseinandersetzung in der Schule gibt es kaum. So darf Marcos auf die Stimmen von sieben von zehn Wählern zwischen 18 und 24 Jahren hoffen, wie "Rappler", eines der wenigen unabhängigen Medien, unter Berufung auf eine Umfrage berichtet.

Beinahe jeder vierte Filipino gilt als arm

Fast ein Viertel der rund 110 Millionen Filipinos lebt laut Weltbank von weniger als 1,65 Euro pro Tag. Die Coronakrise hat das Land massiv getroffen. Das Bruttoinlandsprodukt ist eingebrochen, die Arbeitslosenquote auf zwischenzeitlich über 17 Prozent geschnellt. Und nicht zuletzt hat die Pandemie offenbart, dass das Gesundheitssystem mit fünf Krankenhausbetten pro 100.000 Einwohner (Deutschland: 791) so schlecht aufgestellt ist wie kein anderes Land der Region.

Probleme gibt es also genug, doch mit Inhalten zu punkten, versucht Marcos gar nicht erst. Der 64-Jährige verlässt sich auf seine Popularität - und auf die des Amtsinhabers Rodrigo Duterte.

Duterte hat international vor allem mit vulgären Aussagen (er nannte etwa Papst Franziskus einen "Hurensohn") und seinem sogenannten Krieg gegen die Drogen von sich reden gemacht. Mit dem angeblichen Ziel, für Sicherheit sorgen zu wollen, haben seine Tötungskommandos in den vergangenen sechs Jahren mindestens 5.000 Leben ausgelöscht. Das sind die offiziellen Zahlen. Nichtregierungsorganisationen sprechen von rund 20.000 Getöteten.

Ungeachtet dessen ist Duterte in der Bevölkerung beliebt und Marcos' quasi einziges Wahlversprechen lautet, dessen Politik fortzuführen. Im Wahlkampf trat Marcos häufig gemeinsam mit Dutertes Tochter Sara auf, die sich um das Amt der Vizepräsidentin bewirbt und in Umfragen vorn liegt.

Wahl auf den Philippinen: Nur eine Kandidatin mit klarer Agenda

Zu den fünf aussichtsreichsten Bewerbern um das Präsidentenamt zählen neben Marcos Isko Moreno, der Bürgermeister von Manila, und Panfilo Lacson, ein Senator und Ex-Polizist, dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Außerdem tritt der bekannte ehemalige Profiboxer Manny Pacquiao an, der aus dem Duterte-Lager stammt, sich zwischenzeitlich jedoch mit diesem überworfen hat. Und eben Leni Robredo, die liberale Vize-Präsidentin. "Leni Robredo ist nicht nur die einzige Frau unter den Präsidentschafts-Kandidaten, sie ist auch die einzige mit einer klaren Agenda", sagt Zistel. Robredo macht sich für eine bessere Gesundheitsversorgung stark, den Kampf gegen den Klimawandel und eine Infrastruktur, die den häufigen Naturkatastrophen standhält.

Rebecca Zistel will nicht ausschließen, dass Robredo am Wahltag für eine Überraschung sorgt. Wahrscheinlicher erscheint jedoch, dass die Macht 36 Jahre nach Ende der Diktatur wieder in die Hände der Familie Marcos fällt. Alles in allem seien Prognosen aber schwierig, sagt Zistel, nicht zuletzt, weil Stimmenkauf zwar offiziell verboten, aber trotzdem gängige Praxis sei. "Die Menschen werden mit Geld oder einem Sack Reis bestochen."

Auch habe es zuletzt immer wieder Berichte über doppelt registrierte Wähler und die mehrfache Ausgabe von Stimmzetteln an im Ausland lebende Filipinos gegeben. Und: Theoretisch könnte Ferdinand Marcos Junior sogar noch von der Wahl ausgeschlossen werden. Weil er Erbschaftssteuern hinterzogen haben soll, steht Marcos vor Gericht. Die Wahlkommission prüft damit begründete Einsprüche gegen seine Kandidatur.

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Verwendete Quellen

  • Gespräch mit Rebecca Zistel, Leiterin des Philippinen-Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung
  • rappler.com: "Marcos Jr. is top pick of Generation Z, says Puls Asia survey" vom 14. März 2022
  • Amnesty International vom 25. März 2022: "Wenig aussprechen, viel sagen"
  • rappler.com: "Lawmaker and lawbreaker? Past haunts Lacson in GMA Interview" vom 22. Januar 2022.
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