Rund neun Wochen vor der Bundestagswahl beginnt langsam die heiße Phase des Wahlkampfs. Die SPD setzt die Unionsparteien mit ihrem Zukunftsplan unter Druck. Ein Experte erklärt, warum Martin Schulz noch alle Chancen hat, neuer Bundeskanzler zu werden.

Ein Interview

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wurde erst gehypt, dann folgte der Absturz. Die SPD dümpelt bei Umfragen derzeit um die 25-Prozent-Marke herum.

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Nun soll mit einem Zukunftsplan knapp neuen Wochen vor der Bundestagswahl und dem Duell mit Angela Merkel die Wende eingeleitet werden.

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Der frühere SPD-Wahlkampfberater Michael Donnermeyer benennt Fehler der Kampagne, erklärt, warum der Fokus auf den Begriff Gerechtigkeit richtig ist und wie es um die Wahlchancen der Sozialdemokraten steht.

Herr Donnermeyer, hat die SPD bisher einen guten Wahlkampf gefahren?

Michael Donnermeyer: Der Wahlkampf hat ja noch gar nicht richtig begonnen, es ist noch nichts entschieden. Viele Wähler haben sich noch gar nicht mit der Wahl befasst und sind schon gar nicht entschieden.

Nach der Sommerpause geht es dann so richtig los. Bisher ist alles Vorbereitung und da hat die SPD gut vorgelegt, sich auf ihren Markenkern Gerechtigkeit konzentriert und dann weitere Themen aufgebaut.

Sie können keine groben Schnitzer erkennen?

Nichts geht ohne Fehler, aber das gilt für alle gleich. Wahlentscheidende Fehler habe ich bisher auf keiner Seite gesehen.

Warum wurde der Schwung des anfänglichen Schulz-Hypes nicht mitgenommen?

Martin Schulz hat gezeigt, dass er die Leute begeistern kann. 15.000 Neueintritte in die SPD in den vergangenen Monaten zeigen das. Dann aber kamen die drei verlorenen Landtagswahlen, bei denen Schulz zwar nicht zur Wahl stand, die ihn aber natürlich auch betreffen.

Das waren sicher keine stimmungsfördernden Ereignisse.

Sind da trotzdem Fehler gemacht worden?

Martin Schulz hätte sich im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, dem Kernbundesland der SPD, mehr einbringen müssen. Das hat er selbst erkannt und als Fehler analysiert. Dadurch, dass er sich zurückgenommen hat, ist das Momentum des Jahresanfangs etwas verloren gegangen.

War der Fokus auf das Thema Gerechtigkeit richtig?

Aus meiner Sicht ja. Das ist der Markenkern der SPD, das spricht viele Wähler an. Aber die Partei hat ja mittlerweile auch ein solide durchgerechnetes Steuer- und Rentenkonzept vorgelegt, das die Unionsparteien erst einmal kontern müssen.

Am vergangenen Wochenende hat Martin Schulz den Zukunftsplan vorgestellt, quasi eine Zuspitzung des SPD-Wahlprogramms. Ist das angesichts der schlechten Umfragewerte eine Panikentscheidung gewesen?

Nein, das war sicherlich Teil der Planungen. Man wollte vor der Sommerpause noch mal einen inhaltlichen Schwerpunkt setzen. Das hat ja auch funktioniert, seine Ideen werden diskutiert, durchaus auch kontrovers.

Ist das auch Ihr Eindruck, dass die SPD mittlerweile etwas vom Thema Gerechtigkeit abrückt, weil das nicht so gut gezogen hat?

Nein, auch in den zehn Punkten des Zukunftsplans geht es um Gerechtigkeit – was Steuern und Bildung betrifft oder die Verteilung von Flüchtlingen in Europa. Der Plan ist eine Zusammenfassung des Wahlprogramms im Sinne des Markenkerns der Partei, keine inhaltliche Korrektur.

Die SPD hat sich thematisch offensiv von der CDU/CSU abgesetzt und macht eigene Schwerpunkte. Mutig finde ich, dass Martin Schulz auch dem Thema Europa so viel Raum gibt.

Was muss passieren, damit es doch noch mit einem Wahlsieg für die SPD klappt?

Viel Zeit ist in der Tat nicht mehr, aber wie gesagt: Große Teile der Wähler entscheiden erst kurz vor der Wahl. Wir haben gesehen, wie schnell Umfragemehrheiten in Wahlniederlagen enden können, und das betrifft alle Parteien.

Die SPD muss ihre Themen nach vorne bringen und eine Machtperspektive aufzeigen. Dann hat sie trotz des großen Rückstandes auf CDU/CSU immer noch gute Chancen, den nächsten Kanzler zu stellen.

Zur Person: Michael Donnermeyer war Wahlkampfberater von Gerhard Schröder und Peer Steinbrück. Sechs Jahre fungierte er als Sprecher des früheren Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit in Berlin. Heute arbeitet der 57-Jährige bei der Unternehmensberatung Concilius.
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