- Seit 2013 sitzt Karamba Diaby als erster in Afrika geborener schwarzer Mensch im Bundestag.
- Bei der kommenden Bundestagwahl könnte der SPD-Politiker in Halle sogar erstmals das Direktmandat gewinnen.
- Ein Blick auf seinen Weg aus ärmlichen Verhältnissen im Senegal über das Studium in der DDR in die erste Reihe der Bundespolitik.
Es gibt wenige Menschen, die glaubhaft demütig sein können. Wer eigene Erfolge kleinredet, will häufig nur vom Gegenüber hören, was für ein toller Hecht er doch ist.
Karamba Diaby hat viel erreicht im Leben, aber für einen tollen Hecht hält er sich eher nicht. Wenn man den SPD-Politiker fragt, wie er es von seinem Geburtsort im Südwesten des Senegal aus ärmlichen Verhältnissen erst zum Dokotortitel und dann in den Deutschen Bundestag geschafft hat, dann antwortet er nur: "Vieles war Glück und Zufall."
Aber von Anfang an: Diaby wird 1961 im senegalesischen Marsassoum geboren und hat anfangs alles andere als Glück im Leben. Die Mutter stirbt an den Folgen der Geburt, nach dem Tod des Vaters ist Diaby im Alter von sieben Jahren Waisenkind. Seine 17 Jahre ältere Schwester nimmt ihn bei sich auf. Doch allzu lange bleibt der junge Karamba nicht bei ihr.
Er hat Freude an der Schule und schafft es über die Sekundarschule ans Gymnasium - dafür allerdings muss er seine Heimat verlassen und lebt jahrelang bei Bekannten und entfernten Verwandten. Familiärer Zusammenhalt ermöglicht ihm später auch das Studium in der Hauptstadt Dakar: Um irgendwie gemeinsam über die Runden zu kommen, teilt ein Bruder sein kleines Stipendium mit Diaby.
Der engagiert sich derweil in der Studentenbewegung und bewirbt sich 1985 selbst für ein Förderprogramm. Der Internationale Studentenbund mit Sitz in Prag vergibt Stipendien an benachteiligte Studierende - vorwiegend aus den sozialistischen Ländern, aber auch für den Senegal sind zwei Plätze ausgeschrieben. Diaby kann tatsächlich einen davon ergattern und ist glückselig. "Die Chance war so großartig, ich hätte mit Freude jedes naturwissenschaftliche Fach an jedem Ort studiert", sagt er heute über den Moment, der sein Leben prägen sollte.
Per Stipendium in die DDR
Denn er darf zwar eine Handvoll Fächer angeben, die er im Rahmen des Stipendiums gerne studieren würde, nicht aber das Land, in das er geschickt werden will. Von der Tschechoslowakei über Bulgarien bis zur Sowjetunion sind viele damals sozialistisch regierte Länder möglich. Schließlich kommt der Bescheid: Es geht nach Halle in die DDR.
Ein Jahr Sprachkurs und fünf Jahre Studium sind kostenfrei für den Stipendiaten - und gerade bei der Sprache hat er Nachholbedarf. "Ich kam nach Halle und konnte genau zwei Worte: BMW und Bundesliga", lacht Diaby. "Die halfen mir allerdings wenig, weil sie in der DDR beide nicht so gerne gehört wurden."
Aber Diaby lernt die neue Sprache und meistert auch sein Chemie-Studium; 1996 reicht er seine Dissertation ein. Wie sehr er da schon in der Region verwurzelt ist, zeigt auch sein Promotionsthema: "Untersuchungen zum Schwermetall- und Nährstoffhaushalt in Halleschen Kleingartenanlagen – ein Beitrag zur geoökologischen Charakteristik der Stadtregion Halle."
Die Integrationsgeschichte des Karamba Diaby nimmt in der Folge immer mehr Fahrt auf. Er engagiert sich sozial, kulturell - und politisch. Nachdem er 2001 die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt, ist er mehrere Jahre lang ehrenamtlich Vorsitzender der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Sachsen-Anhalt. Schließlich entscheidet er sich aber doch für die SPD, 2008 tritt er der Partei bei: "Ich habe den Schritt seitdem keine Minute bereut."
Seit 2013 sitzt Diaby nun als erster in Afrika geborener schwarzer Mensch im Bundestag, und wird dies wohl auch in der kommenden Legislaturperiode tun. Die Prognosen deuten sogar darauf hin, dass er in seinem Wahlkreis in Halle erstmals das Direktmandat gewinnen könnte. Die Popularität des 59-Jährigen gründet sich in seiner Bürgernähe. Selbst leidenschaftlicher Kleingärtner, zieht er im Wahlkampf von Laube zu Laube, plaudert mit den Menschen, hört sich Sorgen und Nöte an.
Neben der Integration ist dabei die Bildung sein zentrales Thema. Und die Menschen nehmen einem mit seiner Lebensgeschichte Sätze wie den folgenden offensichtlich eher ab als einem beliebigen anderen Politiker mit weniger persönlicher Erfahrung: "Jedes Kind muss die Möglichkeit haben, zu lernen – unabhängig von der Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern."
Schüsse auf Diabys Wahlkreisbüro
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Diaby Anfang 2020 jedoch nicht seiner politischen Kompetenz wegen bekannt. Unbekannte gaben mehrere Schüsse auf sein Wahlkreisbüro ab, fast zeitgleich erhielt Diaby eine Morddrohung. Er habe eine Weile gebraucht, sich davon zu erholen, sagt der Politiker mittlerweile. Aufgeben aber sei nie eine Option gewesen. "Die Menschen in unserem Land wollen eine offene und wertschätzende Auseinandersetzung. Diejenigen, die Hass und Hetze säen, sind vielleicht laut und wirken dadurch präsent – aber sie sind nicht die Mehrheit."
Und dennoch haben die jahrelangen rassistischen Anfeindungen, von denen er auch heute noch mehrere pro Woche bekommt, Spuren hinterlassen. Seinen Grand Boubou, die traditionelle Kleidung westafrikanischer Männer, trägt er nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern nur noch zu Hause. "Dort werde ich von niemandem beschimpft dafür", sagt er.
Auch wenn Halle für ihn seine Heimat ist, will er seine Herkunft aber nicht vergessen. Seine Muttersprache Mandingo spricht er zwar nicht mehr so flüssig wie früher, dafür hat er über die Jahre an seinen afrikanischen Kochkünsten gearbeitet und mittlerweile sogar ein Kochbuch herausgebracht. Noch wichtiger als Kochen ist ihm aber sein Kleingarten, in dem er so viel Zeit wie möglich verbringt. Karamba Diaby kann leidenschaftlich über die Kürbisse, Tomaten und Okra philosophieren, die er dort mit seiner Frau anpflanzt. Die Gartenarbeit sei auch deshalb so schön, sagt er, weil man das Produkt seiner Arbeit wenige Monate später ernten könne. "Das geht in der Politik leider nicht immer so schnell."
Diaby kämpft für höheren Mindestlohn
Es wird sich zeigen, wie viel Geduld Diaby aufbringen muss, bis ein anderes Thema umgesetzt werden kann, das ihm noch ein bisschen mehr am Herzen liegt als seine Gartenlaube. "Ich lebe in einem Teil der Bundesrepublik, wo die Löhne noch immer niedriger als in vielen anderen Bundesländern sind", sagt er. "Menschen kommen oft auf mich zu und erzählen mir von ihren Sorgen, dass die Rente nicht reichen könnte." Er will in den kommenden vier Jahren daher für einen Mindestlohn von zwölf Euro streiten.
Könnte er das als Integrationsbeauftragter seiner Partei, als Bildungsfachmann, als promovierter Geoökologe an vorderster Front tun? Als Bundesminister, jetzt, wo eine SPD-geführte Regierung greifbar nah scheint? "Ich bin sehr gerne Abgeordneter, diese Aufgabe erfüllt mich", sagt Diaby auf die Frage nach seinen Karriereplänen. Ihm gehe es um Inhalte und nicht so sehr um Macht und Posten.
Bei Karamba Diaby klingt sogar diese tausendfach gehörte Politikerfloskel glaubhaft.
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