Auf der Heimreise von einem Urlaub war Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Anfang des Jahres von wütenden Demonstranten bedrängt worden. Das sorgte nicht nur für Diskussionen über die politische Kultur in Deutschland – sondern für Habeck auch dazu, über ein Ende seiner politischen Karriere nachzudenken.

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Aktuell kämpft Robert Habeck als Kanzlerkandidat für die Grünen um das bestmögliche Abschneiden bei der Bundestagswahl. Doch vor fast einem Jahr hatte er sogar für kurze Zeit einen Rückzug aus der Politik erwogen, wie er nun in einem Interview mit der "Zeit" sagte.

Er sprach von einer "Zäsur". "Das war Anfang des Jahres, als ich mit meiner Familie auf der Hallig Hooge war und bei der Rückkehr von wütenden Demonstranten gehindert wurde, die Fähre zu verlassen." Hooge sei für ihn immer Heimat und Rückzugsort gewesen. "Da brach das Politische voll in meinen privaten, familiären Schutzraum ein." Im Kreise der Familie sei anschließend über einen Abschied aus der Politik diskutiert worden. "Die Antwort von uns allen war: nein. Jetzt erst recht."

Am 4. Januar 2024 hatte es eine Protestaktion von Landwirten wegen geplanter Subventionsstreichungen am Fähranleger im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel gegeben. Habeck war auf der Rückkehr von einer Privatreise zur Hallig Hooge. Aus Sicherheitsgründen legte das Schiff damals wieder ab und fuhr zurück nach Hooge. Habeck konnte erst mehrere Stunden später nachts in Schlüttsiel an Land gehen.

Der "Underdog" unter den Kanzlerkandidaten?

Obwohl die Grünen in Umfragen zuletzt zwischen 10 und 14 Prozent und damit weit hinter CDU/CSU, AfD und SPD liegen, gibt Habeck den Wettbewerb um die Kanzlerschaft aber noch nicht verloren. "Das Rennen ist noch nicht gemacht. Vor uns liegt ein sehr kurzer, intensiver, letztlich offener Wahlkampf." Er gab aber auch zu: "Klar bin ich der Underdog".

Die politische Konkurrenz hatte in der Vergangenheit immer wieder Kritik daran geäußert, dass die Grünen angesichts ihrer derzeitigen Umfragewerte einen Kanzlerkandidaten aufgestellt haben. BSW-Generalsekretär Christian Leye sagte zuletzt etwa, Habecks Kandidatur stehe "für eine Selbstüberschätzung, die nicht mal die Tierschutzpartei mit der Aufstellung eines Kanzlerkandidaten toppen könnte".

Habeck erklärte in dem "Zeit"-Interview, er habe sich selbst intensiv mit der Frage beschäftigt, ob er das Kanzleramt wirklich wolle, "denn das Amt hat einen hohen Preis". Es würde schwere Entscheidungen mit sich bringen und fordern, dass "man sich ganz und gar zur Verfügung stellt. Man ist niemals nicht Kanzler." Habeck habe sich deshalb "geprüft, am Ende stand für mich eine sehr bewusste Entscheidung: Ja, ich will das."

Habeck: Das war "der erste, entscheidende Fehler"

Habeck wehrte sich in dem Interview auch gegen den Vorwurf, die Ampel sei daran gescheitert, die Probleme der Menschen im Land zu lösen und verwies auf Erfolge der Koalition. Man habe etwa "Putins Angriff auf das Energiesystem abgewehrt", sich sicherheitspolitisch neu aufgestellt und "das Biest der Inflation gebändigt".

Allerdings habe die Ampel aus seiner Sicht schon kurz nach ihrem Start einen entscheidenden Fehler gemacht. "Wenn man sich heute fragt: Wo ist die Schraube schief eingesetzt worden, dann war das gleich am Anfang. Wir hätten wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sofort eine Notlage erklären müssen."

Dadurch wäre es möglich gewesen, die Schuldenbremse einzuhalten und "zusätzliche Kredite für die Unterstützung der Ukraine aufzunehmen". Aus Sicht Habecks war das "der erste, entscheidende Fehler. Wir haben nicht auf Ballhöhe der weltpolitischen Probleme agiert."

Deutschland muss sich "auf tiefgreifende Veränderungen gefasst machen"

Habeck betont zudem, dass Deutschland sich auf tiefgreifende Veränderungen gefasst machen müsse. "Das wirtschaftliche Erfolgsmodell der Merkel-Ära beruhte auf günstigem Gas aus Russland, auf China als Absatzmarkt und darauf, dass wir Gelder für die Verteidigung sparen konnten, weil die Amerikaner auf uns aufgepasst haben." All das sei heute nicht mehr gegeben.

"Wir müssen in diesen Jahren die Energieversorgung neu aufstellen, neue Handelsbeziehungen knüpfen und mehr in Europa und in Deutschland investieren." Zudem sei "unsere Infrastruktur ist völlig runtergerockt". Die "Finanzpolitik der großen Koalition, fortgeschrieben von der FDP" habe Deutschland geschadet.

Deutschland stehe nun vor der Aufgabe, diese Rückstände Jahren wieder aufholen zu müssen. "Und das geht nicht mit den Spielregeln der Nullerjahre", so der Wirtschaftsminister mit Anspielung auf die Schuldenbremse. (thp/mit Material der dpa)

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