Nach dem Scheitern von Schwarz-Grün bahnt sich erneut eine große Koalition an. Doch die SPD steht vor einer Zerreißprobe: Ein schwarz-rotes Bündnis könnte am Widerstand der Basis scheitern. Der Ausgang der Mitgliederbefragung gilt als völlig offen. Kommt es erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik zu Neuwahlen?

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Die Grünen haben eine mögliche Regierung mit der Union abgesagt. Nun erwarten viele Beobachter, dass eine große Koalition zustande kommt. Viele Spitzenpolitiker wie der Hamburger Bürgermeister und SPD-Verhandlungsmitglied Olaf Scholz gehören zu den Befürwortern von Schwarz-Rot. Der Potsdamer Parteienforscher Prof. Dr. Jürgen Dittberner glaubt, dass es trotz aller Bedenken zu einem Bündnis zwischen Union und SPD kommen wird: "Ich habe die Auffassung, dass sich beide große Parteien als staatsmännisch und patriotisch empfinden und das Gefühl haben: 'Wir müssen jetzt ran.'"

SPD-Basis hat Angst vor einer großen Koalition

Doch vor allem die Basis der SPD bleibt gegenüber Schwarz-Rot skeptisch. Sie schreckt vor einem Regierungsbündnis mit dem übermächtigen Gegenüber. "Viele haben noch das Schicksal der SPD bei der letzten großen Koalition unter Merkel vor Augen", sagt Dittberner. Viele Parteianhänger fürchten auch, dass die linke Opposition im Bundestag die SPD gerade in der Sozialpolitik abhängen könnte. Ihre Ablehnung teilen sie mit den SPD-Wählern: Nur 42 Prozent wünschen sich eine große Koalition, deutlich weniger als bei den Unionswählern (54 Prozent). Das ergab der INSA-Meinungstrend im Auftrag der "Bild"-Zeitung.

Zu den prominentesten Gegnern gehört die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft. Nach dem zweitschlechtesten Wahlergebnis der Partei will die SPD-Vizechefin die Zustimmung ihrer Mitglieder einholen. Am Sonntag entscheidet ein kleiner SPD-Parteitag über Koalitionsverhandlungen. Auch über den Koalitionsvertrag soll es ein Votum geben: Alle 470.000 SPD-Mitglieder können dann darüber abstimmen.

"Für die Parteiführung ist es entscheidend, die Basis auf ihre Seite zu bekommen", sagt Dittberner. Darum werde jetzt hart verhandelt, um etwas präsentieren zu können. Um ihre Mitglieder und Wähler nicht zu verprellen, muss die SPD zumindest einige ihrer Wahlversprechen durchsetzen. Die größten Streitthemen sieht der Politikwissenschaftler beim flächendeckenden Mindestlohn und in den Feinheiten der Europa-Politik. Auch in der Gesundheitspolitik gibt es große Unterschiede. Die SPD und vor allem ihr Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der bereits als Gesundheitsminister gehandelt wird, haben sich gegen das derzeitige Versicherungssystem ausgesprochen, das sie als "Zwei-Klassen-Medizin" bezeichnen.

Was passiert, wenn es zu keiner schwarz-roten Einigung kommt?

Sollten die Gespräche zwischen CDU, CSU und SPD scheitern, gibt es drei Möglichkeiten: Die Sozialdemokraten könnten mit den Grünen und den Linken eine eigene Koalition bilden. Politisch würde man damit neue Wege gehen, aus ökonomischer Sicht gibt es dagegen jedoch einige Vorbehalte.

Als Wahlsieger könnte die Union auch eine Minderheitenregierung anstreben, da ihr nur fünf Mandate zu einer absoluten Mehrheit fehlen. Damit würde sie jedoch eine schwache Regierung in Kauf nehmen. Sollte es zu keiner Regierungsbildung kommen, blieben schließlich nur noch Neuwahlen.

Bis eine neue Regierung ihr Amt antritt, führt die alte die Geschäfte weiter. Wer nun aber nach all den Sondierungen schon ungeduldig wird, sollte hoffen, dass sich Deutschland nicht ein Beispiel an seinem Nachbarland nimmt. In Belgien hat die Regierungsbildung vor zwei Jahren genau 541 Tage gedauert - Rekord in einem demokratischen Land.

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