Spätestens dann, wenn Wahlplakate wie Pilze aus dem Boden schießen, weiß man, es stehen wieder Wahlen an. Aber sind die analogen Werbetafeln der Parteien überhaupt noch zeitgemäß?

Bundestagswahl

In diesen Tagen lächeln einen an der Straßenbahnhaltestelle Gesichter von Politikerinnen und Politikern an. Auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen stolpert man über einen Wahlwerbeslogan nach dem anderen. Jeder Laternenmast oder Baumstamm ist derzeit eingekleidet in Pressspan, der mit Papierbahnen beklebt ist, auf denen Parteien ihre Wahlversprechen und Spitzenkandidaten anpreisen.

Wahlplakate gehören vor einer anstehenden Wahl zum Straßenbild, wie geschmückte Tannenbäume zu Weihnachten. Aber, lässt sich heutzutage überhaupt noch jemand davon beeinflussen oder sind die beklebten Holztafeln eigentlich Zeit- und Geldverschwendung?

Wahlplakate in einer digitalen Welt nicht obsolet

Trotz Social Media und medialer Reizüberflutung ergeben Wahlplakate durchaus einen Sinn, sagt der Psychologe Dominic Hennig im Gespräch mit der "Tagesschau". "Wahlplakate haben eine große Bedeutung in der Wählermobilisierung, aber auch in der Bekanntmachung und Wiedererkennung von Personen", so seine Einschätzung. Diese teilt auch der Politik- und Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim, Frank Brettschneider, der sich bereits seit Jahrzehnten mit der Thematik befasst. Er hebt ebenfalls im Interview mit der "Tagesschau" die großen Vorteile gegenüber der digitalen Wahlwerbung hervor. "Über sie können Wähler über alle Bevölkerungsgruppen hinweg erreicht werden."

Der Psychologe Hennig erklärt zudem, warum Wahlwerbung in Plakatform heute nicht seine Wirkung verloren hat. "Es gibt den sogenannten Exposure Effekt, der besagt: Je häufiger wir eine Person oder auch ein Objekt sehen, umso sympathischer wird das für uns in unserer Wahrnehmung." Dabei haben sympathisch wirkende Menschen einen Vorteil und ein einladendes Lächeln spricht immer noch mehr an, als eine grimmige Miene.

Wahlwerbung in Wellen

Aber nicht immer werben Parteien mit Gesichtern. Häufig stehen Wahlwerbeslogans oder Forderungen auf den Tafeln, die sich beim Wähler ins Gedächtnis brennen sollen. Die Begründung liefert Politikexperte Brettschneider: Wahlplakatierung findet in Wellen statt. Etwa sechs bis sieben Wochen vor der Wahl geht es los. Zum Start sollen die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten bekannt gemacht werden. Dazu zieren ihre Gesichter die Plakate, meist gepaart mit einem markanten Leitwort. Im aktuellen Wahlkampf ist das gut bei der Kampagne der Grünen zu sehen, die mit dem Konterfei von Robert Habeck werben. Darunter ist nur das Wort "Zuversicht" zu lesen.

Ein bis zwei Wochen später geht die zweite Phase der Plakatierungen los. Diesmal soll dem Leitwort Leben eingehaucht werden. Slogans sollen die politische Stoßrichtung der Partei der Wählerin oder dem Wähler näherbringen. "Wenn die Parteien schlau sind, öffnen sie nicht den ganzen Bauchladen an Themen, sondern konzentrieren sich auf Kompetenzthemen", erklärt Brettschneider. Er geht davon aus, dass die Grünen in dieser Phase das Wort "Zuversicht" noch konkretisieren werden – ähnlich wie die CDU mit ihrem Leitwort "Wohlstand".

In der dritten und letzten Phase kurz vor der Wahl kommen die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten wieder zurück. Diesmal aber mit einer konkreten Aufforderung. "Zweitstimme ist Kanzlerstimme", nennt Brettschneider hier als Beispiel. Damit wollen die Parteien die Wählerinnen und Wähler noch einmal motivieren, ihnen eine besonders starke Position im kommenden Bundestag zu verschaffen.

Kleine Parteien werben mit Aussagen, nicht mit Gesichtern

Es kann aber auch noch einen zweiten Grund geben, warum manche Parteien eher mit Texten als mit Gesichtern überzeugen wollen. Vor allem kleinere Parteien, deren Kandidatinnen oder Kandidaten wenig Aussicht auf den Erhalt der Erststimme haben, beginnen ihre Plakatierungsaktionen erst in Phase zwei. Sie wollen über Inhalte die Zweitstimme für sich holen, sagt Brettschneider der "Tagesschau".

Wahlplakate sagen aber nicht nur etwas über die Parteien aus, sondern auch über die eigenen Nachbarn. Plakatiert wird in der Regel dort, wo man in den vergangenen Wahlen bereits ein gutes Ergebnis eingefahren hat. "Die AfD plakatiert beispielsweise sehr viel, wo sie bei vergangenen Wahlen stark war", erklärt Brettschneider. Es kann aber auch ein Hinweis darauf sein, dass die Partei in der jeweiligen Region viele Vertreterinnen und Vertreter hat.

Plakate zerstören ist kein Kavaliersdelikt

Immer wieder kommt es jedoch vor, dass Wahlplakate zerstört, verunstaltet, beschmiert oder überklebt werden. Manchmal werden sie sogar gleich ganz abmontiert und gestohlen. Dass das kein Kavaliersdelikt ist, erklären die Experten des Ratgeberportals "Anwalt.org". Wahlplakate sind Eigentum der jeweiligen Partei "Wer Wahlplakate zerstört, begeht laut Gesetz eine Sachbeschädigung", heißt es dort. In der Regel droht, wenn man erwischt wird, eine Geldstrafe. Im Extremfall kann aber auch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren verhängt werden. Dies gilt auch, wenn man vermeintlich volksverhetzende Wahlplakate zerstört. "Besorgte Bürger dürfen nicht das Gesetz in die eigene Hand nehmen, sondern müssen sich stattdessen an die Polizei wenden."

Immer wieder werden Wahlplakate mutwillig beschädigt oder sogar gestohlen. © IMAGO/snowfieldphotography

Wer seine Meinung kundtun will, in dem er ein verfassungswidriges Symbol wie beispielsweise das Hakenkreuz auf ein Plakat kritzelt, muss sogar mit einer noch empfindlicheren Strafe rechnen. Hier droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Bei Diebstahl kann es sogar noch ungemütlicher werden. Geldstrafen, aber auch eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren sind hier gesetzlich möglich.

Angriffe auf Wahlhelfer nehmen zu

Dass auch das Aufhängen von Wahlplakaten mit einem gewissen Risiko verbunden sein kann, ist spätestens nach dem Angriff auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke im Mai vergangenen Jahres in Dresden bekannt. Dieser wurde beim Plakatieren von maskierten Personen angegriffen und schwer verletzt. Und auch in diesem Bundestagswahlkampf wird immer wieder von Angriffen und Beleidigungen im Zusammenhang mit Wahlkampfhelferinnen und -helfern berichtet.

"Die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Amts- und/oder Mandatsträgerinnen und -träger stieg laut Bundeskriminalamt (BKA) 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent auf rund 5.400 Fälle", heißt es in einem Informationsartikel der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Demnach richteten sich die meisten Angriffe 2023 gegen Vertreter der Grünen mit 1.219 Fällen, gefolgt von der AfD mit 478 Fällen. Bei der Zerstörung von Wahlplakaten liegt die AfD laut der Statistik des Deutschen Bundestags mit 546 knapp vor den Grünen mit 521 Fällen. Die Dunkelziffer dürfte hier aber wesentlich größer sein, da die Zerstörung von Wahlplakaten häufig nicht zur Anzeige gebracht wird. (tel)

Verwendete Quellen

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