Sachsen-Anhalt darf von nun an als AfD-Stammland gelten: Bei den Landtagswahlen am vergangenen Wochenende erreichte die Partei aus dem Stand 24,2 Prozent der Wählerstimmen. Die Bürger machten die Alternative für Deutschland zur zweitstärksten Partei in Sachsen-Anhalt. Ist der Rechtsruck exemplarisch für Ostdeutschland oder nur ein temporäres Phänomen?

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Der Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen 2016 schockte viele Anhänger der etablierten Parteien zwischen Naumburg und Stendal – und bundesweit.

Doch ist das Ergebnis richtungsweisend für kommende Abstimmungen in Ostdeutschland oder nur ein Sonderfall? Der Magdeburger Politologe Roger Stöcker analysiert im Gespräch mit unserer Redaktion die Bedeutung der AfD-Ergebnisse in Sachsen-Anhalt.

Die AfD wurde in Sachsen-Anhalt auf Anhieb zur zweitstärksten politischen Kraft. Handelt es sich bei der Partei um eine rechte oder eine rechtsextreme Kraft?

Roger Stöcker: Die AfD ist meines Erachtens nach eine rechtspopulistische Protestpartei, die mit Vorurteilen spielt und teils völkische sowie radikale Tendenzen zeigt.

Kannibalisiert die AfD die NPD und schwächt damit die politischen Rechtsaußen insgesamt?

Die NPD hat deutlich an Zuspruch verloren, obwohl ihr das Flüchtlingsthema in die Karten spielen dürfte. Vielen Wählern erscheint die AfD schlichtweg salonfähiger als die NPD. Hinzu kommt, dass der AfD bereits in den Umfragen vor der Wahl eine gewisse politische Bedeutung zugesichert wurde und viele Wähler wussten, dass sie ein Stück eines riesigen Denkzettels an die Bundeskanzlerin sein würden.

Wo genau ist die Bewegung inhaltlich und personell im politischen Spektrum Sachsen-Anhalts einzuordnen?

Innerhalb Sachsen-Anhalts positioniert sich die AfD rechts der CDU. In diesem politischen Vakuum konnte sie restriktive Positionen gegenüber der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin geltend machen. Der AfD-Landesverband in Sachsen-Anhalt ist innerhalb der AfD rechts zu positionieren. Der Landesvorsitzende André Poggenburg kann dem rechten Flügel des Bundesvorstandes zugeordnet werden und steht in einer Reihe mit Björn Höcke.

Ist Sachsen-Anhalt – im Vergleich zu anderen ostdeutschen Bundesländern - besonders empfänglich für links- oder rechtsextreme Wahlentscheidungen?

Eigentlich nicht. Seit dem DVU-Erfolg 1998 (die Partei zog mit 12,9 Prozent in den Landtag ein) konnten bis 2016 - im Gegensatz zu anderen ostdeutschen Bundesländern - keine Partei rechts der CDU mehr ins Landesparlament einziehen. Die AfD schnitt in Sachsen-Anhalt sowohl bei der Bundestagswahl 2013, als auch bei der Europawahl 2014 am schlechtesten von allen ostdeutschen Bundesländern ab und erhielt weniger Stimmen als in vielen westdeutschen. Somit war Sachsen-Anhalt kein Kernland für Rechtsaußenparteien.

Sind ähnliche Ergebnisse demzufolge auch in den übrigen ostdeutschen Bundesländern zu erwarten?

Sollte die Flüchtlingsthematik das allüberlagernde Thema kommender Wahlen bleiben, ist mit weiteren Erfolgen der AfD zu rechnen. Wenn in Mecklenburg-Vorpommern im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird, wird dort die AfD einziehen. Sollte sich die Situation zuspitzen, könnte die AfD dort noch besser als in Sachsen-Anhalt abschneiden.

Ist die AfD in Sachsen-Anhalt so erfolgreich, weil die Bürger tatsächlich die Inhalte der Partei unterstützen oder weil sie hauptsächlich ihren Protest ausdrücken wollen?

Laut Infratest dimap erfolgte bei zwei Dritteln der AfD-Wähler die Wahlentscheidung aus Protest und Unzufriedenheit mit den anderen Parteien. Das ist eine extrem hoher Wert, dem die normale Logik, wonach Parteien vorrangig aus Überzeugung gewählt werden, entgegensteht.

Was unterscheidet das Wahlverhalten in Ostdeutschland generell von dem in Westdeutschland?

Die Ostdeutschen sind wechselhafter und wählen häufiger linke - hier vorrangig Die Linke - und rechte Parteien, wie DVU, NPD und nun eben AfD. Die beiden Volksparteien CDU und SPD schneiden in der Regel deutlich schlechter ab. Und die Grünen sind unbedeutender.

Die Linke hat massiv Stimmen eingebüßt. Ist die AfD dafür der Hauptgrund?

Nicht nur die Linke. Auch die SPD halbierte ihr Wahlergebnis von 2011. Beide Parteien verloren Wähler an die AfD - die Linke stärker als die SPD. Das ist jedoch nicht der Hauptgrund für die Niederlagen gewesen. SPD und Linke verloren in der Fläche an alle Parteien.

Warum sind linke oder rechtsextreme Wahlentscheidungen in Ostdeutschland häufiger und entsprechende Einstellungen salonfähiger als im Westen Deutschlands?

Der Osten votiert öfter für Rechtsaußenparteien, da die Unzufriedenheit über die wirtschaftliche und politische Situation höher ist. Nachdem die "blühenden Landschaften" von Helmut Kohl Mitte der 1990er Jahre ausblieben, wählten viele Ostdeutsche SPD und PDS. Nachdem die SPD mit Gerhard Schröders Agenda 2010 einen neoliberalen Kurswechsel vollzog, wandten sich viele wiederum von dieser ab. Dadurch stieg das rechte Protestwahlpotenzial in den letzten Jahren erneut an.

Der promovierte Politologe Roger Stöcker ist Dozent an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg.
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