Bei der Landtagswahl in Bayern am Sonntag droht der CSU der Verlust der absoluten Mehrheit. Eine historische Chance für die SPD - eigentlich, doch Umfragen sagen auch ihr eine Pleite voraus. Im Interview gibt sich die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen kämpferisch: Noch nie sei eine Wahl so offen gewesen, sagt sie, und erklärt, wie sie punkten will.

Ein Interview

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Frau Kohnen, auf vielen Ihrer Wahlplakate prangt das Wort "Haltung". Sie hatten sich zunächst gegen die große Koalition auf Bundesebene ausgesprochen und am Ende den Koalitionsvertrag mitverhandelt. Wie passt das zusammen?

Ich hatte tatsächlich sehr große Zweifel bezüglich der großen Koalition, wurde aber gebeten mitzuverhandeln. Das habe ich gemacht, aber signalisiert, dass ich aufstehe und gehe, wenn ich mit dem Verlauf der Gespräche nicht einverstanden bin. In den Verhandlungen hat sich die SPD bei vielen Themen durchgesetzt. Ohne uns gäbe es zum Beispiel keine Mietpreisbremse, die Modernisierungsumlage würde nicht sinken. Auch das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit wäre ohne die SPD nicht zustande gekommen. Diese Erfolge wollte ich nicht verloren geben, deshalb habe ich gesagt: 'Okay, probieren wir es.' Aber, man muss Haltung zeigen - Stichwort Maaßen - da war bei mir die Grenze überschritten.

Ihre Parteichefin Andrea Nahles hatte einem Deal zugestimmt, der dem umstrittenen Noch-Chef des Verfassungsschutzes einen Wechsel auf einen höher dotierten Posten im Innenministerium ermöglicht hätte. Das haben Sie kritisiert - lautstark und in aller Öffentlichkeit. Wäre das nicht dezenter gegangen, zum Wohl der SPD, die derzeit ja ohnehin nicht gut dasteht?

Ich werbe für Haltung und habe eine klare Haltung. Diese stützt sich auf Werte wie Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Die Entscheidung zu Maaßen war für mich nicht nachvollziehbar und daher auch nicht zu vermitteln. Die musste einfach korrigiert werden.

Nicht nur im Bund sind die Zustimmungswerte der SPD schlecht, auch in Bayern. Bei der letzten Landtagswahl kam die Partei noch auf 20 Prozent der Stimmen, jetzt gehen Umfragen von zehn bis 13 Prozent aus. Gleichzeitig steckt auch die CSU in einem historischen Tief. Warum profitieren Sie nicht von der Schwäche des Gegners?

Man muss sich die Umfragen genau ansehen. Jeder zweite Wähler weiß noch nicht, wen er wählen will. Und von denjenigen, die es angeblich wissen, sind sich zwei Drittel nicht sicher, ob sie sich nicht doch noch anders entscheiden. Noch nie war eine Wahl so offen. Wenn wir uns auf den letzten Metern auf unsere Themen konzentrieren - bezahlbares Wohnen, Kitas, gute Arbeit - können wir das Ruder noch herumreißen.

Beim Thema Wohnen: Sie versprechen 100.000 bezahlbare Wohnungen in den nächsten fünf Jahren. Was heißt denn bezahlbar?

Bezahlbar heißt für mich geförderter Wohnraum. Die Menschen, die darin leben, müssen keine Angst haben, dass die Miete steigt.

Drei Viertel dieser Wohnungen sollen private Investoren bauen. Wie wollen Sie diese für sozialen Wohnungsbau gewinnen, wo doch privatwirtschaftliche Projekte weit mehr Rendite versprechen?

Inzwischen ist der Wohnungsmarkt für Investoren zu einem Finanzmarkt geworden. Da muss der Staat ran, zum Beispiel über Bebauungspläne, die festlegen, dass auf einem Drittel der Fläche Sozialwohnungen entstehen müssen.

Nirgendwo in Bayern sind die Mieten so hoch wie in München, wo die SPD seit 1984 ununterbrochen den Oberbürgermeister stellt. Haben Ihre Kollegen da nicht versagt?

Für den Wohnungsbau sind die Kommunen gemeinsam mit den Ländern verantwortlich. Die Stadt München ist ihrer Aufgaben nachgekommen, während das Land die Mittel für Wohnungsbau auf einen Tiefstand heruntergefahren und aufgehört hat, selbst zu bauen. Zu allem Überfluss hat Bayern sogar staatliche Wohnungen verkauft. Die Staatsregierung fängt also bei Null an. Sie hat noch nicht einmal einen Überblick, welche Flächen der Freistaat besitzt und welche er bebauen darf. Das muss man sich mal geben.

Gleichzeitig wäre natürlich der Wachstumsdruck auf Städte wie München wesentlich geringer, wenn die CSU es nicht verschlafen hätte, den ländlichen Raum so zu fördern, dass Unternehmen und Familien sagen: 'Mensch, ich gehe auch aufs Land.' Wir brauchen überall gute Infrastruktur: schnelles Internet, öffentlichen Nahverkehr, eine flächendeckende Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und Schulen.

Die SPD kündigt in ihrem Programm zur Landtagswahl kostenfreie Kitas mit kleineren Gruppen und längeren Öffnungszeiten an. Wie wollen Sie das umsetzen, angesichts des massiven Erziehermangels?

Die Ausbildung in sozialen Berufen muss attraktiver werden, vor allem finanziell. Die CSU sagt immer, der Staat könne da nichts tun. Aber das kann er, indem er Tarifverträge für die sozialen Berufe als allgemein verbindlich erklärt. Mehr Erzieher verspreche ich mir auch von einer höheren Vergütung der Ausbildung, die die SPD im Koalitionsvertrag verankert hat.

Was die Kostenfreiheit der Kitas angeht: die ließe sich schrittweise einführen und wäre deutlich günstiger als das Familiengeld, das Bayern derzeit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr zahlt.

Das dritte große Thema in Ihrem Wahlprogramm ist Arbeit. Warum messen sie dem einen so hohen Stellenwert zu, obwohl in Bayern quasi Vollbeschäftigung herrscht?

Es geht ja nicht nur darum, einen Arbeitsplatz zu haben, sondern auch um dessen Qualität. Nehmen wir beispielsweise die Lehrer, deren Arbeitgeber der Freistaat selbst ist: Obwohl sie einen Wahnsinnsjob leisten, sind ihre Stellen zu Tausenden befristet. Das will ich ändern. Arbeitsplätze müssen sicher sein, auch unter dem Einfluss der Digitalisierung. Oft kommen Menschen auf mich zu, die Angst haben, in ein paar Jahren von einer Maschine ersetzt zu werden. Mit ihnen muss der Staat in die Zukunft gehen und sagen: Du bekommst ein Recht auf Weiterbildung und dann sagst du der Maschine, was sie zu tun hat, und nicht umgekehrt.

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