ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz liegt seit Monaten in den Umfragen auf dem ersten Platz. Aber wird er auch Kanzler? Historiker und Wien-Korrespondent Stephan Löwenstein warnt vor voreiligen Schlüssen.

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Glaubt man den jüngsten Wahlwerbespots der SPÖ, dann ist eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ nach den Wahlen bereits ausgemachte Sache.

In düsteren Bildern malt Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern das Bild eines schwarz-blauen Österreichs: Abbau sozialer Errungenschaften, Einsparungen im Gesundheitsbereich.

Am Ende des Videos richtet sich Kern persönlich an sein Publikum: Nur eine starke SPÖ könne den Wohlfahrtsstaat retten.

Was aber, wenn die nach dem Silberstein-Skandal taumelnde SPÖ deutlich besser abschneidet, als manche glauben?

Das legt etwa die jüngste OGM-Umfrage im Auftrag des "Kurier" nahe: Demnach käme die Kanzlerpartei auf immerhin 27 Prozent. Kern würde damit etwa gleich gut abschneiden wie sein Vorgänger Werner Faymann vor vier Jahren.

Dann wäre die Kanzlerschaft für Sebastian Kurz keine ausgemachte Sache, glaubt Stephan Löwenstein, Österreich-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Der Historiker hat sich schon bei seiner Magisterarbeit mit der Geschichte Wiens während der Türkenbelagerung beschäftigt. Seit 2012 berichtet er mit dem distanziert-kühlen Blick der konservativen deutschen Qualitätszeitung über die heimische Innenpolitik.

Löwenstein sagt: "Wenn es sich rechnerisch ausgeht und politisch argumentierbar ist, dann halte ich es nicht für unrealistisch, dass es zu Rot-Blau kommt."

Kanzler Kern hat diese Möglichkeit in den letzten Wochen zwar kleingeredet. Dass er seiner Partei aber eine grundsätzliche Öffnung in Richtung FPÖ verordnet habe, sei kein Zufall, glaubt Löwenstein: "Die SPÖ hat das ja nicht aus Spaß gemacht."

Rot-Blau käme FPÖ zupass

Der Historiker sieht Vorteile vor allem für die FPÖ . Denn aus Sicht der Rechtspopulisten sei ein Bündnis mit den Sozialdemokraten erstrebenswerter als eine Koalition mit der Volkspartei.

Das habe zum einen historische Gründe: "Die FPÖ hat sehr schlechte Erinnerungen an die letzte Zusammenarbeit mit der Volkspartei", argumentiert Löwenstein.

Als sich der damalige ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 zum Kanzler küren ließ, konnten die Blauen von der Koalition nicht profitieren. Im Gegenteil: "Sie wurden innerhalb der Regierung an den Rand getrieben."

Bei den Wahlen 2002 stürzte die FPÖ dramatisch ab. Die Regierungsbeteiligung führte zu inneren Turbulenzen, Jörg Haider spaltete sich 2005 mit dem BZÖ ab.

Eine Zeit lang sah es so aus, als würde sich de FPÖ nicht mehr erholen. Erst als es 2006 zu einer Großen Koalition kam, begann für Heinz-Christian Strache wieder der Aufstieg. "Ich glaube, dass bei der FPÖ eine historisch bedingte Abneigung gegen die ÖVP gibt", sagt Löwenstein.

Platz für Straches Lieblingsthemen

Für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten gäbe es aus Sicht der FPÖ auch andere Gründe. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat den Rechtspopulisten in den vergangenen Monaten die Führerschaft bei ihren Lieblingsthemen Migration und innere Sicherheit streitig gemacht. Das würde er wohl auch in der Koalition so halten.

"An der Seite eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers könnte sich die FPÖ hingegen als bürgerliche Kraft profilieren", analysiert Löwenstein. "Taktisch wäre da für die FPÖ mehr drin."

Und nicht zuletzt würde eine Zusammenarbeit mit der SPÖ ein starkes Signal an das Ausland schicken: "Eine rot-blaue Koalition käme einem Persilschein für die Partei gleich." Die international verfemte FPÖ würde als normale Partei wahrgenommen werden.

Es gibt auch Gründe dagegen

Freilich: Es gibt auch starke Gründe gegen ein rot-blaues Bündnis. Vor allem die Parteilinke innerhalb der SPÖ würde gegen eine Zusammenarbeit mit der FPÖ rebellieren.

Machtzentrum des linken Parteiflügels ist die Hauptstadt Wien, wo Bürgermeister Michael Häupl demnächst das Zepter weitergeben will. Die Frage der Nachfolge ist ungeklärt, die Partei taumelt.

Eine schwarz-blaue Regierung im Bund wäre ein idealer Außenfeind, an dessen Reibung sich die Wiener Roten wieder profilieren könnten. Bei einer rot-blauen Regierung käme der Wiener SPÖ dieses Thema abhanden.

"Ich habe den Eindruck, dass die Parteilinken lieber den Bundeskanzlersessel riskieren würden als den Bürgermeistersessel in Wien", sagt Löwenstein.

Einen verbindlichen Tipp, wie es nach den Wahlen in Österreich politisch weitergehen könnte, will er nicht abgeben. "Im privaten Kreis habe ich gewettet, aber das bleibt privat", sagt er.

Nur so viel: "Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die FPÖ in der nächsten Regierung sitzen wird."

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