In der russischen Enklave Kaliningrad ist bereits alles für die Präsidentschaftswahl vorbereitet. Um die Menschen an die Wahlurne zu locken, winken sogar Preise.

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Die Präsidentenwahl in Kaliningrad steht – wie in ganz Russland - im Zeichen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Symbolisch, dass auf dem Wahlplakat am Busbahnhof das V in den Farben der russischen Trikolore weiß-blau-rot leuchtet. Die russischen Truppen verwenden diesen Buchstaben neben dem Z im Krieg zur eigenen Kennzeichnung. Auf dem Plakat steht das V nicht für Victory (Sieg), sondern vorgeblich für Vybory – die englische Umschrift des russischen Wortes für Wahlen. Doch die Stoßrichtung ist klar und deutlich.

Die Menschen in Kaliningrad halten treu zu Putin

Nastja, eine etwa 50-jährige Verkäuferin von Bernsteinschmuck im Zentrum von Kaliningrad, ist mit dieser gedanklichen Verbindung völlig einverstanden. Die Region ist zwar von der Front in der Ukraine mehr als 1.000 Kilometer entfernt. Doch die Auswirkungen des Krieges sind auch in Russlands von den EU- und Nato-Ländern Polen und Litauen umschlossenen Exklave zu spüren. Der visafreie kleine Grenzverkehr mit den Nachbarn wurde völlig eingestellt. "Damit haben sich die Polen aber selbst geschadet, die haben doch nur auf unsere Kosten gelebt", meint Nastja und verweist unter anderem auf die niedrigeren Preise für Benzin, Alkohol und Zigaretten in der russischen Ostsee-Region.

Doch die Bürger in Kaliningrad, die lange Jahre von den offenen Grenzen profitiert haben, leiden ebenfalls – und das lastet Nastja allein den Nachbarn an. Moskau sei im Konflikt mit dem Westen eigentlich noch zu nachgiebig. "Russland hätte schon längst den Suwalki-Korridor besetzen können", sagt sie. "Das wäre unser Recht gewesen." Der Suwalki-Korridor bezeichnet einen nur 70 Kilometer breiten Landstreifen zwischen Belarus und Kaliningrad an der litauisch-polnischen Grenze. Moskau könnte das Baltikum durch eine Besetzung des Korridors vom restlichen Nato-Gebiet abschneiden – und würde so wohl einen Krieg mit der Nato auslösen.

Doch Nastja schreckt ein solches Szenario nicht. Sie hat volles Vertrauen in die Politik von Wladimir Putin. Den Kremlchef will sie auch bei der Wahl unterstützen. Seit 30 Jahren verkaufe sie Bernsteinschmuck. Vieles habe sich seither verbessert – und dafür ist ihrer Ansicht nach Putin verantwortlich. Den Präsidenten finde sie wie alle Bewohner Kaliningrads großartig, sagte sie. "Wie könnte es auch anders sein – wir sind schließlich ein Teil Russlands." Der Norden der früheren deutschen Provinz Ostpreußen fiel mit dem Zweiten Weltkrieg an die Sowjetunion; aus der Stadt Königsberg wurde das russische Kaliningrad.

Wachmann Andrej hingegen ist politisch wenig interessiert. "In unserer Region läuft alles gut", sagt er lediglich. Der hoch aufgeschossene Mittvierziger sitzt am späten Abend im Vorraum einer Bank. Ein eintöniger und wenig einträglicher Job.

Anreize für Wähler

Immerhin: Ein Plakat neben ihm wirbt mit lukrativen Angeboten um die Wahlbeteiligung der Kaliningrader. Es hat Tradition, dass es in russischen Wahllokalen oftmals kleine Leckereien zu günstigen Preisen gibt. In diesem Fall aber können Wähler in einer Lotterie am Wahltag Autos oder sogar Wohnungen gewinnen. Zur Verfügung gestellt werden die Preise von einem sogenannten Baltischen Geschäftsklub, dessen Mitglieder sich als "echte Patrioten ihrer Region" positionieren. Auf Andrej wirkt das Angebot verführerisch. Er wisse noch nicht genau, ob er abstimmen gehe. "Aber wahrscheinlich schon", fügt er mit Blick auf das Plakat hinzu.

Aber es gibt auch kritische Stimmen. Sie kommen oft aus dem Lager der höher gebildeten und sozial besser gestellten Schichten. Leonid ist gelernter Historiker. "Wann war Krieg je gut?", fragt er. Dass viele Kaliningrader die Politik der Obrigkeit überlassen und sich keinen Kopf darum machen wollen, findet er falsch. Auch seine zweite Frau sei apolitisch. "Aber wenn du nichts unternimmst, wird Putin auch deinen Sohn bald in den Krieg schicken", habe er ihr gesagt. An Veränderungen durch die Wahl glaubt er freilich nicht.

Grigori ist Geschäftsmann. Der Krieg habe vieles zerstört, was in Kaliningrad aufgebaut worden sei, sagt er. Die Folge sei Teuerung und im Endeffekt eine Schwächung der Wirtschaft. "Und wir wissen alle, wer dafür verantwortlich ist", sagt er. Offenen Protest wagt er aus Sorge um sein Geschäft zwar nicht. Doch seine Frau werde am Sonntag zur Mittagszeit zumindest einmal schauen, wie es an den Wahllokalen aussehe, verrät er.

Die Wahl wird nichts ändern

Die Opposition um den in Haft gestorbenen Kremlkritiker Alexej Nawalny hat die Russen dazu aufgerufen, am Sonntag genau um 12 Uhr Ortszeit in die Wahllokale zu gehen. Dies soll ein sichtbares, aber legales Zeichen des Protests sein. An eine Abwahl Putins glaubt auch die Opposition nicht – angesichts dessen, dass alle echten Gegenkandidaten von der Abstimmung ausgeschlossen wurden. Die drei Mitbewerber Putins gelten als Statisten ohne eigenes Profil. Unabhängige Wahlbeobachter wurden nicht zugelassen.

Auch Grigori hat keine großen Erwartungen. Früher habe er gedacht, dass die Menschen in Kaliningrad weltoffener seien als im großen Russland. Viele seien gereist und hätten erlebt, dass es auch anders ginge. "Doch nach der Annexion der Krim 2014 habe ich gesehen, dass sich die Menschen hier genauso von den Großmachtphantasien einfangen lassen." (dpa/the)

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