Wladimir Putin will sich 2024 erneut zum Präsidenten wählen lassen. Ein Sieg ist ihm sicher, daran haben Beobachter keine Zweifel. Warum die Wahl für ihn trotz des praktisch feststehenden Ergebnisses dennoch wichtig ist, wie stark die Opposition noch ist und ob Alternativen denkbar sind, erklärt Historiker Matthäus Wehowski.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Marie Illner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der russische Präsident Wladimir Putin will sich im März kommenden Jahres für eine fünfte Amtszeit wählen lassen. Wie er bei einer Auszeichnung von Veteranen des Kriegs gegen die Ukraine ankündigte, kandidiert er bei der Wahl, die vom 15. bis zum 17. März stattfindet.

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Bei der Wahl könnte sich der 71-Jährige dann bis 2030 wählen lassen. Nach der Verfassungsreform von 2020 wäre auch eine sechste Amtszeit bis 2036 möglich. Putins Kandidatur kommt nicht überraschend: Seine Kandidatur galt Beobachtern als sicher – ebenso sein Sieg. Denn die meisten Oppositionellen sitzen im Gefängnis oder befinden sich im Exil. Matthäus Wehowski beobachtet die russische Politik seit Langem.

Wahl ohne echte Gegenkandidaten

"Es findet eine Wahl in dem Sinne statt, dass Menschen in eine Wahlkabine gehen und dort tatsächlich ein Kreuz machen und das vermutlich auch relativ frei", sagt er. Es werde vermutlich wenig direkte Wahlmanipulationen geben, wie etwa die Fälschung kompletter Wahllisten. "Das Problem ist aber, dass es praktisch keine Gegenkandidaten gibt", sagt der Experte.

Er erinnert: "Eine Wahl bedeutet eigentlich, dass man eine Auswahl zwischen verschiedenen Kandidaten hat, die prinzipiell die Chance haben, das Amt zu gewinnen." In Russland aber stehe das Ergebnis der Wahl schon vorab fest.

Opposition im Gefängnis oder Exil

Die Fraktionen der Duma, auch wenn sie als "Oppositionsparteien" gelabelt würden, seien alle auf Regierungslinie. Neben der Kreml-Partei Einiges Russland sind das die Kommunistische Partei Russland, die Liberal-Demokratische Partei Russlands (die tatsächlich eine rechtsextreme Partei ist) sowie die Parteien Gerechtes Russland und Neue Leute. "Im Prinzip kämpft jede Fraktion eigentlich nur um die Frage, wer am loyalsten ist gegenüber der Regierung. Da gibt es keine Gegenstimmen, keine Debatte, keine Kritik und keine Kandidaten mit Gewinnchancen", sagt Wehowski.

Die Opposition sei von Jahr zu Jahr immer kleiner geworden. "Zuletzt gab es sie nur noch in Regionalparlamenten", beobachtet Wehowski. Dort seien immer wieder einzelne Oppositionskandidaten aktiv gewesen, die zum Teil auch die Regierungspolitik kritisiert hätten. "Das sind aber heute nur noch ganz vereinzelte Leute", so der Experte. Während die Opposition bereits seit mehr als zwanzig Jahren fast chancenlos war, sei sie inzwischen quasi gänzlich verschwunden.

Nawalny mit Kampagne "Russland ohne Putin"

Der bekannteste Oppositionspolitiker, Alexej Nawalny, hatte eine landesweite Kampagne gegen Putin gestartet mit dem Titel "Russland ohne Putin". Sie ruft dazu auf, jeden beliebigen Kandidaten zu wählen, der nicht von der Regierungspartei Einiges Russland nominiert wurde. Andere Exiloppositionelle halten diesen Kurs für wirkungslos und fordern den Boykott der Wahl.

Plakate, die in Großstädten aufgehängt wurden und mittels eines QR-Codes auf die Webseite von Nawalny verwiesen, wurden wieder abgehängt. Die russische Medienaufsicht Roskomnadsor soll Nawalnys Webseite gesperrt haben. Auch sonst sind alle Medien auf Linie gebracht. Nawalny verbüßt insgesamt mehr als 30 Jahre Haft in einer Strafkolonie. Seit Tagen fehlt von Russlands bekanntestem Gefangenen jedoch jede Spur, sein Aufenthaltsort ist unbekannt.

Keine Alternative zu Putin

Zu Putin sieht der Experte derzeit keine Alternative. "Der letzte wirklich prominente Oppositionspolitiker der Duma war Wladimir Kara-Mursa. Auch er sitzt mittlerweile im Gefängnis", sagt Wehowski. Der 41-jährige Historiker und Politiker aus Moskau hatte nach dem Beginn der Invasion in die Ukraine mit anderen bekannten Oppositionellen das Komitee gegen den Krieg gegründet. Am 17. April 2023 wurde er zu 25 Jahren Straflager verurteilt.

Paragraf 293 der russischen Strafprozessordnung gewährt jedem Angeklagten das Recht zu einer unzensierten Schlussrede. Kara-Mursa sagte im Stadtgericht von Moskau vor seinem Schuldspruch: "Während meiner Vernehmung hier vor Gericht hat der Vorsitzende Richter mich daran erinnert, dass ich, wenn ich für die von mir begangenen Taten Reue zeige, auf mildernde Umstände hoffen könne."

Obwohl er zurzeit wenig zu lachen habe, habe er sich ein Lächeln nicht verkneifen können. "Verbrecher sollten Reue zeigen. Ich aber bin im Gefängnis wegen meiner politischen Ansichten. Wegen meiner Auftritte gegen den Krieg in der Ukraine. Wegen meines langjährigen Kampfes gegen Putins Diktatur", erinnerte Kara-Mursa.

Spekulationen über Nachfolge

Wehowski meint: "1996, als Gennady Zyuganov Konkurrent von Boris Jelzin war, fand vermutlich die letzte russische Wahl statt, in der im Vorfeld noch nicht klar war, wer gewinnt. Seitdem ist eigentlich jede Wahl entschieden, bevor sie überhaupt stattgefunden hat."

Es gebe zwar immer wieder Diskussionen und Spekulationen über Putins Alter und Gesundheitszustand. Auch würden immer wieder Namen in den Raum geworfen, die eventuell als Nachfolge infrage kommen könnten. "Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass er ernsthaft krank wäre. Auch sind die Nachfolge-Spekulationen alle sehr unkonkret", meint Wehowski.

Warum die Wahl für Putin wichtig ist

Von 2008 bis 2012 war Putin Ministerpräsident und hatte eine Ämterrochade mit Dmitri Medwedew vorgenommen. "Selbst damals hat Putin aber die Zügel der Macht immer in der Hand behalten. Medwedew war kein wirklich unabhängig agierender Präsident und obwohl er formell das Staatsoberhaupt war, hatte er die meiste Zeit nichts zu sagen", sagt Wehowski. Inzwischen sei Medwedew aber politisch verbrannt und komme nicht für eine Nachfolge infrage.

Insgesamt darf aus Sicht des Experten nicht unterschätzt werden, wie wichtig die Wahl in Russland ist – und das, obwohl es eigentlich gar keine wirkliche Wahl ist. "Putin braucht diese Unterstützung. Er will die formelle Pflicht erfüllen und die Fassade aufrechterhalten, dass es Wahlen gibt", erklärt Wehowski.

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Moskau stecke derzeit viele Ressourcen darein, dass möglichst viele Leute zur Wahl gehen und Putin wählen. "Zum Beispiel werden die Löhne und Sozialausgaben erhöht, um kurzfristig die Popularität zu steigern", erklärt er.

Wahl im Zeichen des Krieges

Der Wahlvorgang selbst werde außerdem sehr eng mit dem Krieg verbunden. So sei beispielsweise das "V", welches ebenso wie das "Z" immer wieder groß und weiß auf russischen Panzern und Militärfahrzeugen zu sehen ist, Teil des offiziellen Wahllogos. Der Buchstabe "V" soll für den Ausdruck "Die Mission wird erfüllt werden" stehen. Wehowski sagt: "Putin will mit dieser Wahl politische Rückendeckung und Rückhalt für den Krieg generieren."

Die Wahl soll auch in den vier annektierten ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson stattfinden. Russland hatte die Gebiete im vergangenen Jahr annektiert, kontrolliert sie aber nicht vollständig. Putin will auch auf der ukrainischen Halbinsel Krim, die Moskau bereits im Jahr 2014 illegal annektiert hatte, abstimmen lassen.

Sollte er eine weitere Amtszeit antreten und beenden, wäre Putin der am längsten amtierende Staatschef Russlands seit Zarin Katharina der Großen im 18. Jahrhundert. Josef Stalin hatte die Sowjetunion von 1924 bis 1953 geführt.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Matthäus Wehowski ist Historiker am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die vergleichende Geschichte Ostmitteleuropas, Nationalismus und Religion sowie die Geschichte des Kalten Krieges.
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