In einer ersten Umfrage überholt Kamala Harris ihren Kontrahenten Donald Trump. Der Kampf ums Weiße Haus wird hart und spannend. Und Harris hat einige Trümpfe in der Hand.
Mit Spannung wurde erwartet, wie sich der spektakuläre Kandidatenwechsel auf die Umfragewerte auswirken würde. Nun liegen erste Zahlen vor.
In einer zweiten Umfrage von NPR/PBS liegt Trump noch mit 46 zu 45 Prozent knapp vorne. Doch die Stimmung in den USA scheint zu kippen. Denn Trump lag wochenlang deutlich vor
Aggressiver Ton im Wahlkampf
In selbstbewusstem Ton kündigt Harris an: "Wollen wir in einem Land der Freiheit, des Mitgefühls und der Rechtsstaatlichkeit leben oder in einem Land des Chaos, der Angst und des Hasses?". Sie kenne Männer wie Trump, sagte Harris, als sie darauf verwiesen hatte, dass sie es in ihrer Zeit als Staatsanwältin "mit Tätern aller Art aufgenommen" habe.
Harris stellte Trump gezielt in einer Reihe mit Kriminellen, Betrügern und Vergewaltigern. Sie nimmt damit den aggressiven Ton des Trump-Wahlkampfs volley auf. Denn die neue Kandidatin wird von der Trump-Kampagne ebenfalls massiv angegriffen - sie sei eine links-radikale Wokeness-Predigerin und Abtreibungsbegeisterte, sie sei aufbrausend, sie habe in der Migrationspolitik versagt und sei hauptverantwortlich für die Fehler der Biden-Administration.
Warum Kamala Harris ein Überraschungserfolg gelingen könnte
Und doch gibt es fünf Gründe, warum Harris im schmutzigen Wahlkampf einen Überraschungserfolg landen könnte:
1. Demokraten gelingt ein Neustart
Die wahrscheinliche Nominierung von Harris beschert dem schlingernden Wahlkampf der Demokraten einen regelrechten Neustart. Vor allem die Gruppe der "Double Haters" kann nun für Harris mobilisiert werden. Ein Viertel der Amerikaner hielt sowohl Biden als auch Trump für schlechte Kandidaten - das war der höchste Anteil an "Doppelhassern" der letzten 10 Wahlen, so die Daten von Pew Research.
Die Kandidatur von Harris wirkt nun wie ein Fensteröffner und sorgt für Durchzug. Die enorme Spontanspendenbereitschaft für Harris ist dafür ein positives Signal. Und Harris nutzt das Momentum für sich.
Sie hat Trump aus den Schlagzeilen verdrängt. Nun kann sie durch den Nominierungsparteitag und die Berufung eines populären Mannes für das Vize-Amt die nächsten Schlagzeilen bestimmen.
Plötzlich dominieren die Demokraten wieder den Takt des Wahlkampfs und nicht mehr Trump. Harris kann dabei die Bühne der Vize-Präsidentschaft für ihren Wahlkampf systematisch nutzen. Sie wird im Weißen Haus - wie man schon am Montag beobachten konnte - populäre Basketballteams würdigen und sich danach mit Israels Premier Benjamin Netanjahu treffen. Durch ihr Amt ist sie enorm sichtbar und in starke Szenerien gebettet.
2. Jungbrunnen im politischen Altenheim Amerikas
Monatelang quälten sich die Demokraten mit der Altersschwäche von Biden herum. Nun dreht sich das Thema schlagartig zum Vorteil. Kamala Harris ist 59 Jahre alt und könnte beinahe die Tochter von Donald Trump sein. Dessen Polemik gegen das Alter kehrt sich damit gegen ihn selbst. Biden wäre der älteste Präsident gewesen, der je ins Amt gewählt worden wäre, genau das aber gilt jetzt für Trump, sollte er bei der Wahl obsiegen. "Zeit für einen Generationenwechsel", das wird eine Losung der Demokraten sein.
Denn neben Donald Trump (78 Jahre) oder Joe Biden (81 Jahre), Bernie Sanders (82 Jahre), Elizabeth Warren (75 Jahre) oder Nancy Pelosi (84 Jahre) wirkt Harris plötzlich wie der Jungbrunnen im politischen Altenheim Amerikas.
3. Neuer Zugang zu Wählergruppen
Der bisherige Wahlkampf der Demokraten litt auch daran, dass sowohl die Afroamerikaner als auch die Latinos nur noch schwer für Biden zu mobilisieren waren. Mit Kamala Harris, Tochter einer tamilischen Brustkrebsforscherin aus Indien und eines Wirtschaftswissenschaftlers aus Jamaika, bekommen die Demokraten plötzlich wieder Zugang zu diesen Gruppen – und zur asiatischen Minderheit gleich mit.
Zudem würde in der Person von Doug Emhoff erstmals ein jüdischer Ehepartner die Position des "first gentleman" im Weißen Haus bekleiden.
4. Kamala Harris als Doppelinnovation
Die Vorstellung, dass mit Harris erstmals eine Frau das Präsidentenamt erobert, verschafft der Kandidatur sofortigen Rückenwind. Der Wahlkampf alter weißer Männer bekommt plötzlich eine Modernisierungsnote und mit der denkbaren Doppelinnovation bei Gender und Diversity geradezu etwas Avantgardistisches. Harris ist schon jetzt die erste US-Vizepräsidentin der Geschichte, nachdem Geraldine Ferraro als Vizepräsidentschaftanwärterin neben Walter Mondale 1984 und Sarah Palin an der Seite John McCain 2008 gescheitert waren.
Die Erste in neuen Rollen zu sein, das ist Harris gewohnt: Sie war die erste Frau auf dem Chefposten der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin Kaliforniens, die erste farbige Senatorin Kaliforniens und schließlich die erste Vizepräsidentin der USA. Sie hat die Frauenbewegung Amerikas hinter sich.
Schon am Montagmorgen war die Liste der Organisationen, die sich hinter die Kandidatur der Vizepräsidentin gestellt haben, enorm - von der "National Organization for Women (NOW)" über den "National Women's Political Caucus", She Should Run, Higher Heights, "Run Sister Run", "Emily’s List", "Women for American Values and Ethics (WAVE)" und "Her Bold Move" bis zur Gruppe "Win With Black Women". Die sammelte in einem Zoom-Anruf am Sonntagabend mehr als 1 Million Dollar für Harris' Kampagne; nach Angaben der Gruppe beteiligten sich mehr als 40.000 Frauen an dem Anruf.
5. Das Golden-State-Versprechen auf die Zukunft Amerikas
Kamala Harris kann sich als ein Golden-State-Versprechen auf die Zukunft Amerikas inszenieren. Sie kommt aus Kalifornien und hat den Staat im Senat vertreten. Damit verkörpert sie das modernste, erfolgreichste und dynamischste Land der USA. Kalifornien wäre als unabhängiger Staat die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Es ist das Entwicklungslabor der digitalen Welt und ökologische Avantgarde, modern, erfolgreich und liberal - wie eine Blaupause für die besseren USA des 21. Jahrhunderts.
Damit punktet Harris nicht nur als Vorkämpferin für Frauen und Schwarze, sie steht für die "Californication" als Zukunftsvision. Im bevölkerungsreichsten Land der USA wird sie aller Voraussicht ein spektakulär gutes Ergebnis für die Demokraten erringen. Vor allem aber kommen aus Kalifornien voraussichtlich die meisten Spendengelder für Harris.
Einst hat in Kalifornien - Ironie der Geschichte - sogar Donald Trump für Harris gespendet. Das Geld ging an ihre Kampagne, als sie sich auf das Amt von Kaliforniens Generalstaatsanwältin bewarb. Trump spendete 5000 US-Dollar für die erste Kampagne 2011, weitere 1000 US-Dollar für ihre Wiederwahl 2013. Seine Tochter Ivanka Trump spendete damals ebenfalls für die Wiederwahl, insgesamt 2000 US-Dollar im Jahr 2014. Das sind pikante, aber vor dem heutigen Hintergrund lächerlich kleine Summen für die Kalifornierin. Die Kampagne von Kamala Harris hat nach eigenen Angaben in den ersten 24 Stunden bereits 81 Millionen Dollar gesammelt, ein Großteil davon aus ihrem reichen Heimatstaat.
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