Westliche und taiwanische Experten trauen China derzeit nicht zu, den Inselstaat Taiwan militärisch einzunehmen.
"Obwohl die Gefahr eines Konflikts um Taiwan gestiegen ist, ist ein voller amphibischer Angriff durch China kurzfristig unwahrscheinlich", sagte die China-Analystin der Nichtregierungsorganisation Crisis Group, Amanda Hsiao, der Deutschen Presse-Agentur. Mit "amphibischem Angriff" ist ein Angriff über die Meerenge zwischen beiden Staaten gemeint.
Die Chancen einer erfolgreichen Operation seien unsicher, sagte Hsiao. Peking dürfte ihr zufolge im Moment nicht die militärischen Fähigkeiten für einen schnellen und entscheidenden Sieg über Taiwan haben.
China scheine auch erkannt zu haben, Taiwan nicht zum Aufgeben zwingen zu können, sagte David Gitter vom US-amerikanischen Forschungsinstitut National Bureau of Asian Research. "Peking arbeitet allerdings aktiv daran, diese Mängel zu beseitigen.". Mittel- und langfristig könnten eine Invasion oder andere militärische Handlungen allerdings nicht ausgeschlossen werden. Die Kosten für einen Krieg sind jedoch hoch. Die Wirtschaftsprobleme Chinas und die Annäherungsversuche mit Taiwans Verbündetem, den USA, machten eine Invasion derzeit noch unwahrscheinlich.
Warum China Taiwan zurück will
In Peking sieht man das anders: "Wenn China die Taiwan-Frage mit Gewalt lösen will, kann sie heute Nacht gelöst werden, und niemand kann dies aufhalten, nicht einmal die taiwanischen Unabhängigkeits-Elemente oder die USA", sagte der Präsident des in Peking ansässigen chinesischen Thinktanks Zentrum für China und Globalisierung, Victor Gao. Die USA überschätzten entweder ihre eigene militärische Stärke oder unterschätzten die Chinas. China will laut Gao keinen Krieg. "Wir denken alle, dass eine friedliche Wiedervereinigung der bessere Weg ist", sagte er. Taiwan werde immer ein Teil Chinas sein und China sei bei der Lösung der Frage nicht in Eile.
Peking beansprucht Taiwan unter der sogenannten Ein-China-Politik seit Jahrzehnten für sich. Der Streit geht auf den chinesischen Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und der Regierung der Republik China zurück - nicht zu verwechseln mit der heutigen Volksrepublik China. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der japanischen Kolonialherrschaft gehörte Taiwan wieder für wenige Jahre zur Republik China. 1949 verlor die heutige taiwanische Oppositionspartei Kuomintang im Bürgerkrieg und floh nach Taiwan, wo sie als Republik China weiter regierte. Seit Ende der 1980er sitzt in der Hauptstadt Taipeh eine unabhängige demokratische Regierung.
Peking drohte Taiwan und seinen mehr als 23 Millionen Einwohnern schon mit einer Invasion, sollte eine "friedliche Wiedervereinigung" nicht möglich sein. Regelmäßig üben Chinas Luftwaffe und Marine in der Taiwanstraße, der Meerenge zwischen Taiwan und der südostchinesischen Provinz Fujian. Fast täglich dringen Kampfjets in Taiwans Luftverteidigungszone ein und versuchen laut Experten, die Streitkräfte zu ermüden und die Öffentlichkeit einzuschüchtern.
Experte sieht geografischen Vorteil
Die Taiwanstraße sei der "Kern" für die Verteidigung des Inselstaates, sagte Su Tzu-yun vom taiwanischen Institut für nationale Verteidigung und Sicherheitsforschung. Anders als die Ukraine oder Israel könne Taiwan nicht so leicht überfallen werden, weil es nicht mit Land verbunden sei. China habe selbst bis 2030 kaum Sieges-Chancen. Taiwan sei mit vielen Raketen gegen Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge ausgestattet, wodurch das Meer zu einer undurchdringbaren Zone werden könne, was wiederum eine amphibische Landung in Taiwan erschwere.
Zudem geht Kuo Yujen vom Institut für China und Asien-Pazifik-Studien an der taiwanischen National Sun Yat-sen Universität davon aus, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping nur wenig Vertrauen in seine Armee habe. Peking hatte 2023 seinen Verteidigungsminister und mehrere Generäle entlassen. Der offizielle Grund dafür ist unklar. Einen entscheidenden Faktor werden den Experten zufolge auch die Wahlen in Taiwan im Januar haben. Bleibt die Demokratische Fortschrittspartei im Amt, dürfte das den Druck erhöhen. Gewinnt die pekingfreundliche Kuomintang, wird China laut Kuo Yujen versuchen wollen, über eine Wiedervereinigung zu verhandeln. © dpa
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