Die Coronakrise bringt Europas Wirtschaft ins Wanken. Auch nach einer Marathonsitzung am Dienstag konnten sich die EU-Finanzminister auf kein gemeinsames Vorgehen gegen die Corona-Wirtschaftskrise und die Bewältigung der Folgen einigen. Der Streit über sogenannte Corona-Bonds ist festgefahren – die sind aber nicht das einzige Mittel.

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Die Pandemie erschüttert die europäische Wirtschaft – einige Vorhersagen muten geradezu apokalyptisch an. Auch am politischen Zusammenhalt der Europäischen Union zerrt die Coronakrise. Entnervt und unter beispiellosem finanziellen Druck fordern die südlichen EU-Staaten lautstark Solidarität von den nördlichen Partnern, vor allem von Deutschland.

Doch trotz einer 16-stündigen Nachtsitzung bis in den Mittwoch hinein haben die EU-Staaten vorerst kein gemeinsames Corona-Rettungspaket zustande gebracht. Eurogruppen-Chef Mario Centeno vertagte die Sitzung der Finanzminister auf Donnerstag. Ein Kompromiss "sei noch nicht geschafft", schrieb er.

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In den Gesprächen ging es um ein "Sicherheitsnetz" im Umfang von insgesamt rund 500 Milliarden Euro mit drei Elementen, um die Folgen der schweren Corona-Wirtschaftskrise gemeinsam zu bewältigen:

  • vorsorgliche Kreditlinien des Eurorettungsschirms ESM, die besonders betroffenen Staaten zugutekommen könnten
  • ein Garantiefonds für Unternehmenskredite der Europäischen Investitionsbank EIB
  • das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kurzarbeiter-Programm namens "Sure".

Für die Europäische Union ist die Hängepartie ein politisches Alarmzeichen: Die Klüfte sind tief, vor allem zwischen dem wohlhabenderen Norden und den von der Pandemie schwer gezeichneten Südländern wie Italien. In jedem Fall wäre das "Sicherheitsnetz" nur ein Zwischenschritt – die zentrale Streitfrage ist: Werden die EU-Länder künftig gemeinsam Schulden aufnehmen? Die Maßnahmen im Detail:

Kreditlinien des ESM

Über die noch vor zwölf Tagen umstrittene Nutzung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit. Der ESM wurde 2012 in der Eurokrise gegründet und half unter anderem bei der Rettung Griechenlands. Aus der Zeit stammt aber auch sein schlechter Ruf bei einigen Südländern.

Denn als Gegenleistung für Hilfskredite wurden umfassende Strukturreformen und Sparprogramme gefordert. Anders diesmal: Zur Debatte steht eine vorsorgliche Kreditlinie – im Fachjargon ECCL – für alle Eurostaaten. Damit wären diesmal keine Sparauflagen verknüpft, sondern nur die Bedingung, dass das Geld direkt in die Krisenbewältigung fließt. Der ESM nimmt das Geld übrigens über Anleihen am Kapitalmarkt auf und reicht es zu günstigen Konditionen weiter an die Mitgliedsstaaten. Nach eigenen Angaben könnte der ESM 410 Milliarden Euro verleihen.

Garantiefonds bei der EIB

Die Europäische Investitionsbank EIB hat einen sogenannten Paneuropäischen Garantiefonds ins Gespräch gebracht, der in den Beratungen der EU-Finanzminister ebenfalls gute Chancen hat. Funktionieren soll das so: Die EU-Staaten – sie sind die Anteilseigner der EIB – zahlen entsprechend ihrer Größe anteilig 25 Milliarden Euro in den Garantiefonds ein. Das Geld dient zur Absicherung von Krediten der Investitionsbank an kleine und mittlere Unternehmen in den EU-Staaten.

Die Garantiesumme würde nach Einschätzung der EIB reichen, um 200 Milliarden Euro an Liquidität für Unternehmen zu mobilisieren. Anders als die ESM-Kreditlinien, die nur den 19 Eurostaaten offen stünden, wäre das ein Angebot an alle 27 EU-Staaten.

Europäische Kurzarbeiter-Hilfe "Sure"

Das Konzept "Sure" von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wird wohl das dritte Element kurzfristig verfügbarer Finanzhilfen. Von der Leyen will Kurzarbeitergeld in den EU-Staaten unterstützen. Das sind Lohnzuschüsse für Firmen, die in der Krise trotz Auftragsmangels ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Das gibt es nach Angaben der EU-Kommission in allen 27 EU-Staaten.

Von der Leyens Vorschlag: Die EU-Staaten hinterlegen – wiederum anteilig nach ihrer Größe und Wirtschaftskraft – unwiderrufliche Garantien in Höhe von 25 Milliarden Euro. Mit dieser Rückendeckung nimmt die EU-Kommission bis zu 100 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt auf und reicht sie nach Bedarf für Kurzarbeit an die EU-Staaten weiter.

Angenommen wird dabei, dass vor allem die Länder zugreifen würden, die selbst an den Finanzmärkten mehr Zinsen zahlen müssten. Für Deutschland würde dies voraussichtlich nicht gelten, es müsste aber Garantien beisteuern. "Sure" könnte also in gewissem Rahmen bereits Geld in der EU umverteilen.

Corona-Bonds

Die Idee ist äußerst umstritten: Mit fest verzinsten Wertpapieren würden EU-Staaten sich gemeinsam Geld an Finanzmärkten leihen, das direkt in die jeweiligen Haushalte flösse. Für Zinsen und Rückzahlung würden alle gemeinsam haften.

Hoch verschuldete Staaten könnten auf diesem Weg zu günstigeren Konditionen an frisches Geld am Kapitalmarkt kommen. Denn die Bonität der Gemeinschaftsanleihen wäre deutlich besser, wenn zum Beispiel wirtschaftlich starke Länder wie Deutschland mithaften. Die Befürworter sehen darin ein wichtiges ein Zeichen der Solidarität. Länder wie Deutschland fürchten indes, über Jahre für bereits hoch verschuldete Staaten wie Italien mithaften zu müssen. Dauerhafte Gemeinschaftsanleihen – Euro-Bonds – waren in der Euro-Schuldenkrise hoch umstritten.

Debattiert werden nun etliche Varianten, darunter auch eine enge zeitliche Befristung und Fokussierung nur auf die Coronakrise. Gemeinschaftsanleihen für befristete Zeit hatte es auch schon der Vergangenheit gegeben. Kritiker befürchten dagegen, dass die gemeinsamen Bonds zur Dauereinrichtung werden.

Warum ein Kompromiss so schwierig ist

Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz hatte vor der Videoschalte für die drei erstgenannten "Instrumente der Solidarität" geworben. Und diese schienen vorab auch im Kreis aller Finanzminister weitgehend konsensfähig. Im Detail gab es dann dennoch Differenzen, die die Minister die ganze Nacht beschäftigten.

Probleme bereitet beim Euro-Rettungsfonds ESM die vorgesehene Lockerung der Bedingungen für die Auszahlung von Krediten. Die schwierigste Hürde war aber nach Angaben von Teilnehmern der Streit über die gemeinsame Schuldenaufnahme.

Zunächst beharrten Frankreich, Italien, Spanien und andere nach Angaben aus Verhandlungskreisen darauf, gemeinsame europäische Schuldtitel zumindest für Wiederaufbauprogramme nach der Pandemie ins Auge zu fassen. Deutschland, die Niederlande und andere hätten diese Anleihen als Vergemeinschaftung von Schulden abgelehnt, hieß es. (dpa/afp/mf)

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