Seit Jahrzehnten leisten die Fanprojekte in Deutschland wichtige Arbeit, wenn es um jugendliche Fans geht. Sie spielen damit auch eine entscheidende Rolle beim Thema Gewaltprävention. Statt Wertschätzung erfahren sie nun selbst Druck.
Wer die Fußball-Schlagzeilen neben dem Platz zuletzt verfolgt, kann mal wieder den Eindruck gewinnen, in Stadien hierzulande brenne mindestens der Baum, und wenn Fußball gespielt wird, sollten Menschen bestenfalls ihre Häuser verbarrikadieren. Klingt übertrieben? Ist es ja auch, aber wir erleben eine Zeit, in der lieber Feindbilder bedient werden, als dass inhaltlich über Probleme gesprochen wird. Und Fußballfans sind ein funktionierendes Feindbild.
Es ist richtig, dass in den aktuellen Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sportereignisse (ZIS) ein leichter Anstieg von Verletzten im Stadion festzustellen ist. Und klar ist auch, jede verletzte Person beim Fußballbesuch ist eine zu viel. Trotzdem lohnt der Blick auf die Gesamtlage: Bei insgesamt 1.150 Spiele 2023/24 in den ersten drei Ligen der Männer strömten 24,3 Millionen Menschen in die Stadien, verletzt wurden 1.338 Personen. Bei einer ähnlichen Quote gelten andere Großereignisse als friedlich, aber das nur nebenbei …
Die Arbeit in den Fanprojekten basiert auf Vertrauen
Fakt bleibt aber, auch im Kontext Fußball gibt es Gewalt. Das war Ende der 1980er einer der Gründe, wieso sich die ersten Fanprojekte gründeten. Fanprojekte sind im Umfeld von Vereinen angesiedelt, von diesen aber unabhängig. Kerngeschäft ist die Arbeit mit jungen Fußballfans, sie sind Bestandteil kommunaler Sozialarbeit von Ländern und Gemeinden und als anerkannte Träger*innen der Jugendhilfe dem Kinder- und Jugendhilfegesetz verpflichtet.
Die Fanprojekte sind ein wichtiger Teil der ganz speziellen Kultur im deutschen Fußball. Ihre Rolle beruht auch auf der Annahme, dass es zum Selbstverständnis jeder Jugendkultur gehört, bisweilen über die Stränge zu schlagen, man dem aber nicht allein mit Repression begegnen kann. Die Arbeit dort funktioniert dank des Vertrauensverhältnisses zwischen Mitarbeitenden und den jungen Fans, die wissen, hier sind Erwachsene, mit denen sie reden können.
Es fehlt ein Zeugnisverweigerungsrecht
Wer nun aber glaubt, dieser erfolgreichen Arbeit werde mit Wertschätzung begegnet, irrt sich. In Karlsruhe wurden just drei Mitarbeiter*innen des dortigen Fanprojekts zu je 90 Tagessätzen verurteilt. Sie hatten sich trotz Vorladung geweigert, Aussagen zu machen zu einer Pyro-Show der Fans des Karlsruher SC mit elf Verletzten. Die zugrundeliegende Problematik: Anders als für Berufsgruppen wie Ärzt*innen, Mitarbeiter*innen in Schwangerenkonfliktberatung oder Anwält*innen gilt das Zeugnisverweigerungsrecht in der sozialen Arbeit nicht. Diese Tatsache steht schon länger in der Kritik, weit über den Fußball hinaus.
Fanprojekte können nur funktionieren, wenn sie als Schutzraum empfunden werden, sprich, Jugendliche hier vertrauensvoll sprechen können. Das Urteil erschüttert diese Einrichtungen deswegen bundesweit und setzt die Mitarbeitenden massiv unter Druck: Wie sollen sie weiter ihre Arbeit machen, wenn im Zweifel solche Strafen drohen? Quasi zeitgleich kommen nach dem Sicherheitsgipfel "Gewalt im Stadion" von Politik und Verbänden Forderungen nach einer erneuten Wirksamkeitsanalyse der Fanprojekte.
Wem dieses Aufbauschen von Problemen nutzen soll, während gleichzeitig ausgerechnet jene Protagonist*innen angegriffen werden, die seit Jahrzehnten erfolgreich deeskalieren, das ist das Geheimnis der betreffenden Akteur*innen. Klar ist, auf diesem Weg steht mittelfristig die hiesige Fankultur insgesamt auf dem Spiel. Aber das werden etliche Anhänger*innen fern der Stehtribüne womöglich erst realisieren, wenn es zu spät ist …
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